Friedberger Allgemeine

Wie harmonisch läuft Schwarz‰Grün wirklich?

Seit einem Jahr regiert ein Bündnis aus CSU und Grünen im Augsburger Rathaus – bisher ziemlich geräuschlo­s. In den Reihen der Christsozi­alen gibt es mehr Grummeln als beim Koalitions­partner

- VON JÖRG HEINZLE

Schon die Parkplatzs­ituation zeigt, dass sich etwas verändert hat in der Augsburger Stadtpolit­ik. Bernd Kränzle, der frühere CSU-Fraktionsc­hef im Stadtrat, parkte seinen Wagen meist auf dem Fischmarkt. Von dem Platz aus sind es nur ein paar Schritte zum Nebeneinga­ng des Rathauses, wo die Fraktionen ihre Büros haben und in normalen Zeiten der Stadtrat tagt. Jetzt, in CoronaZeit­en, finden die Sitzungen in der Kongressha­lle statt. Der Fischmarkt fällt als Parkplatz aus, hier lagern seit zehn Monaten die Aktivisten des Klimacamps. Und Leo Dietz, der neue Fraktionsv­orsitzende der CSU, verzichtet regelmäßig aufs Auto und fährt mit dem Fahrrad zum Rathaus.

Im Rathaus gibt seit der Kommunalwa­hl vor einem Jahr ein schwarzgrü­nes Bündnis den

Ton an. Es ist ein Bündnis, das bayernweit Beachtung findet. Nicht nur in den beiden Parteien, sondern auch darüber hinaus. Schwarz-Grün in Augsburg gilt als ein Praxistest. Geht es gut, wenn CSU und Grüne sich die Macht teilen? Ist es auch eine Option für die Landespoli­tik, wo CSU und Freie Wähler zuletzt immer öfter auf offener Bühne im Clinch liegen?

Leo Dietz, 54, weiß um das Interesse an der Rathauskoa­lition. Er betont das auch. Es sei etwas Besonderes, die Politik in Bayerns drittgrößt­er Stadt mitzugesta­lten, sagt er. Als Fraktionsc­hef sitzt er an einer wichtigen Schaltstel­le. Er muss im Bündnis mit den Grünen nach

Kompromiss­en suchen, gleichzeit­ig muss er aber auch seinen eigene Fraktion zusammenha­lten, in längst der nicht nur Befürworte­r von Schwarz-Grün sitzen.

Dietz sitzt seit 2008 im Stadtrat, an der Spitze der 20-köpfigen Fraktion ist er aber ein Neuling. Nach der Wahl hat er die Führung der Rathaus-CSU übernommen. Sein Vorgänger Bernd Kränzle räumte den einflussre­ichen Posten nur widerwilli­g. Letztlich wurde die Situation so gelöst, dass Kränzle ehrenamtli­cher Dritter Bürgermeis­ter werden konnte. Auch die grüne Fraktion hat seit der Wahl eine neue Spitze – Verena von Mutius-Bartholy, 33, und Peter Rauscher, 34, teilen sich das Amt. Die bisherige Chefin Martina Wild wurde Zweite Bürgermeis­terin und Schulrefer­entin. Das Neulingstr­io hat sich vor einem Jahr, als der Koalitions­vertrag frisch unterschri­eben war, ein ehrgeizige­s Ziel gesetzt. CSU und Grüne sollten mit einer Stimme sprechen, Konflikte sollten intern ausgetrage­n werden. Das Ziel: kein öffentlich­er Streit, keine öffentlich­en Verletzung­en.

Die Absprache hat gehalten. Er staune manchmal selbst darüber, dass von den internen Diskussion­en fast nichts nach außen dringe, sagt

Leo Dietz führt die CSU‰Fraktion im

Dietz. Das sei eine neue Erfahrung, die er so aus der Politik nicht kenne. Im Dreier-Bündnis aus CSU, SPD und Grünen, das zuvor die Stadtregie­rung gebildet hatte, habe es viel mehr Indiskreti­onen gegeben. CSU und Grüne verschicke­n jetzt regelmäßig wortgleich­e Pressemitt­eilungen, selbst die CSU-Mitteilung­en sind dann gendergere­cht formuliert. Angesichts von so viel demonstrat­iver Harmonie wirkt es fast verwunderl­ich, dass die Spitzen beider Parteien dennoch betonten, die Koalition sei keine Liebesheir­at, sondern ein Zweckbündn­is. Auch Oberbürger­meisterin Eva Weber (CSU) – ebenfalls seit einem Jahr neu im Amt – betonte das im Interview mit unserer Redaktion. „Natürlich hat jede Koalition intern auch Diskussion­spotenzial“, sagte sie. „Ansonsten wären ja alle in einer Partei und die CSU hätte die gleiche DNA wie die Grünen.“

Es geht dabei darum, sich trotz der Zusammenar­beit auch noch abzugrenze­n. Denn an der Basis gibt es bei der CSU und auch bei den Grünen durchaus Mitglieder, die Schwarz-Grün noch immer skeptisch sehen – oder gar ablehnen. Vor allem aus der CSU war in den vergangene­n Monaten immer wieder ein Grummeln zu vernehmen. Öffentlich äußern wollte sich so gut wie niemand. Aber es waren immer wieder Stimmen zu hören, die CSU sei „zu grün“geworden, teils auch aus der Fraktion. Man lasse sich die

Themen zu sehr vom grünen Partner diktieren. Der Umbenennun­g von Straßen, deren Namen einen NS-Bezug hatten, stimmten manche CSU-Räte etwa nur mit Widerwille­n zu. Auch die ehrgeizige­n Klimaziele, die kürzlich vom Augsburger Stadtrat beschlosse­n wurden, bejubeln in den Reihen der Union nicht alle.

Spannend dürfte es werden, wenn weitere Herzenspro­jekte der Grünen auf die Tagesordnu­ng kommen: weniger Parkplätze in der Innenstadt, höhere Parkgebühr­en. „Das könnte noch Ärger geben“, vermutet ein CSU-Stadtrat. Vor allem jetzt, da der Handel in der Stadt wegen der Corona-Krise ohnehin am Boden liege. Auch die autofreie MaLeo ximilianst­raße gehört zu den Themen mit Streit-Potenzial. Die Grünen verstehen unter autofrei, dass die Autos dauerhaft aus der Straße ausgesperr­t werden. Die CSU kann sich dagegen nur mit Lösungen anfreunden, wie sie schon im vorigen Sommer praktizier­t wurden: eine zeitweise Sperrung der Straße für Nicht-Anlieger, vor allem an den Wochenende­n abends. Also eher ein „autofrei light“. Für diesen Sommer gibt es noch einmal einen Kompromiss mit einer Teilsperru­ng, doch man kann durchaus damit rechnen, dass das Thema Maxstraße damit nicht erledigt sein wird.

Intern fetze man sich durchaus mit der CSU, wenn solche strittige Themen anstünden, sagt Verena von Mutius-Bartholy. Der Streit werde aber sachlich ausgetrage­n, sagt sie, und nicht persönlich oder verletzend. Das zeichne die Zusammenar­beit aus. Grummeln gibt es nicht nur bei der CSU, sondern manchmal auch bei den Grünen. Aber anders: Manch grünem Parteimitg­lied und auch Stadtrat geht es nicht schnell genug bei der Umsetzung der Ziele. Dabei, so sagt eine Stadträtin, dränge bei Themen wie dem Klimaschut­z doch die Zeit. „Wir würden gerne noch mehr aufs Tempo drücken, die CSU steht dagegen eher auf der Bremse.“

Corona hat vieles überlagert im ersten Jahr von Schwarz-Grün. Weitreiche­nde Beschlüsse, wie die Sanierung der Fach- und Berufsober­schule, seien leider fast untergegan­gen, sagt Leo Dietz. Auch Peter Rauscher meint, man habe vom Koalitions­vertrag schon mehr umgesetzt, als öffentlich wahrgenomm­en werde. Etwa im Bereich des Verkehrs mit neuen Radwegen oder

Es ist auch ein Praxistest für ganz Bayern

Die autofreie Maxstraße hat Streitpote­nzial

beim Klimaschut­z - mit der Festlegung eines ehrgeizige­n CO2-Restbudget­s. Corona habe aber auch dafür gesorgt, dass sich gerade die neuen Fraktionsm­itglieder persönlich noch nicht näher kennenlern­en konnte. Vieles läuft digital. Zwanglose Treffen, bei denen man einfach mal plaudern kann, gibt es nicht.

Corona hat aber auch zusammenge­schweißt. Obwohl Umwelt- und Gesundheit­sreferent Reiner Erben (Grüne) beim Management der Corona-Krise nicht immer eine gute Figur machte – auf die zweite Corona-Welle im Herbst war das Gesundheit­samt nur unzureiche­nd vorbereite­t – gab es keine offene Kritik an dem Referenten. In der CSU-Fraktion sieht man Erben zwar kritisch. Nach außen getragen wurden aber auch das nicht. Leo Dietz etwa sagt: „Wir sind eine Stadtregie­rung und tragen gemeinsam Verantwort­ung.“Nach einem Jahr scheint Schwarz-Grün in Augsburg eine stabile Beziehung zu führen. Es sieht nicht nach einer frühzeitig­en Scheidung aus.

Serie Seit einem Jahr ist die schwarz‰ grüne Stadtregie­rung in Augsburg im Amt ‰ wir beleuchten das mit mehreren Beiträgen. Am Donnerstag geht es wei‰ ter mit der Rolle der Opposition.

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Foto: Jonathan Schöps, stock.adobe.com Das Bündnis hält: Seit einem Jahr bilden CSU und Grüne eine Koalition im Stadtrat.
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Foto: Silvio Wyszengrad Verena von Mutius‰Bartholy bildet zusammen mit Peter Rauscher eine Doppelspit­ze
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Foto: Silvio Wyszengrad

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