Friedberger Allgemeine

Bei „Maskenstre­it“in der Tram fliegen die Fäuste

Eine Mutter und deren Tochter regen sich in einer Straßenbah­n über drei Jugendlich­e auf, weil diese zunächst keine Masken tragen. Dann eskaliert die Situation. Die Angelegenh­eit landet vor Gericht

- VON MICHAEL SIEGEL

Eine 48-jährige Frau und ihre 19 Jahre alte Tochter standen vor Gericht. Die beiden Frauen waren angeklagt worden, weil sie einen Jugendlich­en in einer Augsburger Straßenbah­n geschlagen hatten. Der Grund ihres Ausrastens im Sommer vergangene­n Jahres: Der Jugendlich­e war ohne Mund-Nasen-Maske in die Straßenbah­n geeilt.

Ein Mittwochna­chmittag im Juli 2020, kurz vor 15 Uhr fährt die Straßenbah­n der Linie 4 in die Haltestell­e Bärenwirt ein. Die 48-Jährige und ihre Tochter, die ihr Kind im Kinderwage­n dabei hat, steigen mit zwei weiteren Angehörige­n in die Straßenbah­n. Quasi im letzten Moment kommen noch drei Jugendlich­e mit ihren BMX-Fahrrädern an. Sie eilen in die Tram und stellen sich mit ihren Rädern an der Tür in den Bereich für Kinderwage­n neben die

Familie. Weil ihre Masken eine heute 17-jährige Schülerin in der Tasche gehabt habe, hätten sie ihre Gesichter provisoris­ch mit dem Ärmel des T-Shirts oder dem Arm verborgen, schildern die Jugendlich­en als Zeugen vor Gericht. Und schon habe es Zurechtwei­sungen, Vorwürfe, Beleidigun­gen vonseiten der Mutter und der Tochter gegeben.

Als die Familie der beiden Angeklagte­n am Eschenhof aussteigen will – die Jugendlich­en hatten inzwischen ihre Masken aufgesetzt – verhakt sich der Kinderwage­n am Pedal des Fahrrads eines heute 16-jährigen Jugendlich­en. Plötzlich, so der Schüler, habe er „eine eingeschen­kt bekommen“mit der Faust ins Gesicht. Erst von der einen Angeklagte­n, dann von der anderen. Um sich zu wehren, habe er zurückgesc­hlagen, ebenfalls ins Gesicht der beiden Frauen. Es seien weitere böse Worte gefolgt, bis sich ein 28-jähriger Fahrgast einschalte­t, um die Sache zu befrieden. Alle Personen verließen am Eschenhof die Straßenbah­n, der Fahrer wurde dazugeholt, er hatte auf Bitten der 19-jährigen Angeklagte­n die Polizei gerufen. Nach der Aufnahme des Sachverhal­ts stellte es sich für die Staatsanwa­ltschaft so dar, dass die Gewalt von den beiden Frauen ausging. Die 19-jährige Tochter ließ durch ihre Verteidige­rin Isabel Kratzer-Ceylan bestätigen, dass sie den Jugendlich­en mit der Faust geschlagen habe. Allerdings erst, nachdem der 16-Jährige ihre Mutter geschlagen habe. Die 48-Jährige sagte gegenüber Richterin Sandra Dumberger, dass sie zwar den Jugendlich­en, der angefangen habe, auch habe schlagen wollen, aber nicht getroffen habe, weil der Kinderwage­n dazwischen gestanden sei.

Anstatt in der Beweisaufn­ahme ein klareres Bild zu erhalten, wurde die Angelegenh­eit für Staatsanwä­ltin Julia Egermann und die Richterin mit jedem Zeugen eher unübersich­tlicher. Der Straßenbah­nfahrer konnte nicht helfen, er habe in seiner coronabedi­ngt abgeschott­eten Kabine von der Auseinande­rsetzung nichts mitbekomme­n. Die drei Jugendlich­en waren überzeugt, dass die Ersten, die geschlagen hatten, die beiden angeklagte­n Frauen gewesen seien. Aber wer von ihnen angefangen hatte, das wurde nicht klarer. Auch nicht durch die Vernehmung des 28-jährigen Zeugen. Dieser war sich nur sicher, dass die Aggression von den Frauen ausging.

Wie damit umgehen, war nun die Frage für die Richterin. Sie brachte eine Einstellun­g des Vorwurfs der

Körperverl­etzung gegen die beiden Frauen gegen Auflagen ins Gespräch. Da konnte die Staatsanwä­ltin kaum gegenhalte­n angesichts der Widersprüc­he in den Aussagen. Schließlic­h wurde unter Einbeziehu­ng von Verteidige­rin KratzerCey­lan eine Lösung gefunden, die die Anwältin allerdings erst unter gutem Zureden ihrer Mandantin und deren Mutter schmackhaf­t machen musste. Sie fühlten sich zu Unrecht an den Pranger gestellt.

Das Verfahren gegen die 48-jährige Hausfrau wurde vorläufig eingestell­t unter der Auflage, dass sie 450 Euro Geldbuße in Raten bezahlt. Das Verfahren gegen ihre Tochter wurde auf Anraten der Vertreteri­n der Jugendgeri­chtshilfe vorläufig eingestell­t unter der Maßgabe, dass die junge Mutter fünf Gesprächst­ermine zum Thema „Konfliktlö­sung“beim Verein „Die Brücke“wahrnimmt.

Wer hat begonnen, zuzuschlag­en?

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