Friedberger Allgemeine

Betroffene aus dem Kreis und die Lage in Afghanista­n

Georg Kurat aus Adelzhause­n starb durch ein Taliban-Attentat in Afghanista­n. Mutter Renate muss nun zusehen, wie die Mörder ihres Sohnes triumphier­en. Wie sie und andere Betroffene im Landkreis auf den Konflikt blicken

- VON MAX KRAMER

Im Landkreis leben einige Menschen, die eine Verbindung zu dem Land haben. So blicken sie auf die aktuelle Lage.

Adelzhause­n Er wollte den Menschen helfen, er suchte in der Bundeswehr eine Herausford­erung - und fand am 18. Februar 2011 in der afghanisch­en Provinz Baghlan den Tod. Georg Kurat aus Adelzhause­n wurde nur 21 Jahre alt, weil an jenem Tag, um kurz vor 12 Uhr Ortszeit, ein in die afghanisch­e Armee eingeschle­uster Taliban-Kämpfer das Feuer auf Kurat und seine Kameraden des CharlyZugs eröffnete. Bevor er selbst getötet wurde, verletzte er neun deutsche Soldaten, drei davon tödlich. Georg Kurat war der jüngste. „Das ist ein ewiger Verlust, das kann man nie kompensier­en“, sagt seine Mutter Renate. „Aber das, was gerade in Afghanista­n wieder passiert, das verstärkt unseren Schmerz wieder.“

Die Ereignisse in Afghanista­n überschlag­en sich. Die Terrorgrup­pe Taliban hat die Kontrolle über weite Teile des Landes übernommen, zuletzt auch in der Hauptstadt Kabul und das nur wenige Tage nach Abzug der internatio­nalen Truppen. 59 deutsche Soldaten starben dort im Einsatz, davon wurden 35 im Gefecht oder durch Anschläge getötet. Als ihn das Attentat aus dem Leben riss, stand Georg Kurat kurz vor dem Ende seiner Zeit bei der Bundeswehr. Er wollte aufhören, war schon in der Techniker-Schule angemeldet. „Ich möchte niemanden verurteile­n“, sagt Renate Kurat ruhig, aber entschloss­en. „Als der Einsatz begonnen hat, hat man eben geglaubt, das sei das richtige. Aber jetzt, wenn man sieht, was gerade dort passiert, fragt man sich: War das alles umsonst?“

Dass die Bevölkerun­g den ausländisc­hen Soldaten nicht nur wohlgesonn­en war, hat sich nach Kurats Einschätzu­ng länger angedeutet. Sie berichtet von einem Gespräch mit ihrem Sohn kurz vor dessen Tod: „Er hat erzählt, dass die Leute nicht mehr so freundlich waren, dass die Soldaten von Kindern mit Steinen beworfen wurden. Er hatte gehofft, dass er dort etwas bewirken kann, aber das war auch für ihn ein Einschnitt.“Die Taliban, die auch für den Tod ihres Sohnes verantwort­lich sind, nun triumphier­en zu sehen, sei hart.

Ist es Hass, der dabei in ihr hochsteigt? Kurat überlegt lange. „Eher Verachtung.“In all den Jahren habe sie besonders häufig über den Mörder ihres Sohnes nachgedach­t. „Der war 19 Jahre alt. Was bewegt so einen jungen Kerl dazu, sowas zu machen, überhaupt an sowas zu denken?“Sie habe mit ihrem Sohn mehrfach über die Gefahren des Einsatzes gesprochen: „Er hat dann immer gesagt: Ich doch nicht.“

Trost gibt der Mutter vor allem der Austausch mit anderen Hinterblie­benen, es ist ein Netzwerk entstanden. „Man merkt, man ist nicht allein. Das tut gut“, sagt Kurat. Für die Zukunft wünsche sie sich, dass Auslandsei­nsätze der Bundeswehr mit mehr Bedacht und Vorsicht beschlosse­n würden. Für den Moment hoffe sie, dass möglichst viele Menschen Afghanista­n unbeschade­t verlassen könnten. „Ich glaube aber nicht mehr daran.“

Nicht nur Renate Kurat beschäftig­t derzeit die Lage in Afghanista­n. Qambari Bobani etwa kann seit über einer Woche nicht mehr schlafen. Zu quälend sind die Gedanken an das, was rund 5000 Kilometer entfernt passiert - oder noch passieren könnte. Ihr Bruder, erzählt die 34-Jährige, die mit ihrer Familie in Obergriesb­ach lebt, war lange hochrangig­er Kommunalpo­litiker in der afghanisch­en Provinz.

Dann, vor wenigen Tagen erst, rückten die Taliban an. In den Augen der Terrorgrup­pe gilt Bobanis Bruder als Kollaborat­eur mit der Regierung, als Verräter. Er floh in die Berge, doch die Taliban kamen in sein Haus, nahmen ihm zwei seiner Kinder weg und benutzen sie nun als Druckmitte­l. Wie es weitergeht? „Ich kann nur hoffen, dass alles gut wird“, sagt Bobani.

Bobani und ihre Familie stammen aus Parwan. Sie sind Hazara - eine ethnische, schiitisch geprägte Gruppe, die bei den sunnitisch­en Taliban besonders verhasst ist. Schon vor vielen Jahren sahen Qambari Bobani und ihr Mann Ali Hussain Abasi in Afghanista­n keine Perspektiv­e mehr, ihre Flucht führte sie 2016 über Donauwörth nach Obergriesb­ach. „Wenn wir jetzt noch in Afghanista­n wären, wären wir wahrschein­lich bald tot“, sagt Abasi. Bekannte und Verwandte in Afghanista­n würden sie verzweifel­t anflehen, ihnen zu helfen. Viele sprächen davon, nicht mehr leben zu wollen. „Aber wir können nichts tun.“Dass bis vor Kurzem noch Geflohene nach Afghanista­n abgeschobe­n wurde, sei „falsch und schlimm“.

Tochter Suraya sitzt daneben und springt ein, wenn ihren Eltern die richtigen Worte fehlen. Sie ist zwölf Jahre alt - ab diesem Alter würden unverheira­tete Mädchen den Taliban „gehören“, erzählt sie. „Für mich wäre es jetzt ein Horror dort.“Ihre ehemalige Schule wurde zerbombt, jetzt besucht sie die Realschule in Aichach und hat dort gute Noten. „Es geht uns gut hier, wir fühlen uns sicher“, sagt Suraya. „Eine Heimat wie Afghanista­n will man nicht.“

Mitten im Geschehen ist Abdul Fahim Alam. Der 25-Jährige lebte sieben Jahre in Deutschlan­d, vorwiegend in Asylunterk­ünften im Wittelsbac­her Land, unter anderem in Friedberg. Vor zwei Jahren wurde er abgeschobe­n. Er möchte gerne nach Deutschlan­d zurück, einen erneuten Antrag kann er frühestens im April 2022 stellen. Nun hat er Angst, dass er bis dahin nicht mehr am Leben ist. „Die Taliban sind schlechte Leute, in der ganzen Stadt herrscht Angst“, erzählt er am Telefon, als er in seiner Wohnung in Kabul sitzt.

Die Unsicherhe­it sei groß: „Alles hat geschlosse­n, niemand kann arbeiten, die Taliban lassen niemanden auf die Straße.“Wie es nun weitergehe, auch für ihn, wisse er nicht. Eine der Voraussetz­ungen für eine Rückkehr nach Deutschlan­d ist ein Ausbildung­splatz - ein solcher sei auch sein Ziel, sagt Abdul Fahim Alam, er wolle unbedingt arbeiten. Für den Moment aber hoffe er zu überleben.

 ?? Fotos: XinHua/dpa, Max Kramer, Karl Stöckner (Archiv) ?? Die afghanisch­e Hauptstadt Kabul wurde von den Taliban erobert (links). In Deutschlan­d lebende Afghanen wie die Familie Abisi blicken deshalb mit Sorge auf ihre Heimat. Viele Jahre lang war auch die Bundeswehr in Afghanista­n stationier­t, einige Soldaten starben – so auch Georg Kurat aus Adelzhause­n, dem zu Ehren 2011 ein Gefallenen­d‰ enkmal errichtet wurde.
Fotos: XinHua/dpa, Max Kramer, Karl Stöckner (Archiv) Die afghanisch­e Hauptstadt Kabul wurde von den Taliban erobert (links). In Deutschlan­d lebende Afghanen wie die Familie Abisi blicken deshalb mit Sorge auf ihre Heimat. Viele Jahre lang war auch die Bundeswehr in Afghanista­n stationier­t, einige Soldaten starben – so auch Georg Kurat aus Adelzhause­n, dem zu Ehren 2011 ein Gefallenen­d‰ enkmal errichtet wurde.
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