Ein Waldspaziergang vom Krankenbett aus
Geistig und körperlich mobil zu bleiben, ist gerade auch für Menschen mit Demenzerkrankungen wichtig. Auf welche Technik das Bezirkskrankenhaus Augsburg setzt und wie die Kartei der Not dies fördert
Augsburg Strandball heißt das Spiel, das auch wunderbar ganz ohne Strand und ohne realen Ball Spaß macht: Fünf Damen sitzen um einen Tisch. Auf der Tischplatte erscheint wie von Zauberhand ein bunter Strandball. Fast automatisch greifen die Hände der Frauen nach dem farbenfrohen Rund, ein kleiner Wisch auf dem Tisch und schon fliegt der Strandball zu einer Mitspielerin. Auch diese erfasst den Ball mit ihren Fingern auf dem Tisch und „wirft“ihn so zu einer anderen Mitspielerin. Konzentriert sind die älteren Frauen bei der Sache. Auch als das nächste Spiel beginnt, bei dem ein Musiknotenband auf den Tisch projiziert wird und eine Melodie zu hören ist. Dieses Mal geht es darum, die Noten mit den Fingern zu berühren, damit die Musik weiter so schön spielt. Eine Dame singt schon leise mit ...
Für die fünf Frauen haben diese Spiele eine besondere Bedeutung. Dass sie so konzentriert dabei sind, ist für sie wichtig. Denn die Frauen sind sehr krank. Sie sind auf der geschlossen geführten gerontopsychiatrischen Station des Bezirkskrankenhauses Augsburg (BKH), auf der aktuell 22 Patientinnen und Patienten behandelt werden. Die meisten von ihnen haben eine fortgeschrittene Demenzerkrankung. Viele wirken sehr verschlossen, scheinen in ihrer eigenen Welt zu leben, der Kontakt zu anderen fällt ihnen nicht selten schwer, oft ist auch die Kommunikation komplizierter. Ein gemeinsames Spiel, das offensichtlich so intensiv die Sinne anregt, dass man sich gerne darauf einlässt und auch Freude dabei empfindet, ist von großem Wert. Schließlich will man auf der Station alles dafür tun, dass es den Erkrankten schnell besser geht, dass sie mehr teilhaben am sozialen Leben, positive Erlebnisse haben, betont Dr. Jan Häckert.
Der Oberarzt weiß, wie stigmatisierend das BKH oft von Betroffenen, aber auch deren Angehörigen empfunden wird. Daher kämen bedauerlicherweise viele erkrankte Menschen viel zu spät. Doch das BKH ist nicht, wie viele offenbar irrtümlich glauben, eine Endstation, auf der man einfach weggesperrt wird. Ganz im Gegenteil, erklärt Häckert. Ziel sei es, den Gesundheitszustand der Patientinnen und mit Medikamenten, aber auch auf das individuelle Krankheitsbild abgestimmten Therapien so zu verbessern, dass sie entweder wieder in die häusliche Umgebung oder in eine Senioreneinrichtung können. Im Schnitt bleiben die Patientinnen und Patienten auf dieser Station vier bis sechs Wochen, sagt Häckert. Doch gerade in dieser Zeit gelte es, alles dafür zu tun, dass sie körperlich und geistig mobilisiert werden. Hier ist seiner Einschätzung nach die neue Technologie namens Tovertafel von großem Nutzen. Mittels eines Beamers können auf Tische oder Böden Spiele projiziert werden, die nach Angaben des Herstellers in Studien gezeigt haben, dass sie mithelfen, die Apathie erkrankter Menschen zu durchbrechen und zu sozialer sowie körperlicher Aktivität zu motivieren.
Während die fünf Frauen sich längst dem nächsten TovertafelSpiel widmen und laut die Sprichwörter vervollständigen, bei denen lediglich die ersten Worte auf dem
Tisch erscheinen, präsentiert die stellvertretende Stationsleiterin Tamara Neuner die zweite technische Neuerung der Station: Sie nennt sich Qwiek. Binnen Sekunden erscheint an der Wand das gerade etwas ältePatienten ren Menschen durchaus bekannte Gesicht des Musikers Rolf Zuckowski. Zusammen mit seinem Sohn begrüßt er die Zuhörerinnen und Zuhörer, stimmt bekannte Lieder an und lädt zum Mitsingen ein.
Neben dem Singen bietet Qwiek beispielsweise Geschichten über alte Handwerksberufe, die viele der Seniorinnen und Senioren noch kennen. Beides sind gute Wege, wie Neuner erklärt, sogenannte Biografiearbeit zu machen, also ins Erzählen zu kommen. Schließlich funktioniere das Langzeitgedächtnis von an Demenz erkrankten Menschen meistens noch sehr gut, es müsse aber eben angeregt werden.
Gut findet die stellvertretende Stationsleiterin auch, dass Qwiek ein fahrbares Gerät ist, dass Filme, Geschichten und Musik auch an die Decke oder an die Wand vis-à-vis von jedem Krankenbett projiziert werden können. Es komme also auch bei bettlägerigen Patientinnen und Patienten zum Einsatz. Und wenn beispielsweise die Einladung zu einem ruhigen Waldspaziergang mit allen Geräuschen und Bildern mittels Qwiek erscheint, habe man schon so manchen aufgebrachten, unruhigen oder verängstigten Patienten schnell beruhigen können. Das heißt, dass nicht nur die erkrankten Menschen von der Technik profitieren, sie erleichtere auch die Arbeit der Pflegekräfte.
Dass sich das BKH diese technische Neuerung überhaupt leisten konnte, ist auch der Kartei der Not zu verdanken. Das Leserhilfswerk unserer Redaktion hat die Anschaffung finanziell unterstützt. Schließlich ist es den beiden Vorsitzenden des Kuratoriums, Ellinor Scherer und Alexandra Holland, seit jeher ein Herzensanliegen, kranken Menschen beizustehen. Als sie erfahren haben, dass es eine Technik gibt, die Menschen, die schwer an Demenz leiden, aus ihrer Isolation lockt, ihre Therapie verbessert, ihnen Freude bereitet, waren sie sofort bereit, den Kauf dieser Geräte zu bezuschussen. „Alles, was das Leid dieser Menschen erleichtert, sollte getan werden“, sind sich die beiden Kuratoriumsvorsitzenden einig.
Und es gibt viele Erfolge, sagt Tamara Neuner. „Unsere Patientinnen und Patienten bekommen viel mehr mit, als man auf den ersten Blick meint.“Sie brauchen eben sehr viel Aufmerksamkeit, Fürsorge, Zeit, ergänzt Brigitte Rottach, die zur Pflegedirektion des BKH gehört. Auch ersetze die modernste Technik natürlich nie die direkte Erfahrung in der Natur. Das BKH ist in viel Grün eingebettet und hat auch Innenhöfe, in denen man Blumen und Bäume genießen kann. Dort wird natürlich auch mit einem realen Ball gespielt – selbst wenn der Strand fehlt.