Studie: Junge Leute sehen Fridays for Future kritisch
Der Augsburger Psychologe Rüdiger Maas fragt ab, wie Menschen jeden Alters über aktuelle Themen denken. Er sagt, Jüngere wollten kein Vorbild sein. Eine Sorge beschäftige sie vor allem
Herr Maas, Sie befragen regelmäßig Menschen allen Alters zu Themen wie der Corona-Krise, der Fridays-forFuture-Bewegung, dem Impfen oder der Wahl und schauen sich an, wie die Generationen zu den Themen stehen. Jetzt sind die neuen Ergebnisse erschienen. Was hat Sie überrascht? Rüdiger Maas: Wir hätten nicht erwartet, dass vor allem die Jungen Fridays for Future so kritisch sehen. Über 60 Prozent der unter 27-Jährigen, also die sogenannte Generation Z, sind nicht der Meinung, dass Fridays for Future viel erreicht hat. 23 Prozent sagen sogar, Fridays for Future hat überhaupt nichts gebracht. 30 Prozent halten die Bewegung für in sich widersprüchlich. Das ist erstaunlich, weil man diese Haltung eher bei den 40- bis 50-Jährigen verorten würde.
Sehen die das anders?
Maas: Nein, die Älteren sehen die Bewegung noch kritischer als die Generation Z. Vor allem die 68er argumentieren, dass sie selbst oft mit Vorbild vorangegangen sind und dies bei den Jungen oft vermissen. Aber auch hier zeigt sich wieder ein Unterschied der Generationen. Die Jungen wollen kein Vorbild sein, sondern ein Umdenken erreichen. Das ist ein Unterschied in der Herangehensweise.
Welche weiteren unterschiedlichen Denkweisen der Generationen haben Sie in Ihrer aktuellen Befragung unter 2210 Personen ausmachen können? Maas: 65 Prozent der unter 27-Jährigen haben Angst vor einem erneuten Lockdown. Bei den über 56-Jährigen haben diese Sorge im Vergleich nur 30 Prozent. Das verwundert aber nicht, denn gerade die Jungen müssten bei einem neuerlichen Lockdown auf verhältnismäßig viele für sie in diesem Alter entsprechende Sachen verzichten – beispielsweise Präsenzstudium, Partys oder Festivals. Sie hoffen deshalb, zeitnah an ihr „altes Leben“anzuschließen. Die Älteren dagegen gehen von einer neuen Normalität nach der Pandemie aus – wie Homeoffice oder Präsenz-Hybrid-Lösungen, Hygienevorschriften und Ähnliches mehr. Dieser Unterschied wirkt sich übrigens auch auf die Einstellung zum Thema Impfen von Jugendlichen aus.
Inwiefern?
Maas: 72 Prozent der Älteren lehnen das Impfen von Kindern ab zwölf ab. Dagegen sind 70 Prozent der unter 26-Jährigen dafür. Sie erhoffen sich so eine schnellere Rückkehr zu ihrem gewohnten Leben.
Sie haben das Institut für Generationenforschung mit Sitz in Augsburg gegründet und sammeln damit so viele Daten zu diesen Themen wie kaum ein anderes Institut in Deutschland. Was hat Sie dazu gebracht, dieses Thema so intensiv zu beleuchten?
Maas: Ganz generell das Interesse herauszufinden, warum Menschen unterschiedlich argumentieren und agieren. Vor fünf Jahren haben mich in meiner Arbeit als Unternehmensberater dann auch immer mehr Unternehmen angesprochen und berichtet, dass es ihnen schwerfällt, Nachwuchskräfte zu verstehen und sie zu motivieren. Wir wollten herausfinden, warum das so ist, aber die Datenlage hierzu war nicht besonders ausgeprägt. Daher haben wir uns entschieden, selbst eine Studie zu machen, und haben diese Daten mit Bekanntem verglichen. Dabei haben wir festgestellt, dass diese jungen Menschen zwischen 16 und 23 Jahren eine völlig andere Generation sind. Das war der Startschuss des Instituts für Generationenforschung.
Worin unterscheidet sich die Generation Z von den bisherigen Generationen? Maas: Diese Generation ist komplett digital und mit Social Media zudem aufgewachsen und hat einen ganz anderen moralischen Standard. Neben der digitalen Prägung gilt es daher für Arbeitgeber einiges zu beachten. Mit herkömmlichen Anreizen kann man da nicht mehr punkten, diese werden mittlerweile erwartet. Aber auch einen strukturierten Tagesablauf mit pünktlichem Feierabend und schon ab dem Vorstellungsgespräch auf Augenhöhe mitdiskutieren wollen sind nur einige Beispiele, die die neuen Nachwuchskräfte beschreiben. „Ich arbeite hier, weil ich es entschieden habe, nicht weil ich muss.“Für Arbeitgeber ist dies nun schon seit einigen Jahren eine geänderte Perspektive. Da prallen in den verschiedenen Generationen unterschiedliche Wertevorstellungen aufeinander, die mittlerweile gegenseitig oft nicht mehr übersetzbar sind.
Aber gab es solche Unterschiede zwischen den Generationen nicht schon immer?
Maas: Nein, in dieser Dimension ist das tatsächlich völlig neu. Die Generation Z agiert und bewertet in vielen Bereichen anders als vorhergegangene Generationen. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass wir eine Jugendkohorte haben, die flächendeckend mit so etwas wie einem Smartphone aufgewachsen ist. Wir haben eine Deckung von 99,7 Prozent. Um noch mal auf den Bereich der Arbeitswelt zu kommen, heißt das, das viele Junge in manchen Bereichen einen digitalen Wissensvorsprung gegenüber älteren Kollegen haben. Das gab es bislang so nicht und schafft völlig neue Gegebenheiten.
Welche weiteren Effekte der Digitalisierung können Sie für die Generation Z ausmachen?
Maas: Junge Menschen verbringen täglich zwischen vier und sechs Stunden im Netz. Wenn Sie jetzt noch Schlafen und Essen abziehen, dann bleibt wenig Zeit und Training für die analoge Welt. Während sie in der digitalen Welt darauf geschult werden, schnell Entscheidungen zu treffen, in dem sie beispielsweise einen Post bei Social Media liken oder binnen Sekunden entscheiden, welgesättigt chen Werbespot sie wegwischen und welchen nicht, fallen Entscheidungen in der analogen Welt schwerer. Dort unterstützen am Ende stark die Eltern in der Entscheidungsfindung. Uns rufen Universitäten an und fragen, wie es ihnen gelingt, die Eltern aus den Hörsälen zu bekommen, und Firmenchefs berichten, dass der 27-jährige Bewerber von Mama und Papa begleitet wurde.
Maas: Sowohl das Handy als auch das Internet haben viele Vorteile! Es geht darum, wie man sie nutzt. Die Digitalisierung ist nicht mehr umkehrbar, für die Jungen ist ein Leben ohne Internet nicht mehr denkbar. Um zu verstehen, welche Bedeutung das Netz für diese Generation hat, müssten sich die Älteren vorstellen, ein Leben ohne Schrift zu führen.
Hat es die Generation Z aufgrund dieser Erkenntnisse aus ihrer Sicht schwerer?
Maas: In bestimmten Bereichen ja. Nehmen wir das Beispiel Film. Wollte man früher etwas anschauen, musste man das um 20.15 Uhr machen, und der zweite Teil kam erst eine Woche später. Man musste also warten. Das ist heute undenkbar. Heute besteht die Sorge, aus all dem Angebot nicht das Maximum auszuschöpfen. Wir Psychologen sprechen deshalb von einer Optionsdepression. Wenn es zu viel Auswahl gibt, dann kann das negative Effekte haben. Dazu kommt, dass jungen Menschen beispielsweise durch Bewertungsportale viele Entscheidungen abgenommen werden. Sie übernehmen stattdessen die Ansichten der anderen und umgehen so negative Erfahrungen. Wenn sie eine solche dann aber einmal am Arbeitsplatz erleben, dann wissen sie nicht, was sie damit anzufangen haben. Das führt oft zu einem Unverständnis und wird als Kritik gegen die ganze Person aufgefasst.
Was bedeutet das für die Generationen und ihre Zukunft?
Maas: Viele fürchten, dass die verschiedenen Generationen auseinanderdriften. Aber vielmehr wird es so sein, dass die älteren Generationen auslaufen. Die Generationen, die nachkommen, werden eher werden wie die heutige Generation Z. Denn wie gesagt, die Digitalisierung können und wollen wir nicht rückgängig machen.
Interview: Andrea Wenzel
Rüdiger Maas hat Psycho loge und Philosophie stu diert. Seit 2017 leitet er das Institut für Generatio nenforschung in Augsburg.