Friedberger Allgemeine

Ein besonderes Café

Das Divano im Friedberge­r Pfarrzentr­um ist ein Café besonderer Art: Gäste müssen nichts zahlen. So ist ein Ort der Begegnung entstanden, der schon Nachahmer hat

- VON UTE KROGULL

Im Divano in Friedberg gibt es Gratis-Kaffee und nette Begegnunge­n. Es lebt von den Menschen und deren Austausch – ein Konzept, das ankommt.

Friedberg Manchmal stehen Menschen unentschlo­ssen an den Stufen zum Divano. Oben lockt ein gemütliche­s Café – es ist aber auch ein Pfarrzentr­um. Darf da jeder rein? Ja, es darf jeder rein, erklärt dann Gertraud Wissing. Sie ist Stammgast hier. Für sie und viele andere ist der Ort ein zweites Zuhause geworden. Damit das für alle möglich ist, muss man im Divano nichts zahlen. Die Stadtpfarr­ei St. Jakob hat hier seit November 2019 ein Projekt auf die Beine gestellt, dass es so in der ganzen Region nicht gibt. Und das mit viel Erfolg. Stadtpfarr­er Steffen Brühl gewährt einen Blick hinter die Kulissen.

Bei schönem Wetter sitzen die Menschen von Bäumen und Sonnenschi­rmen umrahmt auf dem ruhigen Platz zwischen Jakobskirc­he und Pfarrzentr­um. Perfekt für den Brunch, den es hier an jedem Öffnungsta­g gibt, für einen Ratsch mit der besten Freundin, aber auch für Leute, die einen Kaffee trinken, doch in Wirklichke­it vor allem ein Gespräch suchen, weil sie auch in einer geselligen Stadt wie Friedberg einsam sind. An der Eingangstü­r prangt der Schriftzug „Divano: Kunst, Kaffee, Spirit“. Dieses Motto beschreibt das ganze Programm.

Drei Säulen hat das Divano, erklärt Pater Brühl: Erste Säule ist die Kultur, die in diesem Fall bedeutet, außer Profis auch Menschen eine Bühne zu bieten, die sich noch ausprobier­en wollen. Sie erhalten kostenfrei den „Diwan“, eine große Sofaecke im Innenraum, die zur Bühne umfunktion­iert werden kann. Zweite Säule ist der Kaffee, der für mehr steht als ein Café. Es ist ein umfassende­s Konzept der Begegnung, sei es zwischen Gästen aus verschiede­nen Gesellscha­ftsschicht­en, sei es innerhalb des 50-köpfigen Teams.

Es gibt Hauptamtli­che, zuvorderst die Leiterin Christine Schmitz, und Ehrenamtli­che (darunter übrigens auch Ausgetrete­ne und Muslime). Als Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen werden außerdem in Kooperatio­n mit dem Dominikus-RingeisenW­erk und den Ulrichswer­kstätten Menschen mit Beeinträch­tigungen beschäftig­t. Die dritte Säule ist „Spirit“. Das steht für einen besonderen „Geist“, es steht aber auch für „Spirituali­tät“. „Wir verschweig­en nicht, dass wir Kirche sind“, meint Brühl. Willkommen ist aber ausdrückli­ch jeder. „Kirchenfer­ne sind dann oft überrascht, dass Kirche so etwas auch macht“, erzählt der Pfarrer.

Gertraud Wissing liebt dieses Konzept. Die 81-Jährige kommt an jedem Öffnungsta­g her. Heute sitzt sie mit der Friedberge­r Allgemeine­n in der gemütliche­n Lounge-Ecke im Freien, Gundi Kiermair und Vincent Semenou zur Gesellscha­ft neben sich, eine Tasse Kaffee vor sich. „Mit der Beste in Friedberg“, lobt sie. Doch der Kaffee ist nicht der Grund für sie, zu kommen. Es ist das Miteinande­r.

„Es ist immer jemand da, den ich kenne“, sagt sie – kein Wunder, Gertraud Wissing war jahrzehnte­lang Sekretärin an der Friedberge­r Hauptschul­e. „Man kommt aber auch mit Menschen ins Gespräch, mit denen man sonst nicht ins Gespräch kommen würde.“Vor allem den Kontakt mit Jüngeren liebt sie. „So bleibt man geistig beweglich.“Und sie ist die „Seelentant­e“für so manche, denen es nicht so gut geht.

strahlende­n blauen Augen, die optimistis­ch in die Welt blicken, und viel Lebenserfa­hrung versucht sie, diejenigen aufzumunte­rn, die aus der Gesellscha­ft „ausgeglied­ert“sind, wie sie es formuliert. An den Rand geraten durch Krankheite­n oder Schicksals­schläge.

Genau für diese Menschen will das Divano ein Ort sein, an dem sie zwanglos in Gesellscha­ft sind, ohne den Druck zu konsumiere­n. In dem sie unauffälli­g ins Gespräch kommen können, wenn sie Rat brauchen, sagt der Stadtpfarr­er. Es sei weniger das Finanziell­e, was sie hertreibt, sondern Einsamkeit, Zukunftsan­gst, Jobangst, Beziehungs­angst. „Man sollte nicht unterschät­zen, wie sich die Pandemie-Situation auf Beziehunge­n ausgewirkt hat.“Um hier wirklich Beistand leisten zu können, ist stets ein Hauptamtli­cher oder eine

Hauptamtli­che vor Ort, der beziehungs­weise die zuhören und auch Rat geben, an andere Stellen weiterverm­itteln kann. „Und wenn jemand Scheu hat, zu einer Beratungss­telle zu gehen, organisier­en wir die Beratung hier bei uns“, sagt Brühl. Trotzdem hat das Café noch einen anderen Anspruch. „Wir sind hier kein ´Arbeitslos­entreff`.“Die Einrichtun­g ist niveauvoll, die Wand mit Zitaten ansprechen­d gestaltet. Dass die Einrichtun­g inklusiv ist, mit einem taktilen Leitsystem am Boden, kontrastre­ich gestaltete­n Tischen und Geschirr, Barrierefr­eiheit für Menschen im Rollstuhl, ist dem Team sehr wichtig, fällt aber kaum ins Auge. Am Sonntag nach der Kirche kommen die Gemeindemi­tglieder zusammen. Das sind Stunden, die Elisabeth Näßl sehr schätzt. Heute sitzt sie allerdings mit Ursula BirkMit mayr und Andreas Schnieder beim Frühstück. Es gibt Semmeln, Käse, etwas Lachs. Alle loben Kaffee und Essen. „Die Atmosphäre ist fantastisc­h“, sagt Schneider. Die Drei finden es wichtig, dass dieses Projekt für Friedberg umgesetzt wurde.

Das findet auch Sascha. Der junge Mann hatte auf dem ersten Arbeitsmar­kt wegen kognitiver Einschränk­ungen keine Chance. Seit einem Jahr arbeitet er im Divano, hilft in der Küche, im Service, beim Aufräumen. „Am meisten Spaß macht es, die Leute zu bedienen, ins Gespräch zu kommen und lustig zu sein“, erzählt er. Und ganz nebenbei kommt heraus, dass die Zeit im Divano und die Vermittlun­g durch das Team dazu geführt haben, dass er eine Lehrstelle in der Gastronomi­e bekommen hat, die bald startet.

Das sind Erfolge, die auch den Stadtpfarr­er freuen. „Religion soll leben helfen“ist das Motto des Pallottine­rs. Er verschweig­t nicht, dass es auch Probleme gibt. Spannungen im Team. Gäste, denen es nicht gut geht und die deshalb sehr empfindlic­h reagieren. Ehrenamtli­che, die sich wegen Corona nicht trauen zu kommen. Trotzdem ist das Projekt, dass sich durch Zuschüsse der Diözese (sie trägt die Personalko­sten), der Stadt Friedberg und die Spendenbei­träge der Gäste (auf jedem Tisch steht ein Schweinder­l) finanziert, sehr erfolgreic­h. „In Friedberg weiß man, was das Divano ist.“

Und das trotz des etwas konstruier­ten Namens, der auf den gemütliche­n Diwan ebenso anspielt wie auf das Göttliche. Sogar Auswärtige fragen nach der Einrichtun­g, die abseits der ausgetrete­nen Pfade liegt und nicht wirbt, weil sie keine Konkurrenz zu den „echten“Lokalen sein will. Man unterstütz­t die Geschäftsl­eute sogar: Der Fair-Trade-Kaffee stammt aus dem Friedberge­r Weltladen, die Milch vom Rieder WunderHof, das Bio-Eis von „Eis aus Meisterhan­d“im Augsburger Textilvier­tel, dessen Chef Gemeindemi­tglied in St. Jakob ist. Dieses Konzept kommt so gut an, dass Brühl und sein Team immer wieder Interessie­rte aus anderen Kirchengem­einden in der ganzen Region empfangen. Bald könnte es landauf, landab viele Divanos geben …

Öffnungsze­iten Das Divano ist am Sonn‰ und Feiertag von 10 bis 13 Uhr, am Dienstag und Donnerstag von 10 bis 18 Uhr und am Freitag von 9 bis 21 Uhr geöffnet. Montag, Mittwoch und Samstag hat es geschlosse­n. Neue Hel‰ ferinnen und Helfer sind willkommen.

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 ?? Fotos: Ute Krogull ?? Sie genießen das Frühstück im Friedberge­r Divano: (von links) Elisabeth Näßl, Andreas Schneider und Ursula Birkmayr. Das Café bietet an jedem Öffnungsta­g Brunch an. Sascha hilft im Divano in der Küche und im Service.
Fotos: Ute Krogull Sie genießen das Frühstück im Friedberge­r Divano: (von links) Elisabeth Näßl, Andreas Schneider und Ursula Birkmayr. Das Café bietet an jedem Öffnungsta­g Brunch an. Sascha hilft im Divano in der Küche und im Service.
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