Ein Zeitzeuge erinnert sich an tödliche Schüsse
Als 17-jähriger Flakhelfer musste Hermann Hartmuth miterleben, wie ein Gefangener in Haunstetten zur Hinrichtung geführt wurde. Warum er eine Straße in Augsburg umbenennen würde
Der Augsburger Hermann Hartmuth hat in seinem Leben viel erlebt. Er war Leiter der Deutschen Schule in Kapstadt und unterrichtete Kinder im Iran. Er kannte Lehrer von Bert Brecht persönlich und erlebte, wie aus dem „Realgymnasium“das „Peutinger“wurde. Doch ein Erlebnis aus seiner Jugend hat sich tief ins Gedächtnis des 95-Jährigen gegraben. Als er jetzt in der Augsburger Allgemeinen vom Alten Schießplatz las und der Vermutung, dass dort im Dritten Reich Menschen hingerichtet wurden, habe er sich aufgerufen gefühlt zu erzählen, was er als 17-jähriger Flakhelfer dort erlebte.
„Im Artikel stand, dass dort wohl Menschen hingerichtet wurden“, sagt Hartmuth. „Ich kann, als vielleicht letzter Zeitzeuge, mit Sicherheit bestätigen, dass es dort Erschießungen gab“, bekräftigt er. „Ich wurde von Februar 1943 bis April 1944 als Flakhelfer in der Nähe der Firma Messerschmitt in Haunstetten zum Hilfsdienst in einer Flakbatterie verpflichtet“, schildert der Zeitzeuge. Etwa alle drei oder vier Wochen wurden die jungen Helfer durch die Hauptstraße zum Schießplatz im Wald zur „vormilitärischen Ausbildung“geführt. Die vormilitärische Ausbildung sei für alle jungen Männer ab 16 Jahren Pflicht gewesen – dazu gehörte auch der Umgang mit der Schusswaffe.
Eines Tages sei das Tor zum Schießplatz geschlossen gewesen und die jungen Männer mussten draußen warten. „Plötzlich erschien ein Wehrmachtswagen mit einem Gefangenen vor dem Tor. Wir sahen, wie der Gefangene gefesselt hineingebracht wurde. Dann hörten wir eine Salve von Schüssen“, erinnert sich Hermann Hartmuth. Kurz darauf sei der zum Tode verurteilte in einer Kiste herausgetragen worden. „Als wir in den Schießplatz geführt wurden, sahen wir einen Pfosten und am Boden Blut, das weggeputzt wurde“, so der Augenzeuge.
Die Erschießung ist nicht das
Einzige, woran er sich von seiner Zeit als junger Flakhelfer erinnert. „Wir hatten unsere Batterie im Süden bei Messerschmitt und mussten immer zu Fuß zum Schießplatz laufen.“Regelmäßig seien ihnen dabei Kolonnen von KZ-Häftlingen entgegengekommen, die auf dem Weg zum Arbeitseinsatz im Messerschmittwerk waren. „Das waren lange Schlangen, zehn Menschen in gestreifter Kleidung nebeneinander und mindestens 60 Meter lang“, so der Zeitzeuge. Für ihn ist unbegreiflich, warum es heute immer noch in Augsburg eine Professor-Messerschmitt-Straße gibt, obwohl der Industrielle nachweislich von den Taten der Nationalsozialisten profitierte. Hartmuth selbst wurde unmittelbar nach seinem 18. Geburtstag in die Wehrmacht eingezogen. „Da gab es damals keine Widerrede – wer nicht wollte, wurde erschossen“, erinnert er sich. Den Kriegseinsatz im Elsass überlebte er nur knapp – nach einem Bauchschuss war für ihn der Krieg zu Ende.
Nach dem Krieg ging er als Lehrer an seine ehemalige Lehranstalt zurück – das Realgymnasium, in dem auch Bert Brecht die Schulbank gedrückt hatte. Noch heute hat er den Schulbericht aus dem Schuljahr 1939/1940, in dem nicht nur die ehemaligen Klassenkameraden stehen, von denen kaum mehr einer lebt. Auch die Lehrer des Gymnasiums sind dort aufgelistet – einige von ihnen mit ihren Posten und Titeln in der Nationalsozialistischen Partei.