Hilfe, das Wohnen wird bald unbezahlbar!
Bauen & Wohnen Die Mieten verschlingen mancherorts über 40 Prozent des Haushaltseinkommens, in nur einem Jahr sind die Kaufpreise in Bayern um elf Prozent gestiegen. Familien, Paare und Singles geraten an ihre Belastungsgrenze
Im Lockdown wird es in einer Zweizimmerwohnung für eine Familie zu eng
Töchterchen Angelina, fast sechs Jahre alt, malt mit Filzstiften ein Pferd aus, es sind ihre Lieblingstiere. Hier, im Wohnzimmer, hat sie ihren rosa Maltisch aufgestellt, auch ein Spiegel gehört dazu. Gleich daneben steht der Wohnzimmerschrank, an den ihre schönsten Zeichnungen geheftet sind, dazwischen muss der Fernseher der Eltern stehen, auch der Esstisch ist nicht weit. Darüber haben die Eltern Bilder von ihr aufgehängt, auf denen man sieht, wie Kinder Stück für Stück älter werden und wachsen. Sandra G., 43, und ihr Mann Sebastian M., 42, haben ihre Wohnung liebevoll und mit Bedacht eingerichtet. Doch der Platz ist knapp. Das zwingt zu Kompromissen. Die Familie bewohnt eine Zweizimmerwohnung in Augsburg. Die Nachbarschaft ist gut, das Zusammengehörigkeitsgefühl groß, die Miete bezahlbar. Doch die Eltern wissen auch, dass der Platz in der Wohnung nicht reichen wird, je älter ihr Kind wird.
„Wir wohnen seit 15 Jahren in Augsburg-Lechhausen“, berichtet Sandra G., eine entschlossene, anpackende Frau, die ehrenamtlich bei der Tafel mitarbeitet, wenn es die Zeit zulässt. „Momentan leben wir immer noch in unserer kleinen Dachgeschosswohnung mit Kind zur Miete“, sagt sie. „Angelina hat kein eigenes Kinderzimmer, sie kommt jetzt im September in die Schule.“Deshalb ist die kleine Familie dringend auf der Suche nach einer bezahlbaren Dreizimmerwohnung zur Miete. Ein Zimmer mehr wäre für die Familie ein sehr großer Fortschritt. Doch es ist kaum zu haben oder unbezahlbar.
„Auf dem freien Wohnungsmarkt liegen die Mieten in Augsburg für eine Dreizimmerwohnung über 1000 Euro“, berichtet Sandra G., das ist kaum darstellbar. Die Familie ist mit diesem Problem in Deutschland längst nicht mehr alleine.
Unsere Redaktion hat mit Betroffenen über das Problem gesprochen. Diese gaben uns offen Einblick in ihre Situation, baten aber meist, ihre Familiennamen nur abgekürzt zu drucken.
Fast die Hälfte der rund 8,4 Millionen Miethaushalte in den deutschen Großstädten muss mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens ausgeben, um die Warmmiete zu bezahlen. Diese Zahlen legte kürzlich die Hans-Böckler-Stiftung vor. Betroffen sind 6,5 Millionen Menschen. Ihre Lage sei prekär. Denn unter Sozialwissenschaftlern wie Immobilienexperten gelte eine Mietbelastung über 30 Prozent des Haushaltseinkommens als problematisch, weil dann nur noch wenig Geld für das sonstige Leben bleibt – für Ernährung, Bildung, Urlaub, Möbel, Kleidung und für Rücklagen zur privaten Altersvorsorge. Gut ein Viertel dieser Haushalte müsse sogar mindestens 40 Prozent des Nettoeinkommens in die Miete stecken.
Die Folgen der Immobilienpreis-Explosion wie auch der Wohnungsnot haben längst auch die Mittelschicht erfasst.
Sandra G. und Sebastian M. haben eigentlich gute Berufe. Sie ist staatlich geprüfte Betriebswirtin, er hat lange Zeit als Chefkoch in München gearbeitet. Noch vor der Corona-Krise haben sie überlegt, eine Wohnung für die kleine Familie zu kaufen. „Doch die Preise waren längst enteilt“, berichtet die 43-Jährige. „Wenn ich mir den Augsburger Wohnungsmarkt anschaue, kann es doch nicht sein, dass der Preis für Dreizimmerbei 500 000 Euro aufwärts liegt“, sagt sie. „Wer, außer reichen Menschen, soll diese Preise bezahlen können?“Beide machten sich auf die Suche nach einer Mietwohnung und hätten fast eine Lösung in einer anderen Stadt gefunden. Dann kam die Pandemie dazwischen.
Die Corona-Epidemie rüttelte die Wirtschaft durcheinander. Sandra G. hatte ihre Arbeit gewechselt und war zunächst arbeitslos. Inzwischen hat sie wieder eine gute Stelle als Teilzeit-Büroangestellte in einem Handwerksbetrieb in Landsberg gefunden, mit der sie sehr zufrieden ist, sie pendelt allerdings 90 Kilometer. In der Gastronomie holpert es nach der Corona-Krise noch, ihr Mann muss sich gegenwärtig mit Hilfsjobs über Wasser halten.
Der Lockdown in der Corona-Pandemie hat die Enge der Zweizimmerwohnung noch stärker vor Augen geführt. Doch mitten in der Pandemie wurde die Wohnungssuche in der Stadt zum aussichtslosen Unterfangen. Wie sollen sie 1000 Euro auf dem privaten Wohnungsmarkt bezahlen? „Dafür braucht man zwei feste Stellen“, sagt sie. „Ganz zu schweigen von den Augsburger Löhnen, wenn man in Stellenanzeigen liest: Wir zahlen Ihnen elf Euro in der Stunde. Wie bitte soll man mit diesem Gehalt überleben?“, fragt sie sich, während Tochter Angelina der Mama immer wieder mal auf den Schoß klettert.
Bliebe der soziale Wohnungsbau. Doch bei den nicht-städtischen Wohnbaugenossenschaften hagelte es Absagen. „,Frau G., es tut uns leid, wir können Ihnen keine Wohnung anbieten‘, hieß es“, berichtet die gebürtige Schongauerin. Sandra G. legte ihre Probleme der politischen Spitze der Stadt dar. Die Politikerinnen hätten ihr versichert, dass sie ein Anrecht auf eine geförderte Wohnung habe, berichtet sie. Nur auf der Warteliste stünden hunderte andere Bewerberinnen und Bewerber. „Gleichzeitig sieht man in der Stadt Plakate, dass Luxuswohnungen entstehen. Auf meine Frage, warum dies sein müsse, lautete die Antwort, dass man kaufkräftige Leute in Augsburg brauche, die Steuern bezahlen und Geld in der Stadt lassen“, sagt sie. „Ich frage mich nur, wo dann die Durchschnittsfamilie bleibt, die Arbeiter und Rentnerinnen?“
Dabei ist Augsburg nicht einmal der Hotspot der Miet- und Immobilienpreise. In München ist die Situation längst außer Rand und Band.
Julia lebt im Münchner Stadtteil Westend, nicht weit ab von der Theresienwiese. Ein Viertel, das in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden ist. Angesagte Bars und Cafés reihen sich aneinander, hinter manchem Altbau versteckt sich ein schmucker Hinterhof, im Bavariapark entspannen sich Grüppchen bei einem Bier und in den Sommermonaten stehen zahlreiche Bierzelte auf dem bekannten Münchner Festplatz.
Mit der Beliebtheit im Viertel ist auch der Mietpreis gestiegen. Für ihre 34 Quadratmeter große Einzimmerwohnung im Westend zahlt Julia 1040 Euro im Monat. Um genau zu sein: Die Kaltmiete liegt bei 950 Euro, dazu kommen 40 Euro Nebenkosten, also insgesamt 990 Euro, die sie an ihre Vermieter bezahlt. Weitere Kosten sind 50 Euro für Strom und Wasser, wie die 39-Jährige, die aus dem Rheinland kommt und nun seit zehn Jahren in München lebt, berichtet. Aus Bangen, ihre Wohnung zu verlieren, wenn ihre Vermieter ihren Schritt an die Öffentlichkeit mitbekommen, möchte Julia ihren Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen. Denn auf den Quadratmeter heruntergerechnet zahlt sie kalt 27,94 Euro, warm 30,59 Euro. Ihre monatliche Miete übersteigt die ortsüblichen Preise damit um etwa 50 Prozent.
Das möchte Julia nicht länger akzeptieren. Für ihre aktuelle Situation findet sie deutliche Worte: „Wohnen ist ein Grundrecht und deswegen sind diese Wuchermieten nicht gerecht“, sagt die Frau mit blond gewellten Haaren und unterstreicht ihre Worte mit einer energischen Handbewegung. Sie fügt hinzu: „Es kann doch nicht wahr sein, dass das solche Ausmaße angenommen hat.“Seit Dezember 2020 wohnt Julia in ihrem Apartment. Damals musste sie aus ihrem möblierten Zimmer innerhalb von zwei Wochen ausziehen und sich kurzfristig etwas Neues suchen. „Eine Wohnung innerhalb von München in so kurzer Zeit zu finden, ist unmöglich“, sagt sie resigniert. Damals habe sie sich so viele Wohnungen angeschaut, bevorzugt im Westend und in angrenzenden Vierteln, weil sie dort arbeite und ihre meisten Freunde lebten. Alle freien Mietobjekte, die sie besichtigt habe, seien zwischen 30 und 40 Quadratmeter groß gewesen und lagen bei etwa 1000 Euro im Monat.
Wenn Julia ihre Wohnungstür aufschließt, steht sie in einem kleinen Vorraum mit ihrem einzigen Schrank, in dem sie alles von Ordnern mit der Steuer über ihren Staubsauger bis zu ihrer Kleidung lagert. Vier Schritte weiter tritt sie bereits in ihren größeren, aber auch einzigen Wohnraum. Gleich rechts von ihr ist der Kühlschrank mit eiwohnungen ner Schublade, in der sie ihre Vorräte aufbewahrt. Darauf folgt ein Schränkchen mit Schubladen, dicht daran gedrängt stehen ihre Bücherregale mit ihren liebsten Büchern, die sich in zwei Reihen und teilweise auch übereinander stapeln. Davor findet gerade noch ein schmales Tischchen mit einem Stuhl sowie eine kleine Sitzbank Platz, die vor der Fensterfront zum Balkon steht. Auf der anderen Seite der Wohnung nimmt ihr Bett einen Großteil des Raums ein, auch darunter müssen Gegenstände verstaut werden, weil sonst kein Platz ist. Das Kopfteil ihres Holzbettes verdeckt fast den kleinen Tisch mit einem Computer und Stuhl, der wiederum nur knapp einen Meter entfernt von ihrer Küchenzeile steht. Auf ihren drei Küchenschränkchen müssen das Geschirr und ihre zwei größeren Töpfe unterkommen, daneben thront eine Stereoanlage.
Das ist Julias Zuhause. Hierher lädt sie ihre Freunde ein, mit mehr als sechs Personen wird es aber eng, hier tanzt sie gerne, bereitet ihre Mahlzeiten zu, schreibt an ihrem Computer, ruht sich auf dem Bett aus, liest dort oder schaut über ihr Tablet Fernsehen. Alles auf 34 Quadratmetern. „Das Badezimmer ist zum Glück extra“, fügt Julia scherzhaft hinzu. Mittlerweile hat sie sich an die kleine Wohnung gewöhnt. Sie hat es sich gemütlich gemacht: Bilder zieren die Wände, dazwischen stehen Pflanzen, auf ihrer bunten Bettwäsche liegt eine Tagesdecke und auf dem Balkon zieht sie neben ihrer trocknenden Wäsche Gemüse und Kräuter. Trotzdem scrollt sie noch oft auf ihrem Handy durch die Mails, die sie von Immobilienplattformen zu freien Wohnungen in ihrer Gegend zugesendet bekommt.
So wie Julia leben in ihrem Wohnblock aus den 70er Jahren weitere 169 Hausstände. Wand an Wand reihen sich quadratisch geschnittene Einzimmerwohnungen mit Balkon aneinander und stapeln sich förmlich auf neun Stockwerken in die Höhe. Julias Nachbar zahlt an seine Vermieter 700 Euro für eine vor zwei Jahren sanierte Wohnung. Ihre andere Nachbarin mietet ihr Apartment über eine Firma, die möblierte Immobilien auf Zeit anbieten, und blättert monatlich 1200 Euro hin. Alle für exakt dieselben 34 Quadratmeter.
Die teure Miete im Münchner Wohnblock, in
Einfamilienhäuser zum Kauf für 900 000 Euro plus Nebenkosten
dem Julia lebt, ist kein Einzelfall, sondern Teil eines Problems, das in der Großstadt seit Jahren bekannt ist: wenig bis kein bezahlbarer Wohnraum. Ändern möchte das Matthias Weinzierl, Sprecher der bundesweiten Kampagne „Mietenstopp“. Zuvor führte er das bayerische Volksbegehren, das sich für einen sechsjährigen Mietenstopp einsetzte. Nachdem das Verfassungsgericht den Berliner Mietendeckel, der die steigenden Mieten in der Hauptstadt bremsen sollte, im Frühjahr kippte, da dieser gegen das Grundgesetz verstößt, war auch das Vorhaben des bayerischen Volksbegehrens hinfällig. Seitdem versucht der 49-Jährige deutschlandweit Kräfte gegen das Mietproblem zu mobilisieren. Er selbst lebt im extrem beliebten Münchner Viertel Schwabing in einer Genossenschaftswohnung auf 85 Quadratmetern, für die er monatlich 850 Euro zahlt. Eine glückliche Situation, wie er weiß. In München zahlten Mieter und Mieterinnen 2020 im Durchschnitt 18,61 Euro kalt pro Quadratmeter.
Mietenstopp-Initiator Weinzierl berichtet, dass mittlerweile viele Menschen eine Wohnung in der Stadt nicht mehr bezahlen können und stattdessen zur Arbeit pendeln. Wenn es in den Vierteln keine Mischung mehr gebe, weil einkommensschwache Personen raus an den Stadtrand verdrängt werden, habe das Auswirkungen auf das soziale Gefüge. Menschen, die ihr ganzes Leben in München gelebt hätten, gingen in Rente und könnten sich die Stadt nicht mehr leisten. Studierende Kinder von Münchner Familien könnten aufgrund der hohen Kosten nicht von zu Hause ausziehen. Für ihn ist das eine „Fehlentwicklung, die die Politik mit verantworten muss“. Längst seien die hohen Mieten nicht nur in München, sondern bundesweit ein Problem.
In München seien die Mieten zwischen 2011 und 2020 um 65 Prozent gestiegen, in Augsburg um 62 Prozent, berichtet Monika Schmid-Balzert, Geschäftsführerin des Deutschen Mieterbundes in Bayern. Das hat eine Kleine Anfrage der Linken an die Bundesregierung ergeben. „Überall dort, wo die Verkehrsanbindung gut ist, steigen die Preise“, sagt sie. Mit dem ICE ist man von Augsburg schnell in München. Aber auch im Oberallgäu legten die Mieten um über 60 Prozent zu, im
Kreis Donau-Ries um 58 Prozent. „Löhne und Renten halten da kaum mit“, sagt die Expertin, auch Alleinerziehende trifft es hart. „Doch längst sind nicht mehr nur Menschen in anderen Lebensumständen oder prekären Arbeitsverhältnissen betroffen. Das Problem hat längst die Mittelschicht erreicht“, betont die Expertin. In München habe manche Bürgerin oder mancher Bürger im Rentenalter noch einen oder zwei kleine Jobs, um das Wohnen bezahlen zu können.
Eigentlich gibt es in Deutschland eine Mietpreisbremse, doch diese funktioniere nicht, sagt Schmid-Balzert. Ein Grund: Wer klagt gegen seine Vermieterin oder seinen Vermieter, wenn man gerade eine neue Mietwohnung gefunden hat? „Das Problem hoher Mietpreise muss auf die politische Agenda, es kann nicht dem freien Markt überlassen werden“, sagt sie. „Der Markt regelt es nicht. Wir brauchen nicht nur Luxuswohnungen, sondern bezahlbaren Wohnraum.“Oder wieder deutlich mehr der Wohnungen, die der Staat noch vor wenigen Jahren verkauft hat.
Ein Problem ist, dass die Bodenpreise zuletzt stark gestiegen sind und das Bauen verteuern. „In München macht der Bodenpreis teilweise 80 Prozent der Baukosten aus“, erklärt die Expertin. „Boden aus öffentlicher Hand darf deshalb nicht einfach meistbietend verkauft werden, sondern muss zu einem großen Anteil dem sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehen“, sagt sie. Ein Problem ist auch, dass sich die öffentliche Hand aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen habe. Der soziale Wohnungsbau müsse steuerlich attraktiver gemacht werden. „Wir fordern eine neue Gemeinnützigkeit“, erklärt sie. Der Mieterbund schlägt noch ein ganzes Bündel anderer Maßnahmen vor. Bis sich etwas ändert, sollten die Mieten eingefroren werden, fordert Schmid-Balzert. Der Mieterbund hat sich deshalb der Kampagne „Mietenstopp!“angeschlossen.
Das Problem hoher Mietpreise ist in vielen Städten präsent, doch nur wenige Mieter und Mieterinnen redeten in der Öffentlichkeit über ihre Kosten und welchen Anteil diese an ihrem Gehalt haben, erklärt Mietenstopp-Organisator Weinzierl. Viele hätten Angst, dass sie ihre Wohnung verlieren könnten.
Julia zahlt für ihre Miete etwa 30 Prozent ihres Gehalts, wie sie offen sagt. Sie ist eigenständig, Single und mag ihre Freiheiten. Das Mietsystem findet sie super, da sie sich „kein Eigentum ans Bein binden“möchte und sich eher vorstellen kann, an unterschiedlichen Orten in ihrem Leben zu wohnen. „Das System ist gut, aber es ist komplett aus den Fugen geraten“, sagt Julia. Sie hofft, dass sie anderen Mietern und Mieterinnen im Haus, die meist jung seien und auch viel zahlten, helfen kann, wenn sie an die Öffentlichkeit geht und für ihre Rechte kämpft. Auch möchte sie sich für Menschen einsetzen, die im Wohnungsmarkt und in der Gesellschaft benachteiligt werden.
Ihr Vorhaben gründet auf Beobachtungen, die Julia in ihrem sozialen Umfeld macht: „Freunde und Familien, ob in der Stadt oder mittlerweile auch im ländlichen Bereich – alle stöhnen über die Miet- und Grundstückspreise.“Eine von Julias Freundinnen lebt in München mit ihrem Baby in einer Einzimmerwohnung, aufgrund des mangelnden Platzes wickelt sie ihr Kind auf der Waschmaschine. Ihre Schwester in Berlin müsste durch den gekippten Berliner Mietendeckel wieder 200 Euro mehr im Monat zahlen. In keiner der Münchner Familien, die sie kenne, hätten die Kinder ein eigenes Kinderzimmer. Einige ihrer Freunde hätten Glück und lebten in Genossenschaftswohnungen, andere erhielten Kündigungen wegen Eigenbedarfs.
Doch hohe Preise spüren nicht nur Mieter, sondern auch alle, die ein Eigenheim oder eine Wohnung für ihre Familien kaufen wollen.
Julia W. und ihr Mann sind beide Anfang 30, beide berufstätig und wohnen in einer kleineren Eigentumswohnung in Augsburg-Hochzoll. Sie arbeitet als Flugbegleiterin, ihr Mann ist Lehrer und bräuchte ein Arbeitszimmer. Für eine junge Familie wäre mehr Platz gut, idealerweise auch ein Garten. Das Paar machte sich deshalb auf die Suche nach einem Einfamilienhaus zum Kauf.
„Wir dachten anfangs, wir sind mit unseren Berufen gut aufgestellt“, beschreibt Julia W. den Start. „Es war jedoch ernüchternd zu sehen, in welche Regionen sich die Preise hinbewegen“, sagt sie. Bei Einfamilienhäusern seien sie mit Preisen von 800 000 bis 900000 Euro plus Nebenkosten konfrontiert gewesen. Doppelhaushälften bewegten sich im gleichen Umfang. „Ich bin fast vom Glauben abgefallen, als in Hochzoll-Nord für eine neue Doppelhaushälfte ohne Keller rund 980000 Euro aufgerufen wurden“, erinnert sich die Augsburgerin. „Damit würde man ein Leben lang nur für den Immobilienkredit arbeiten, das kann es nicht sein.“
Beide haben inzwischen ihre Ziele korrigiert und sehen sich nach einer Vierzimmerwohnung um. Julia W. hat sich auf Immobilienportalen angemeldet, bekommt bei neuen Angeboten PushNachrichten auf das Smartphone. Das Paar schaut sich bei Bauträgern um und hält im Bekanntenkreis die Ohren offen. Doch: „Der Markt ist fast leer gefegt – manchmal werden auch Objekte angeboten, die uns den Preis nicht wert erscheinen“, sagt sie. Mit den Problemen sind sie nicht allein. Vielen jungen Paaren geht es so. „Es ist keine schöne Richtung, in die sich dies entwickelt“, sagt die Augsburgerin. „Es ist schade, wenn man in der Stadt kaum Wohnraum findet, um zum Beispiel ein Kind großzuziehen. Ich fühle mich in meiner Zukunftsplanung eingeschränkt“, schildert sie die Situation.
Die Bauzinsen mögen derzeit niedrig sein, dies hilft aber wenig, wenn die Immobilienpreise explodieren. „Die Frage ist, ob die Preissteigerungen nicht die Verringerung des Zinssatzes kompensieren“, gab kürzlich Merten Larisch von der Verbraucherzentrale Bayern im Gespräch mit unserer Redaktion zu bedenken. „Den Menschen galoppieren die Preise weg“, sagt er. Allein 2020 legte im Freistaat der durchschnittliche Kaufpreis für bestehende Häuser und Wohnungen um satte elf Prozent zu, berichtet die Bausparkasse LBS.
Die hohen Baukosten zu stemmen, stellt die Mittelschicht in Deutschland zunehmend vor ein Problem. Auf einen Aufruf unserer Redaktion meldete sich zum Beispiel ein Paar aus dem südlichen Landkreis Augsburg. Er ist Beamter im mittleren Dienst, 34 Jahre, sie Handwerksmeisterin, 30 Jahre. Die beiden haben zwei Kinder, hätten gerne ein drittes und haben deshalb den Hausbau geplant. Ein Grundstück für rund 140000 Euro haben sie sich gesichert und hätten gerne ein Holzhaus darauf gestellt, nichts Extravagantes.
Doch zuletzt sind die Holzpreise in die Höhe geschossen. „Es gab kein Angebot für ein Holzhaus unter 650000 Euro, das war ein Schock für uns“, beschreibt es der Familienvater.
Die Familie plant jetzt mit einem Ziegelbau und hofft, die Baukosten mit Eigenleistungen unter 500000 Euro drücken zu können. Sonst müssten sie das Grundstück notgedrungen zurückgeben.
Eine Frau, die 30 Euro pro Quadratmeter an Miete zahlt.
Ein junges Paar, dem eine Doppelhaushälfte für fast eine Million Euro angeboten wird.
Eine Familie, die den Traum vom ökologischen Holzhaus begraben muss, weil die Baukosten davonlaufen.
Das Thema Wohnen ist für sie so brisant wie nie zuvor.
Sandra G. weiß aus ihrem ehrenamtlichen Engagement bei der Tafel in Augsburg, dass es vielen Menschen wie ihrer Familie geht. Sie wünscht sich innovativere Ideen – Baugenossenschaften, MehrGenerationen-Wohnen bis hin zu Grundstücken, die in Erbpacht vergeben werden. Für ihre eigene Familie hat sie noch die Hoffnung, etwas Passendes zu finden. Ihre Anfrage bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft läuft noch. Vielleicht bekommt sie für sich, ihren Mann und ihre Tochter doch noch eine bezahlbare Dreizimmerwohnung zur Miete, mit Balkon oder einem Garten davor. Zu einem Preis, der nicht höher ist als ein Drittel ihres Haushaltseinkommens. „So, dass es eben noch menschlich ist“, sagt sie.