Der ewige Rebell
Paul Breitner war als Fußballer ein Ausnahmetalent und gewann alles, was es zu gewinnen gibt. Nur „Mund halten und Diplomat sein“konnte er nie. Am Sonntag wird Breitner 70
München Da Hansi Flick gerade als Nachfolger von Joachim Löw seine ersten Länderspiele als Bundestrainer bestreitet, drängt sich eine Preisfrage auf. Wer hatte 1998 den Posten nach Berti Vogts inne? Die richtige Antwort lautet Erich Ribbeck. Und doch ist das nur die halbe Wahrheit. Denn vor der Ernennung von „Sir Erich“durfte sich für etwa 17 Stunden Paul Breitner als Bundestrainer fühlen. Zumindest hatte das der damalige allmächtige DFBPräsident Egidius Braun für sich im Stillen beschlossen und auch so mit dem Weltmeister von 1974 besprochen, bevor doch alles anders kam.
Brauns Idee, ausgerechnet dem Revoluzzer und Querkopf Breitner das höchste Traineramt im deutschen Fußball anzuvertrauen, war so spektakulär wie irrational. Sie konnte kaum Realität werden. Das merkte auch Braun, als er nach seinem Einfall ein Interview las, in dem sein frisch Auserwählter in typischem Klartext verkündete: „Die alten Zöpfe beim DFB müssen abgeschnitten werden.“Braun rief, so ist es überliefert, Breitner sofort an: „Es tut mir leid. Ich kann keinen einstellen, der meinen Rücktritt fordert.“
Nach 17 Stunden war die Idee Geschichte. Breitners schillernde Fußballer-Karriere wurde somit nicht um ein spannendes TrainerKapitel erweitert. Mehr als 20 Jahre danach ist das aber nur eine Episode im Leben des Urbayern, der an diesem Sonntag 70 Jahre alt wird. Den Ehrentag wird er mit Frau und Kindern ohne großes Tamtam im kleineren Kreise feiern. „Ich begehe und feiere jeden Geburtstag gleich, weil ich nicht einsehe, warum eine runde Zahl wichtiger sein soll als eine andere“, sagt Breitner.
Die Aussage passt zu einem, der immer anders war, der als Profi als Rebell galt, die Mao-Bibel las, sich vor einem Bild von Chinas kommunistischem Staatspräsidenten Mao Tse-tung ablichten ließ und sein Querkopf-Image pflegte. Nach der aktiven Kicker-Laufbahn war Breitner ein gefürchteter Boulevard-Kolumnist, der niemanden schonte. Seinen früheren BayernSpezi und späteren WeltmeisterTeamchef Franz Beckenbauer erklärte er etwa 1988 zum „Totengräber“des deutschen Fußballs. Er selbst charakterisierte sich einmal so: „Als Fußballprofi konnte ich nur eines nicht: Mund halten und Diplomat sein.“
Das Bild des Fußballers Breitner hat sich jedem Augenzeugen dieses Weltklassespielers aus dem oberbayerischen Kolbermoor eingebrannt: Wuschelkopf, heruntergezogene Stutzen, dazu ein entschlossener Blick. „Ich habe Fußball immer gespielt, um zu gewinnen“, sagt Breitner.
Mit 18 unterschrieb er beim FC Bayern einen Profivertrag. Udo Lattek formte ihn als Trainer zu einem neuen Typus des Offensivverteidigers um. Mit 19 war Breitner Nationalspieler, mit 20 Europameister, mit 22 Weltmeister. Alles geschah zeitlich im Gleichklang mit seinem damals besten Kumpel Uli Hoeneß, der exakt vier Monate nach ihm 70 wird und mit dem er als Profi einst ein Zimmer und viele Interessen teilte. Es gibt ein legendäres Bild der beiden Lockenköpfe, wie sie in Badehose vor einem Oldtimer posieren. In der Gegenwart teilen Breitner und Hoeneß nicht mehr viel, ihre Beziehung ist gestört.
Als Weltmeister wechselte Breitner 1974 zu Real Madrid, wohin er zu Fuß gegangen wäre, wie er in der
BR-Doku „Einfach Paul“zu seinem 70. erzählt. Gemeinsam mit Günter Netzer wurde er spanischer Meister. Er spielte 1975 in einem Western mit dem Titel „Potato Fritz“mit. Nach einem einjährigen Intermezzo bei Eintracht Braunschweig kehrte er 1979 zum FC Bayern zurück. Er dirigierte die Mannschaft als Chef.
Auch in der Nationalelf gab er ein Comeback. Breitner ist der einzige Deutsche, der in zwei WM-Endspielen ein Tor schoss, 1974 und 1982. Sein wichtigstes Tor war der Elfmeter im gewonnenen Finale gegen die Niederlande in München, bei dem Gerd Müller nach Breitners Ausgleich den 2:1-Siegtreffer erzielte. Von der Titelfeier gibt es ein Foto, das „Bomber“Müller und Breitner dicke Zigarren rauchend zeigt. Den schwer an Demenz erkrankten Weggefährten Müller besuchte Breitner bis kurz vor dessen kürzlichem Tod im Pflegeheim. „Die letzten Wochen sind unauslöschlich“, sagte Breitner dazu im
Er selbst ist topfit, joggt wöchentlich mehrmals. Und er kümmert sich um seine Mitmenschen. Mit seiner Jugendliebe Hildegard, mit der er in diesem Jahr Goldene Hochzeit feiert, ist der Vater von drei Kindern allwöchentlich als aktiver Helfer für die Münchner Tafel im Einsatz.
Der Jubilar ist froh, dass er als Fußballer in einer Zeit ohne Berater, ohne Nachwuchsleistungszentren und dem heutigen „Mainstream“aufwuchs, wie er 2019 erzählte: „Ich wollte mich nicht verbiegen lassen. Ich wollte niemandem die Chance geben, mich zu manipulieren. Ich konnte mich ausleben, konnte mich formen. Heutzutage wäre ich einer wie alle anderen – wahrscheinlich wäre ich auch tätowiert.“