Olaf Scholz gibt Ulrike Bahr Rückenwind
Auf der Landesliste ihrer Partei bekam Schwabens SPD-Vorsitzende nur einen schlechten Platz. Dank guter SPD-Umfragewerte sind ihre Chancen auf einen erneuten Einzug in den Bundestag gestiegen
Wahlkampf kann wie Achterbahnfahren sein: Als die bayerische SPD vor einem halben Jahr ihre Kandidaten nominierte, war das ein schwarzer Tag für Ulrike Bahr. Abgerutscht von Platz 4 auf Platz 16, war ihr Wiedereinzug in den Bundestag auf einmal nicht mehr so sicher. „So einen Listenplatz muss man erst einmal verdauen“, gibt die 57-Jährige zu. Es wäre, sagt sie, wohl auch das erste Mal, dass die Augsburger SPD keinen Bundestagsabgeordneten stellt. Dann aber ist Schluss mit dem schmerzvollen Rückblick, denn der SPD-Wagen ist in dieser Wahlkampf-Achterbahn eben wieder auf dem Weg nach oben und Ulrike Bahr „vorsichtig optimistisch“, was eine weitere Periode im Bundestag betrifft. Es wäre ihre dritte – und sie ist ihr wichtig: „Es gibt viele Dinge, die ich angestoßen habe und die ich zu Ende bringen will.“
Obwohl er im Wahlkampf nicht nach Augsburg kommt, ist Olaf Scholz derzeit wahrscheinlich Bahrs stärkster Verbündeter. Beim ersten TV-Triell der Kanzlerkandidaten heimste der SPD-Bewerber die meisten Sympathiepunkte ein. Dass einige ihn laut Umfragen nur wählen wollen, weil Annalena Baerbock (Grüne) und Armin Laschet (CDU) sich zu viele Missgeschicke geleistet haben, stört Ulrike Bahr nicht, vielleicht glaubt sie auch nicht daran. „Olaf Scholz ist seit seinem 17. Lebensjahr in der Partei. Er verkörpert wie kaum ein anderer die Werte der SPD.“Die Augsburger Politikerin spürt das auch beim Straßenwahlkampf in der direkten Begegnung mit den Bürgerinnen und Bürgern: „Viele wollen Scholz als Kanzler.“Viele, gibt sie zu, seien aber auch noch unentschlossen.
Doch das sind Stimmungen und die sind nicht verlässlich. Ulrike Bahr setzt lieber auf Themen, die sie auch im Wahlkampf akribisch abarbeitet. Regelmäßig hat sie in den vergangenen Wochen ins Stadtcafé vor der Augsburger Stadtbücherei zum Talk mit Experten eingeladen. Es ging um bezahlbares Wohnen, um die Arbeit von morgen, auch ums Klima, wobei das, sie gibt es selbst zu, nie ihr wichtigstes Thema war. Die kleinen Tütchen mit Blumensamen, die Bahr im Wahlkampf verteilt, ändern daran wenig.
Die ehemalige Hauptschullehrerin hat sich auf soziale Themen spezialisiert. Sie sitzt im Familien- und im Bildungsausschuss des Bundestags, befasst sich mit der Kinder- und Jugendhilfe, mit Kindergesundheit und bürgerschaftlichem Engagement und ist überzeugt, dass alle drängenden Probleme Deutschlands zusammenhängen: „Damit Kinder würdig leben können, braucht es bezahlbaren Wohnraum und Zugang zur Bildung.“Familien stehen für die Augsburger SPD-Politikerin quasi als Überthema im Fokus: „Würde ich die Zusammenhänge aufzeichnen, stünden mittendrin die Familien und als Wolke drumherum alle anderen Themen.“
Als einen ihrer größten Erfolge der letzten beiden Legislaturperioden wertet die 57-Jährige die Bafög-Reform und die Reform des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen, der der Bundesrat im Mai zustimmte. Acht Jahre lang hat Ulrike Bahr daran mitgewirkt, sie ist überzeugt, dass die Reform dazu beitragen kann, junge Menschen in ihrer Entwicklung zu selbstbewussten und starken Wesen besser zu unterstützen. Dass ihr Kritiker bisweilen die Kompetenz in Sachen Familienthemen absprechen, weil sie keine eigenen Kinder hat, sieht Bahr gelassen: „Ich habe Beutekinder und Beuteenkel“, sagt sie augenzwinkernd im Hinblick auf ihre Patchworkfamilie, in der sie mit ihrem Mann Eckard Rasehorn, dem ehemaligen Geschäftsführer der Augsburger Arbeiterwohlfahrt, und dessen beiden Kindern lebt.
Die Politik spielt zu Hause eine große Rolle, ihren Mann bezeichnet Bahr als ihren größten Unterstützer, aber auch ihren größten Kritiker. Zuletzt hat er sie immer wieder zu Wahlkampfterminen begleitet, hat – selbst Sozialexperte – mitdiskutiert und zugehört. Und natürlich war es daheim auch Thema, was denn werde, wenn es mit dem Einzug in den Bundestag nicht noch einmal klappt. Dass sie sich weiterhin politisch engagieren würde, steht für Ulrike Bahr fest. „Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, in welcher Funktion. Aber politisch bin ich immer.“Doch zunächst will sie kämpfen, bis zur Minute, in der die Wahllokale am 26. September schließen. „Man muss ja am Ende auch vor sich selbst hinstehen können.“
Eine laute Politikerin ist Bahr, die seit 1986 bei der SPD und seit 2017 Vorsitzende ihrer Partei in Schwaben ist, nicht. Andere Abgeordnete im Bundestag beschreiben sie als „sehr ruhige“Kollegin, die stets auf Sachebene kommuniziere, kollegial und zuverlässig sei und gerne über Parteigrenzen hinweg arbeite. „Es wäre schön, mehr von ihr zu hören“, bringt es eine Grünen-Politikerin auf den Punkt. Doch Ulrike Bahr geht es nicht darum, große Reden zu halten, sie will durch beständige Arbeit punkten. „Gerade im Bildungsbereich habe ich mir durch mein kontinuierliches Dranbleiben ein Netzwerk aufgebaut. Persönlich ernte ich dadurch Früchte – und hoffentlich jetzt auch im Wahlkampf.“
Die Arbeit in Berlin hat sich für Bahr – wie auch für andere Abgeordnete – verändert, seit die AfD im Parlament sitzt. Manche Reden von AfD-Abgeordneten seien so beklemmend, „als würde man sich Filme aus den 30er Jahren ansehen“, sagt die gebürtige Nördlingerin. Die Stimmung in der Gesellschaft sei nach rechts gerückt, weshalb man den Bürgerinnen und Bürgern immer wieder sagen müsse, wofür die AfD steht. Bahr selbst gehört zur parlamentarischen Linken, für die Zukunft wünscht sie sich ein progressiveres Bündnis, als es das in Deutschland in den vergangenen vier Jahren gab. „Wir, die SPD, waren ja nicht erpicht auf diese Koalition. Aber jetzt ist es damit auch genug.“
Dass die SPD auch künftig Teil einer Regierungskoalition sein könnte, will auch Bahr seit den letzten Umfragen nicht mehr ausschließen. „Wir haben ja auch ein gutes Programm und es wäre schön, wenn wir es umsetzen könnten.“Bis zum Wahltermin wird Ulrike Bahr weiter dafür kämpfen. Leise, aber beständig. So, wie es seit Jahren ihre Art als Politikerin ist.
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Info Am Freitag stellen wir mit Volker Ullrich (CSU) den letzten der Augsbur ger Direktkandidaten vor.