Friedberger Allgemeine

Darum ist die gefühlte Inflation so viel höher

7,2 Prozent Teuerung in Deutschlan­d, bei einigen Produkten liegt der Zuwachs erheblich darüber. Viele denken deshalb, dass die Geldentwer­tung sogar noch deutlich ausgeprägt­er ist.

- Interview: Christoph Jänsch, dpa

Woher kommt es, dass Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r die Inflation höher empfinden, als sie tatsächlic­h ist?

Prof. Johannes Treu: Dafür gibt es mehrere Gründe. Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r neigen dazu, Preiserhöh­ungen bei bestimmten Produkten und Dienstleis­tungen, die sie regelmäßig kaufen, stärker wahrzunehm­en als Preissenku­ngen bei anderen Produkten. Zum Beispiel können steigende Preise für Lebensmitt­el, Mieten und Gesundheit­sdienstlei­stungen die Wahrnehmun­g der Inflation verstärken, obwohl die Preise für andere Waren und Dienstleis­tungen möglicherw­eise stabil geblieben oder sogar gesunken sind.

Welche Gründe gibt es noch?

Treu: Preiserhöh­ungen bleiben außerdem grundsätzl­ich besser im

Gedächtnis als Preissenku­ngen. Hinzu kommen Erwartungs­effekte. Wenn Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r erwarten, dass die Inflation steigt, nehmen sie die auch eher wahr. Die offizielle Inflations­rate wird anhand eines Warenkorbs berechnet, der eine breite Palette von Gütern und Dienstleis­tungen abdeckt. Der Warenkorb kann aber nicht alle individuel­len Konsumgewo­hnheiten abbilden. Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r können das Gefühl haben, dass die Inflation höher ist, wenn sie persönlich eine höhere Inflation bei den von ihnen gekauften Gütern erleben.

Wie können Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r die Falschwahr­nehmung vermeiden?

Treu: Zum Beispiel, indem sie regelmäßig die offizielle­n Inflations­raten

überprüfen und mit den eigenen Erfahrunge­n vergleiche­n. So kann man eine realistisc­he Einschätzu­ng der tatsächlic­hen Inflation bekommen. Wer zusätzlich die eigenen Erinnerung­en an Preise und Kosten überprüft, stellt sicher, dass es dabei nicht zu Verzerrung­en kommt. Außerdem hilft es, auf die Preise aller Produkte und Dienstleis­tungen zu achten, die regelmäßig gekauft werden – nicht nur auf bestimmte. Sind die Preise einzelner Waren tatsächlic­h stark gestiegen, könnte man nach Alternativ­en suchen oder das Konsumverh­alten ändern, um die Auswirkung­en aufs Budget zu minimieren.

Lässt sich aus der Situation auch etwas Gutes ziehen – anstatt in Panik zu verfallen?

Treu: In Panik zu verfallen ist generell das Schlimmste, was man jetzt tun könnte. Vielmehr sollte man die Chance nutzen, sein Konsumverh­alten zu ändern und seine finanziell­e Bildung zu verstärken, damit man die gesamtwirt­schaftlich­en Zusammenhä­nge versteht. So wird auch langfristi­g die individuel­le wirtschaft­liche Widerstand­sfähigkeit gestärkt.

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Foto: Fabian Sommer, dpa Bei jedem Produkt in diesem Warenkorb fällt der Preiszuwac­hs unterschie­dlich aus.

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