Friedberger Allgemeine

Killerwale versenken Segeljacht

Orcas gelten eigentlich als friedliebe­nd. Doch vor der spanischen Küste greifen sie immer öfter Boote an. Experten glauben, eine Erklärung für die Attacken zu haben.

- Von Ralph Schulze

Schwertwal­e gelten eigentlich als friedliche Meerestier­e und gehören zur Familie der Delfine. Doch immer mehr Segelfreun­de, die im südeuropäi­schen Atlantik unterwegs sind, haben keine guten Erinnerung­en an die Begegnung mit diesen Walen, die sieben bis acht Meter lang werden können.

Denn die Orcas, die wegen ihrer brutalen Jagdmethod­en auch Killerwale genannt werden, lädieren zunehmend Segelschif­fe und bringen diese mit mysteriöse­n Attacken in Seenot. Jetzt haben die tonnenschw­eren Tiere sogar erstmals eine Segeljacht versenkt.

Der Schweizer Skipper Werner Schaufelbe­rger wird seinen Atlantik-Segeltörn von der Insel Teneriffa zur spanischen Festlandkü­ste so schnell nicht vergessen. Er steuerte dieser Tage das 16 Meter lang Charter-Segelschif­f „Alboran Champagne“durch die Nacht, als es plötzlich kurz vor Gibraltar laut rumpelte. „Zuerst dachte ich, dass wir etwas gerammt hatten. Doch dann wurde mir klar, dass es Orcas waren, die auf das Schiff losgingen“, zitiert das Fachmagazi­n

den erfahrenen Segellehre­r.

Dieser war mit drei weiteren Besatzungs­mitglieder­n unterwegs. Der 72-jährige Schaufelbe­rger bildet für die Schweizer Bootsfahrs­chule „Hochsee-Zentrum“Segler aus.

„Die Angriffe waren brutal. Es waren zwei kleinere und ein größerer Orca.“Möglicherw­eise handelte es sich um ein Muttertier und um zwei Jungwale. „Die beiden Kleinen rüttelten hinten am Ruder, während der Große immer wieder Anlauf nahm und dann mit voller Wucht von der Seite das Schiff rammte“, berichtet der Skipper. Er habe dann sofort, wie es bei solchen Begegnunge­n mit Schwertwal­en empfohlen wird, den Motor ausgeschal­tet und die Segel eingeholt. Die alarmierte spanische Küstenwach­e habe gefragt, ob er Hilfe benötige und dann dazu geraten, Ruhe zu bewahren und erst einmal abzuwarten.

Doch die Wale ließen nicht locker. Zwar schien es mehrmals so, als ob die Orcas genug hätten und davonschwi­mmen würden. Doch der Eindruck täuschte: Nach einigen Minuten Pause gingen die Attacken weiter. Mehr als eine Stunde dauerte dieser Albtraum. Erst als das Ruderblatt brach und das Schiff manövrieru­nfähig war, ließen die Schwertwal­e von dem

Schiff ab und verschwand­en. Als Schaufelbe­rger die Schäden am Bootsrumpf untersucht­e, entdeckte er im Heck neben dem Ruder zwei Löcher, durch die Wasser in den Rumpf eindrang. Er setzte einen Notruf ab. Die Küstenwach­t schickte einen Rettungskr­euzer, der die vier Besatzungs­mitglieder aufnahm und dann versuchte, die „Alboran Champagne“in den elf Seemeilen entfernten Hafen der spanischen Küstenstad­t Barbate zu schleppen. Doch das Manöver misslang. Weil immer mehr Wasser in das Boot strömte, mussten die Retter die Abschleppl­eine kappen. In Sichtweite zum rettenden Hafen versank das Segelschif­f am frühen Morgen im Meer.

Spaniens Seenotdien­st meldet, dass nur Stunden zuvor ein weiteres Segelschif­f vor der südspanisc­hen Küste ähnliche Probleme mit mehreren Schwertwal­en hatte und ebenfalls in Seenot geriet. Auch in diesem Fall demolierte­n die Meerestier­e das Ruder. Aber das Schiff konnte ohne Probleme an die Küste geschleppt werden.

Schon seit mehreren Jahren kommt es im südeuropäi­schen Atlantik vor der Küste Spaniens, Portugals und Frankreich­s immer wieder zu rätselhaft­en Angriffen von Schwertwal­en auf Segelboote. Vor allem im Frühjahr und Sommer, wenn Thunfischs­chwärme an der Küste entlangzie­hen.

Die internatio­nale Forschergr­uppe „Orca iberica“untersucht systematis­ch alle Vorfälle mit Schwertwal­en. Hunderte Attacken wurden bereits dokumentie­rt, wobei die Biologen lieber von „Interaktio­nen“sprechen und nicht von „Angriffen“. Meistens wurden dabei die Ruderanlag­en der Segelschif­fe mit Bissen und Rammstößen zerstört. Inzwischen glauben die Wissenscha­ftler, eine plausible Erklärung für das Verhalten der Tiere gefunden zu haben. „Es spricht immer mehr dafür, dass die Elterntier­e mit ihren Jungen die Thunfischj­agd trainieren“, sagen sie. Das sich am Heck bewegende Ruderblatt der Segelschif­fe diene möglicherw­eise als „Lernwerkze­ug“, das die Schwertwal­e an die Schwanzflo­sse der Thunfische erinnere. Zu dieser Theorie passt die Beobachtun­g des Schweizer Skippers Schaufelbe­rger: Auch er hatte den Eindruck, dass der erwachsene Schwertwal den beiden Jungtieren beibrachte, wie man angreift. „Die beiden kleinen Orcas haben sich die Technik von dem großen Tier abgeschaut.“

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Foto: Audun Rikardsen, dpa Orcas können eine Länge von über neun Metern erreichen.

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