Werden ältere Professoren diskriminiert?
In Augsburg gelten strenge Regeln für Wissenschaftler, die über die Pensionsgrenze hinaus arbeiten wollen. Ein Jurist hält die Vorschriften für rechtswidrig und ist damit nicht allein.
Die renommierte Augsburger Professorin Elisabeth André ist ein Beispiel. Sie gilt als eine der zehn prägenden Köpfe der deutschen Forschung im Bereich Künstlicher Intelligenz. 2021 wurde die Wissenschaftlerin für ihre Arbeiten zu multimodaler Mensch-MaschineInteraktion mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnet, dem wichtigsten deutschen Forschungsförderpreis. In den kommenden Jahren wird André vor einer entscheidenden Frage stehen: Geht sie regulär in den Ruhestand, oder will sie länger arbeiten? Die Uni Augsburg macht es älteren Professorinnen und Professoren besonders schwer, ihre Dienstzeit freiwillig zu verlängern. Juristen kritisieren eine „Altersdiskriminierung“, die EU-Recht widerspricht.
Der Umgang mit Professoren an der Pensionsgrenze ist bundesweit ein brisanter Streitfall und in den Ländern unterschiedlich geregelt. Während einige Universitäten auch Älteren eine freiwillige Weiterbeschäftigung unschwer ermöglichen, schließen es andere aus. Juristen und Wirtschaftswissenschaftler nahmen die verzwickte Rechtslage kürzlich auf einer Tagung in Augsburg unter die Lupe. Im Raum stand dabei auch eine größere gesellschaftliche Frage: Kann man mit freiwilliger Längerbeschäftigung die Pensionskassen schonen und mit diesem Schritt dazu beitragen, den Wohlstand in Deutschland zu sichern?
Mit aktuell geltenden Regeln wie an der Uni Augsburg wäre das jedenfalls kaum möglich, so die Einschätzung von Juraprofessor Thomas M.J. Möllers: „Die Richtlinien sind so eng gefasst, dass sie im Grunde nicht erfüllt werden können.“An der Uni gilt nicht nur die bayernweite Vorgabe. Danach müssen betroffene Professoren ein „dienstliches Interesse“nachweisen, wenn sie über die gesetzliche Altersgrenze hinaus freiwillig drei Jahre verlängern wollen. Die internen Richtlinien in Augsburg wurden 2022 besonders strikt gefasst.
Professorinnen und Professoren über 67 Jahren müssen etwa herausragende Projekte wie einen
Sonderforschungsbereich vorweisen, wenn sie weiterarbeiten wollen. Für jedes Verlängerungsjahr gelten für Betroffene noch strengere Maßstäbe. Möllers sagt, das laufe praktisch darauf hinaus, dass man jährlich so etwas wie einen Nobelpreis vorweisen müsse, um arbeiten zu dürfen. Sonderforschungsbereiche seien an der Uni Augsburg eher selten und allenfalls in den Naturwissenschaften zu finden, nicht aber in vielen anderen Fächern. Darüber hinaus schließt die Uni bestimmte Auswahlkriterien für eine Weiterbeschäftigung aus – etwa die Betreuung
von wissenschaftlichem Nachwuchs wie Doktoranden.
Der Augsburger Juraprofessor hält die internen Regeln für rechtswidrig, und das aus mehreren Gründen. Er verweist auf das Europarecht, wonach eine Altersdiskriminierung verboten ist. Die Beweislast für eine Verlängerung könne nicht allein beim betroffenen Beamten liegen. Der Freiburger
Wirtschaftspolitik-Professor Lars P. Feld, Mitveranstalter der Tagung, verweist darüber hinaus auf die demografische Entwicklung in Deutschland. Zukünftig stehen immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentnern gegenüber. Dies werde zu Finanzierungslücken in den Sozialsystemen führen. Diese könnten auch nicht durch Zuwanderer oder Zweitverdiener geschlossen werden. Früher oder später müsse der Gesetzgeber das Eintrittsalter für Rente oder Ruhestand erhöhen.
Aus Sicht des Ökonomen ist auch die Beamtenversorgung ein großes wirtschaftliches Problem. „Wir müssen den Rahmen für die freiwillige Weiterbeschäftigung möglichst ausschöpfen“, fordert er. Dies helfe, Steuergelder zu schonen. Genau dieses Ziel wollte der Gesetzgeber mit der freiwilligen Längerbeschäftigung erreichen, so Möllers. Er sagt, dass allein an der Uni Augsburg rund 20 Professorinnen und Professoren in den kommenden fünf Jahren vor dem Ruhestand stehen und mehrere gerne länger arbeiten würden. Sie seien frustriert über die Richtlinien, die kaum zu erfüllen seien. Anders als in vielen anderen deutschen Universitäten gebe es in Augsburg keine Seniorprofessoren, um anerkannte und leistungsfähige Wissenschaftler zu halten.
Selbst Unipräsidentin Sabine Doering-Manteuffel sieht die Richtlinien der Uni kritisch. Nach ihren Worten wurden sie eingeführt, weil es zuvor einen „Wildwuchs an den Fakultäten“gegeben habe, die jede für sich Regeln aufgestellt hätten. Dies habe zu einer unbefriedigenden Situation geführt. Nun seien jedoch „erhebliche Konflikte und Irritationen“entstanden, räumt sie ein. Dazu kommt nach ihren Erfahrungen, dass für bestimmte Spezialgebiete nicht so leicht jüngere Professoren zu finden sind. Doering-Manteuffel spricht sich dafür aus, die internen Vorschriften der Universität zur freiwilligen Verlängerung zu überarbeiten.
Einen Ausweg aus der bundesweiten Misere schlagen die Augsburger-Freiburger Thesen der Tagung vor. Danach sollten rechtswidrige Richtlinien geändert und weiter gefasst werden. Auch ergänzende Senior-Professuren seien zu empfehlen. KI-Koryphäe Elisabeth André betont: „Es gibt sehr viele Beispiele für ältere, leistungsfähige Wissenschaftler.“Altersdiskriminierung bleibe oft ungestraft, und das in einer Zeit, in der Vielfalt gepredigt werde und man streng darauf achte, sich korrekt zu verhalten.
Uni-Präsidentin sieht Richtlinien selbst kritisch