Männer, die von Liebe singen
Zwei Stars ihres Fachs am dritten und letzten Wochenende des Augsburger Mozartfests: Tenor Mauro Peter und Countertenor Bejun Mehta. Einmal ausschließlich mit Mozart, das andere Mal mit Haydn als Schwerpunkt.
Wo Mozartfest auf dem Programm steht, steckt nicht immer Mozart dahinter. Etikettenschwindel? Nein, Fans des Augsburger Festivals wissen das und schätzen jedes Jahr die Vielfalt im Festival-Konzertprogramm, mit Überraschungen unter dem Mozart-Deckmantel. Dieses Jahr reicht die Bandbreite von Telemann über Schostakowitsch bis zum Wiener Lied. Doch am letzten Fest-Wochenende darf das Publikum einen Abend für Puristen genießen: Wolfgang Amadé in reiner Form und erhöhter Dosis: „Solo Mozart!“– der Schweizer Tenor Mauro Peter singt im Kleinen Goldenen Saal geliebte Konzertund Opernarien Mozarts.
Die Bayerische Kammerphilharmonie zählt zu den Stammorchestern des Mozartfests und ist diesmal das Ensemble an Mauro Peters Seite. Für den Tenor rollt das Augsburger Kammerorchester einen Teppich von vielen Farben aus und eröffnet das Konzert mit dem luftigen Divertimento in D-Dur, KV 136 – ein Ritt in drei Sätzen, mit aller Frische. Später aber folgt die Ouvertüre zur Oper „La Clemenza di Tito“, schon mit Schärfe, Würze und Trompete, bevor mit der Sinfonie Nr. 31, der „Pariser“, am Ende der Donner losbricht. Spontaner Applaus, schon nach dem rasenden ersten Satz. Aber im Herz des Programms, umgeben von Pauken, stehenden Fagottisten und Geigerinnen, singt da: Mauro Peter. Junger Tenor, großes Lächeln, große Stimme.
Schubladen gibt es zahlreiche im Stimmfach Tenor. Hier singt der jugendliche Held, dort der nicht mehr ganz so juvenile, gleich neben dem „Buffo“für die lustigen Partien. Und schließlich: der lyrische Tenor. Ihn verkörpert Mauro Peter in allen geforderten Qualitäten, das beweist der 36-Jährige an diesem Abend. Er singt die Arie „Il mio tesoro“aus dem „Don Giovanni“, in der Don Ottavio seine Leidenschaft für Donna Anna beschwört. Peters Stimme schwingt da mit einer Wärme, mit einer dunklen Grundfarbe, fast wie von einem Bariton geborgt. Aber die Koloraturen wiederum, die schnellen, wendigen Schnörkel in der Solopartie, die lässt er tanzen.
In der Konzertarie „Per pietà, non ricercate“von 1783 zieht er weite, weite Spannungsbögen, stark gestaltet mit langem Atem, melodiös noch über Atemzüge hinweg. Kein Ton gerät da scharf – erst recht nicht in „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“, Taminos Liebes-Arie aus der „Zauberflöte“.
Alles Drama konzentriert sich dann erst in „Misero! O sogno ...“,
einer Konzertarie von 1783, bei der Peters Stimme auch für Momente ganz allein den Saal füllen darf, mit nobler Liebe und edlem Leid.
Seit 2012, als er zum ersten Mal bei den Salzburger Festspielen sang, hat Mauro Peter auf Weltreisen die Opernhäuser für sich eingenommen. Das Royal Opera House in London, die Nationaloper von Paris, Mailänder Scala. Aber seine Heimat liegt auch in der Musik in der Schweiz, in Zürich, wo er im Ensemble des Opernhauses seit 2012 seinen festen Platz hat.
Mozart, Mauro Peter und die Bayerische Kammerphilharmonie, der Dreiklang steht und stimmt in Augsburg. Auch wenn das starke Orchester die Klanggrenzen des Saals manchmal bis zur Oberkante testet. Eine strahlende Leistung und ein großes Lächeln des Tenors.
Längst ist auch einem anderen Stimmfach seine Schublade zugewiesen, gilt der Countertenor doch als die Stimme der barocken Oper. Aber gerade aus diesem Fundus bediente Bejun Mehta sich nicht bei seinem Auftritt beim Augsburger Mozartfest, auch wenn mit Purcell letztlich doch ein Vertreter des barocken Musiktheaters ins Programm geschlüpft war. Nein, Mehta setzte ganz bewusst in späteren Zeiten an, bei Mozart, Beethoven,
bei Haydn vor allem und in einem großen Sprung dann hin zu Britten, um erklärtermaßen zu zeigen, dass ein Countertenor weit mehr vermag als lediglich händelschen Helden und deren Verwandten Stimme zu geben.
Wenn man’s denn vermag, denn die künstlerischen Anforderungen sind bei der Wiener Klassik und vollends in der Moderne gänzlich andere als im 17. und frühen 18. Jahrhundert. Unter den Countertenören gibt es heutigentags denn auch nur wenige, die über einen solchen sängerischen Komplettstatus verfügen wie der US-Amerikaner Bejun Mehta (der nur in weitläufiger Hinsicht verwandt ist mit dem Dirigenten Zubin Mehta). Die fachtypische Geläufigkeit steht ihm allemal zu Gebote, herausragend hingegen die Homogenität und Fülle seiner Stimme über die ganze Spannweite hinweg. Wo andere Countertenöre, je weiter es nach oben geht, dünn und gläsern werden, beginnt Mehtas Falsett erst Wärme zu entfalten und goldfarben zu glänzen. Die Stimme droht aber auch nicht abzureißen, wo ein Decrescendo, ein Zurück ins Leise und Verhaltene gefordert ist – wobei die Intonation auch Mehta gelegentlich Schwierigkeiten macht –, sondern trägt auch hier und vermag reiches Farbenspiel zu bieten, eindrucksvoll vorgeführt etwa in den idyllischen Abschnitten
von Beethovens Liederzyklus „An die ferne Geliebte“.
Bejun Mehtas Stimme ist eben kein „weißes Blatt“, auf dem die Gefühle eines lyrischen Ichs oder auch schlummernde Subtexte unkenntlich bleiben. Und so wird bei Mehta nicht anders als bei der Naturstimmen-Kollegenschaft ein Mozart (Rezitativ und Arie „Ombra felice ... Io ti lascio“) ebenso zum seelisch-dramatischen Ereignis wie ein Benjamin Britten: Erlesen schwärmerisch, aber eben auch offen leidenschaftlich an den gebotenen Stellen (Flammenfigurationen bei „... and he was flames of fire“) das subtil homoerotische Canticle „My beloved is mine and I am his“.
Höchste Zeit, auch den fabelhaften Begleiter Mehtas, den Pianisten Jonathan Ware ins Licht zu stellen. Der schafft im Kleinen Goldenen Saal keineswegs nur Klanggrund zur Entfaltung der Sängerstimme, sondern bringt sich selbst inspiriert gestaltend ein, etwa mit einem naturbildhaft auf den Tasten erzeugten Gewittergrollen in Haydns „Fidelity“oder auch durch die Ironie, mit welcher er in der Klaviereinleitung zu „She never told her love“(auch aus Haydns Sammlung englischer Canzonetten) die Betulichkeit des verhuscht liebenden Subjekts artikuliert. In Hochform beide, Ware wie Mehta, schließlich im Hauptstück des
Abends, der großen, wiederum von Haydn vertonten Klage der verlassenen Ariadne („Arianna a Naxos“). Über dem mal jähen, dann wieder sich beruhigenden Puls des Klaviers steigt Mehta in die Wechselbäder der vom geliebten Theseus verlassenen kretischen Königstochter, wirft sich in die höchst konträren affektiven Zustände, lässt dem Aufbäumen neuerlichen Zusammenbruch folgen, dem anrührenden Flehen – „Hai cor di lasciarmi? (Bringst du es über dich, mich zu verlassen?)“– die letztlich überhandnehmende Wut.
Da merkt man Bejun Mehta die Erfahrung des Bühnendarstellers an, die Paar Hände und Arme sind ihm schier zu wenig zur gestischen Bekräftigung der Gemütsbewegung; wie außer sich schlägt der Sänger sich wiederholt die Hände vors Gesicht, in gespielt heiligem Zorn reißt er die Seiten seines Textbuchs mehr um, als dass er sie blättert. Jubel am Ende vom begeisterten Publikum, auch wenn Mehta nach solcher Rollen-Entäußerung erst nichts mehr hinterdrein schicken will – um es sich, anhaltend applaudiert, dann doch anders zu überlegen und mit dem wunderbar achtsam geführten „O waly, waly“-Volkslied (in Benjamin Brittens Fassung mit Klavier) dem Abend erst recht die Krone aufzusetzen.