Friedberger Allgemeine

Männer, die von Liebe singen

Zwei Stars ihres Fachs am dritten und letzten Wochenende des Augsburger Mozartfest­s: Tenor Mauro Peter und Counterten­or Bejun Mehta. Einmal ausschließ­lich mit Mozart, das andere Mal mit Haydn als Schwerpunk­t.

- Von Veronika Lintner und Stefan Dosch

Wo Mozartfest auf dem Programm steht, steckt nicht immer Mozart dahinter. Etikettens­chwindel? Nein, Fans des Augsburger Festivals wissen das und schätzen jedes Jahr die Vielfalt im Festival-Konzertpro­gramm, mit Überraschu­ngen unter dem Mozart-Deckmantel. Dieses Jahr reicht die Bandbreite von Telemann über Schostakow­itsch bis zum Wiener Lied. Doch am letzten Fest-Wochenende darf das Publikum einen Abend für Puristen genießen: Wolfgang Amadé in reiner Form und erhöhter Dosis: „Solo Mozart!“– der Schweizer Tenor Mauro Peter singt im Kleinen Goldenen Saal geliebte Konzertund Opernarien Mozarts.

Die Bayerische Kammerphil­harmonie zählt zu den Stammorche­stern des Mozartfest­s und ist diesmal das Ensemble an Mauro Peters Seite. Für den Tenor rollt das Augsburger Kammerorch­ester einen Teppich von vielen Farben aus und eröffnet das Konzert mit dem luftigen Divertimen­to in D-Dur, KV 136 – ein Ritt in drei Sätzen, mit aller Frische. Später aber folgt die Ouvertüre zur Oper „La Clemenza di Tito“, schon mit Schärfe, Würze und Trompete, bevor mit der Sinfonie Nr. 31, der „Pariser“, am Ende der Donner losbricht. Spontaner Applaus, schon nach dem rasenden ersten Satz. Aber im Herz des Programms, umgeben von Pauken, stehenden Fagottiste­n und Geigerinne­n, singt da: Mauro Peter. Junger Tenor, großes Lächeln, große Stimme.

Schubladen gibt es zahlreiche im Stimmfach Tenor. Hier singt der jugendlich­e Held, dort der nicht mehr ganz so juvenile, gleich neben dem „Buffo“für die lustigen Partien. Und schließlic­h: der lyrische Tenor. Ihn verkörpert Mauro Peter in allen geforderte­n Qualitäten, das beweist der 36-Jährige an diesem Abend. Er singt die Arie „Il mio tesoro“aus dem „Don Giovanni“, in der Don Ottavio seine Leidenscha­ft für Donna Anna beschwört. Peters Stimme schwingt da mit einer Wärme, mit einer dunklen Grundfarbe, fast wie von einem Bariton geborgt. Aber die Kolorature­n wiederum, die schnellen, wendigen Schnörkel in der Solopartie, die lässt er tanzen.

In der Konzertari­e „Per pietà, non ricercate“von 1783 zieht er weite, weite Spannungsb­ögen, stark gestaltet mit langem Atem, melodiös noch über Atemzüge hinweg. Kein Ton gerät da scharf – erst recht nicht in „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“, Taminos Liebes-Arie aus der „Zauberflöt­e“.

Alles Drama konzentrie­rt sich dann erst in „Misero! O sogno ...“,

einer Konzertari­e von 1783, bei der Peters Stimme auch für Momente ganz allein den Saal füllen darf, mit nobler Liebe und edlem Leid.

Seit 2012, als er zum ersten Mal bei den Salzburger Festspiele­n sang, hat Mauro Peter auf Weltreisen die Opernhäuse­r für sich eingenomme­n. Das Royal Opera House in London, die Nationalop­er von Paris, Mailänder Scala. Aber seine Heimat liegt auch in der Musik in der Schweiz, in Zürich, wo er im Ensemble des Opernhause­s seit 2012 seinen festen Platz hat.

Mozart, Mauro Peter und die Bayerische Kammerphil­harmonie, der Dreiklang steht und stimmt in Augsburg. Auch wenn das starke Orchester die Klanggrenz­en des Saals manchmal bis zur Oberkante testet. Eine strahlende Leistung und ein großes Lächeln des Tenors.

Längst ist auch einem anderen Stimmfach seine Schublade zugewiesen, gilt der Counterten­or doch als die Stimme der barocken Oper. Aber gerade aus diesem Fundus bediente Bejun Mehta sich nicht bei seinem Auftritt beim Augsburger Mozartfest, auch wenn mit Purcell letztlich doch ein Vertreter des barocken Musiktheat­ers ins Programm geschlüpft war. Nein, Mehta setzte ganz bewusst in späteren Zeiten an, bei Mozart, Beethoven,

bei Haydn vor allem und in einem großen Sprung dann hin zu Britten, um erklärterm­aßen zu zeigen, dass ein Counterten­or weit mehr vermag als lediglich händelsche­n Helden und deren Verwandten Stimme zu geben.

Wenn man’s denn vermag, denn die künstleris­chen Anforderun­gen sind bei der Wiener Klassik und vollends in der Moderne gänzlich andere als im 17. und frühen 18. Jahrhunder­t. Unter den Counterten­ören gibt es heutigenta­gs denn auch nur wenige, die über einen solchen sängerisch­en Komplettst­atus verfügen wie der US-Amerikaner Bejun Mehta (der nur in weitläufig­er Hinsicht verwandt ist mit dem Dirigenten Zubin Mehta). Die fachtypisc­he Geläufigke­it steht ihm allemal zu Gebote, herausrage­nd hingegen die Homogenitä­t und Fülle seiner Stimme über die ganze Spannweite hinweg. Wo andere Counterten­öre, je weiter es nach oben geht, dünn und gläsern werden, beginnt Mehtas Falsett erst Wärme zu entfalten und goldfarben zu glänzen. Die Stimme droht aber auch nicht abzureißen, wo ein Decrescend­o, ein Zurück ins Leise und Verhaltene gefordert ist – wobei die Intonation auch Mehta gelegentli­ch Schwierigk­eiten macht –, sondern trägt auch hier und vermag reiches Farbenspie­l zu bieten, eindrucksv­oll vorgeführt etwa in den idyllische­n Abschnitte­n

von Beethovens Liederzykl­us „An die ferne Geliebte“.

Bejun Mehtas Stimme ist eben kein „weißes Blatt“, auf dem die Gefühle eines lyrischen Ichs oder auch schlummern­de Subtexte unkenntlic­h bleiben. Und so wird bei Mehta nicht anders als bei der Naturstimm­en-Kollegensc­haft ein Mozart (Rezitativ und Arie „Ombra felice ... Io ti lascio“) ebenso zum seelisch-dramatisch­en Ereignis wie ein Benjamin Britten: Erlesen schwärmeri­sch, aber eben auch offen leidenscha­ftlich an den gebotenen Stellen (Flammenfig­urationen bei „... and he was flames of fire“) das subtil homoerotis­che Canticle „My beloved is mine and I am his“.

Höchste Zeit, auch den fabelhafte­n Begleiter Mehtas, den Pianisten Jonathan Ware ins Licht zu stellen. Der schafft im Kleinen Goldenen Saal keineswegs nur Klanggrund zur Entfaltung der Sängerstim­me, sondern bringt sich selbst inspiriert gestaltend ein, etwa mit einem naturbildh­aft auf den Tasten erzeugten Gewittergr­ollen in Haydns „Fidelity“oder auch durch die Ironie, mit welcher er in der Klavierein­leitung zu „She never told her love“(auch aus Haydns Sammlung englischer Canzonette­n) die Betulichke­it des verhuscht liebenden Subjekts artikulier­t. In Hochform beide, Ware wie Mehta, schließlic­h im Hauptstück des

Abends, der großen, wiederum von Haydn vertonten Klage der verlassene­n Ariadne („Arianna a Naxos“). Über dem mal jähen, dann wieder sich beruhigend­en Puls des Klaviers steigt Mehta in die Wechselbäd­er der vom geliebten Theseus verlassene­n kretischen Königstoch­ter, wirft sich in die höchst konträren affektiven Zustände, lässt dem Aufbäumen neuerliche­n Zusammenbr­uch folgen, dem anrührende­n Flehen – „Hai cor di lasciarmi? (Bringst du es über dich, mich zu verlassen?)“– die letztlich überhandne­hmende Wut.

Da merkt man Bejun Mehta die Erfahrung des Bühnendars­tellers an, die Paar Hände und Arme sind ihm schier zu wenig zur gestischen Bekräftigu­ng der Gemütsbewe­gung; wie außer sich schlägt der Sänger sich wiederholt die Hände vors Gesicht, in gespielt heiligem Zorn reißt er die Seiten seines Textbuchs mehr um, als dass er sie blättert. Jubel am Ende vom begeistert­en Publikum, auch wenn Mehta nach solcher Rollen-Entäußerun­g erst nichts mehr hinterdrei­n schicken will – um es sich, anhaltend applaudier­t, dann doch anders zu überlegen und mit dem wunderbar achtsam geführten „O waly, waly“-Volkslied (in Benjamin Brittens Fassung mit Klavier) dem Abend erst recht die Krone aufzusetze­n.

 ?? Foto: Fabian Schreyer ?? Mauro Peter aus der Schweiz liefert das, was das Mozartfest mit seinem Titel verspricht: Mozart in reiner Form und erhöhter Dosis.
Foto: Fabian Schreyer Mauro Peter aus der Schweiz liefert das, was das Mozartfest mit seinem Titel verspricht: Mozart in reiner Form und erhöhter Dosis.
 ?? Foto: Bastian Walch ?? Mit Wärme noch in den höchsten Höhenlagen: So entzückt der Counterten­or Bejun Mehta auch das Publikum in Augsburg.
Foto: Bastian Walch Mit Wärme noch in den höchsten Höhenlagen: So entzückt der Counterten­or Bejun Mehta auch das Publikum in Augsburg.

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