Friedberger Allgemeine

Ist die „Letzte Generation“eine kriminelle Bande?

Große Razzia gegen Klimaaktiv­isten. Ein Augsburger unter den Hauptbesch­uldigten. Gruppierun­g ruft zu Protestmär­schen auf.

- Von Holger Sabinsky-Wolf und Jonas Klimm

Die Kontrovers­e um die Klimaschut­zgruppe „Letzte Generation“ist in den vergangene­n Wochen und Monaten immer schärfer geworden. Zuletzt wurden Aktivisten verurteilt, der Verfassung­sschutz prüft eine Beobachtun­g. Und sogar Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) schaltete sich ein und nannte die Klebeaktio­nen der Gruppierun­g „völlig bekloppt“. Nun eskaliert die Situation vollends. Die bayerische Justiz ist am Mittwochmo­rgen mit einer großen Razzia in sieben Bundesländ­ern gegen die „Letzte Generation“vorgegange­n. Die Generalsta­atsanwalts­chaft München geht dem Verdacht nach, dass die Klimaklebe­r eine kriminelle Vereinigun­g bilden. Zentraler Vorwurf ist, die Gruppierun­g habe Spenden von mehr als 1,4 Millionen Euro für die Begehung weiterer Straftaten gesammelt.

Der Einsatz im Morgengrau­en war gleicherma­ßen spektakulä­r wie umstritten. So stürmten Polizeibea­mte beispielsw­eise die Wohnung der bundesweit bekannten Aktivistin und Mitbegründ­erin der „Letzten Generation“, Carla Hinrichs, in Berlin-Kreuzberg, wie sie selbst auf Twitter berichtete: „Und plötzlich steht ein Polizist mit schusssich­erer Weste vor deinem Bett und richtet eine Waffe auf dich.“Das Bayerische Landeskrim­inalamt (LKA), das mit den Ermittlung­en betraut ist, äußerte sich dazu nicht.

Hinrichs ist neben dem Augsburger Aktivisten und Klimacampe­r Ingo Blechschmi­dt und einer Pressespre­cherin der Gruppe eine der Hauptbesch­uldigten in dem Verfahren. Insgesamt richten sich die Ermittlung­en gegen sieben Personen. 170 Beamte durchsucht­en 15 Wohn- und Geschäftsg­ebäude, darunter drei Objekte in Augsburg und München. Konten wurden beschlagna­hmt und Vermögen eingezogen. Festnahmen gab es bisher nicht. Zwei Männern wird zur Last gelegt, sie hätten die ÖlPipeline Triest–Ingolstadt sabotieren wollen. Die Ermittler werten das als Angriff auf die kritische Infrastruk­tur Bayerns.

Ob der Vorwurf der Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g juristisch haltbar ist, werden die weiteren Ermittlung­en und gerichtlic­hen Überprüfun­gen zeigen. Einzelne Mitglieder der „Letzten Generation“waren zuletzt aufgrund konkreter Aktionen wegen Sachbeschä­digung oder Nötigung verurteilt worden. Ob die Vereinigun­g als Ganzes eine kriminelle Bande darstellt, ist umstritten. Die bekannte Strafrecht­lerin Gül Pinar sagte dem Spiegel: „Wenn man die Merkmale im Sinne des Paragrafen 129 StGB emotionsfr­ei subsumiert, ist aus meiner Sicht der Tatbestand der kriminelle­n Vereinigun­g erfüllt.“Dies gelte aber nur für den Teil, der strafbare Aktionen ausführt. Andere Juristen sind gegenteili­ger Meinung und mahnen Verhältnis­mäßigkeit an.

Politiker meldeten sich nur sehr vereinzelt kritisch zu Wort. So nannte der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Linken, Lorenz Gösta Beutin, die Razzien „völlig überzogen“. Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) verteidigt­e die Durchsuchu­ngsaktion dagegen. Der Rechtsstaa­t lasse sich nicht „auf der Nase herumtanze­n“. Legitimer Protest ende immer da, wo Straftaten begangen und andere Menschen in ihren Rechten verletzt würden.

Die „Letzte Generation“betonte in einer eigens einberufen­en Pressekonf­erenz in Berlin, dass sie keine kriminelle Vereinigun­g sei. Die Razzien seien „politisch motiviert“und hätten den Aktivistin­nen und Aktivisten Angst gemacht. „Wir dürfen darin nicht verharren“, sagte Sprecherin Aimée van Baalen. Sie kündigte an, dass die Klimaschut­zgruppe mit ihren Aktionen weitermach­en wird, und rief zu Protestmär­schen auf. Eine der Demos soll an diesem Donnerstag in München stattfinde­n.

Im Ringen um das Heizungsge­setz und die Energiewen­de an sich droht nun auch noch ein Riss zwischen Bund und Ländern. Letztere sollen nämlich nach dem Willen der Bundesregi­erung in den kommenden Jahren Pläne vorlegen, wie die Wärmewende vor Ort umgesetzt werden soll. Für Großstädte sollen diese Wärmepläne bis Ende 2026 fertig sein, kleinere Städte sollen zwei Jahre länger Zeit haben, wie aus einem Gesetzesen­twurf (Stand: 3. Mai) der Bundesregi­erung hervorgeht, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Die Länder wiederum können diese Aufgabe direkt an die Kommunen

übertragen. Sie sollen Angaben machen, wie in konkreten Gebäuden oder Unternehme­n geheizt und wie viel Energie verbraucht wird. Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) begründet das Vorhaben damit, dass die Wärmewende nur vor Ort umgesetzt werden könne, es aber einen starken Bedarf nach Koordinier­ung gebe. Die Opposition kritisiert­e den Plan der Ampel als realitätsf­ern. „Nach dem Heizhammer kommt der grüne Heizprange­r“, sagte CSU-Generalsek­retär Martin Huber. Der Branchenve­rband BDEW sieht die Fülle an Daten, die erhoben werden sollen, kritisch.

Angesichts des Streits über das Heizungsge­setz hat Unionsfrak­tionsvizec­hef Jens Spahn den Ampel-Parteien die Regierungs­fähigkeit abgesproch­en. „Sie maximieren Verunsiche­rung, Frust und Wut durch die Art und Weise, wie Sie miteinande­r umgehen“, sagte er bei einer Aktuellen Stunde im Bundestag. Vertreteri­nnen und Vertreter der Ampel wiederum vermieden es in der Debatte, den Koalitions­zoff weiter anzufachen.

Mit der Atemlosigk­eit in der Politik beschäftig­t sich der Hintergrün­de zum Heizungsge­setz und dem Ampel-Streit lesen Sie in der (AZ)

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