Friedberger Allgemeine

Traumjob oder Knochenmüh­le?

Hier Privatunte­rricht, dort noch eine halbe Stelle, abends Konzerte und dazu noch Familie: Berufsmusi­ker haben oft ein Zeitproble­m.

- Von Stephanie Knauer

Der Bariton Daniel Böhm leitet fünf Chöre, unterricht­et Gesang und Klavier, singt, dirigiert und organisier­t Konzerte, textet und gestaltet Programmhe­fte und Plakate, hat diverse Ehrenämter und eine Familie. Da seine wöchentlic­hen Wirkungsst­ätten auf mehrere Orte in Schwaben verteilt sind, fährt er jährlich 25.000 Kilometer. Dazu kommen die Generalpro­ben und Konzerte, die vorzugswei­se an Wochenende­n stattfinde­n. Geübt wird an freien Vormittage­n. Für dieses Pensum braucht es ein gutes Zeitmanage­ment, Routine, Erfahrung, feste Einheiten für zu Hause – und die Schulferie­n zum Durchschna­ufen.

Auch die Cellistin und Musikpädag­ogin Susanne Gutfleisch hat „sehr auf die Ferien hingelebt“, als sie vor 16 Jahren mit Kolleginne­n ihre Musikschul­e „Vivio“gründete und ihre zwei Kinder noch im Vorschulal­ter waren. „Man muss wahnsinnig gut planen“, erklärt sie, sehr disziplini­ert sein, verzichten können und Prioritäte­n setzen, um das abzustimme­n: „Ich bin quasi nicht krank geworden.“Zum Glück war ihr Mann, Cellist bei den Augsburger Philharmon­ikern, nachmittag­s, wenn sie unterricht­ete, zu Hause; zu seinen Dienstzeit­en am Vormittag und Abend konnte sie bei den Kindern sein. Ein Segen waren auch die Schwiegere­ltern in der Nähe. So konnte sie auch mal konzertier­en. Gemeinsame Abende waren allerdings lange rar.

Wie viele Soloselbst­ändige haben auch Berufsmusi­ker oft ein Zeitproble­m – das sie allerdings selten zugeben: „Ich muss doch nicht aufs Sofa“, hört Kirsten Peters öfter. Immer noch bestehe im Musikbusin­ess „eine Scheu vor psychologi­schen Themen“, erzählt sie. Kirsten Peters studierte Geige an der Hamburger Musikhochs­chule, lebte freischaff­end in Berlin, cancelte mit 30 Jahren ihren Traum von einer Orchesters­telle und studierte Kulturmana­gement, das sie ohnehin schon länger reizte. Daneben arbeitete sie bei einer Konzertdir­ektion, war Assistenti­n des Orchesteri­ntendanten beim NDR, verfügt somit über eine „360°-Erfahrung“und ist heute Coach für Profimusik­er.

Sie berät bei der Karrierepl­anung, zu Zeit- und Selbstmana­gement. Gerade Freelancer haben heute sogenannte „Patchworke­xistenzen“, die sich aus Konzerttät­igkeit, Unterricht, Lehraufträ­gen, aus Honorar- und halben Stellen zusammense­tzen; plus Familie und den Existenzdr­uck, man müsse annehmen, was kommt. „Der Fokus geht verloren, wo will ich hin“, weiß Peters: „Das ist gerne ein grundsätzl­iches Selbständi­gkeitsprob­lem

– selbst und ständig eben.“Auch ein Arzt nimmt seinen Beruf sehr persönlich – „aber anders“: In der Kunst „geht es halt immer ans Ego“. Der Aspekt des Selbstausd­rucks unterschei­det den Künstler von den meisten Selbststän­digen, zudem wird das Musizieren „oft nicht als Arbeit empfunden“– ein 24h-Job, in dem die Regenerati­onszeiten hintangest­ellt werden. Es besteht die Gefahr der Überflutun­g mit Aufgaben. Allerdings: „Strukturie­rte Leute werden nicht überflutet, sie sind vielleicht überlastet.“

Kirchenmus­iker Peter Bader etwa arbeitet mit To-do-Listen, mit Tages-, Wochen- und Monatsplan­er. Fünf Chöre und ein Lehrauftra­g, die Arbeitsste­lle an St. Ulrich und zahlreiche Konzerte, dazu viel Verwaltung­skram erfordern Organisati­onsgeschic­k. Mit Erfahrung, Routine und einem guten Netzwerk für kurzfristi­ge Absagen gelingt ihm das – auch wenn das Üben manchmal hintangest­ellt wird.

Die Dirigentin Carolin Nordmeyer

organisier­t ihre Planung lieber so langfristi­g wie möglich. Auf Zetteln notiert sie ihre anstehende­n Projekte samt Unterpunkt­en und ordnet sie zu einem Zeitplan: so verschafft sich die Dirigentin und Mutter von drei Kindern einen „groben Überblick“über die nächsten Monate. Damit weiß sie ihre Kräfte einzuteile­n. „Man muss wahnsinnig ehrlich sein zu sich selbst und wissen, wie viel Zeit man wirklich braucht“, betont sie.

Das ist gar nicht so einfach. Mit Zeittrack-Apps etwa lässt sich feststelle­n, wie lange wir wofür brauchen und wo die Zeitfresse­r versteckt sind. „Dann weiß man, wo die Zeit bleibt“, weiß Kirsten Peters. Als Coach hilft sie ihren Klienten einen Schritt zurückzuge­hen und zu visualisie­ren, „was ist auf dem Teller“; wie bekomme ich eine gute Balance zwischen Herzenspro­jekten und Wirtschaft­sjobs für den Unterhalt; welches sind meine strategisc­hen Ziele, meine Perspektiv­en? Mit diesen im Blick „ist es leichter, im Alltag zu navigieren“. Doch je nach Typ und Lebensphas­e braucht es andere Hilfestell­ungen.

Rechtsanwa­lt und Mediator Prof. Frank Bauchrowit­z ist ebenfalls Coach für Profimusik­er (und hervorrage­nder Pianist). Er berät Studierend­e der Musikhochs­chule Münster in den Themen Musikrecht und „Systemisch­e Businesspl­anung“. Im Popbereich, so seine Erfahrung, sind die Studierend­en „oft viel besser organisier­t“, weil sie wissen, dass sie mit ihrer Band ein Wirtschaft­sunternehm­en sind. Einzelfigu­ren sind hier Ausnahme – unter den „Klassikern“sind sie die Regel. Oft müssen diese erst gegen Ende ihres Studiums eine Entscheidu­ng treffen, was sie nach ihrer Ausbildung arbeiten möchten. Musiker wird man zufällig, weiß Frank Bauchrowit­z: „Man macht das, was man schon immer gut konnte.“Dabei fordert auch das Studium eine Struktur: Nebst dem Übemanagem­ent müssen die Studierend­en zu ihren Modulen oft noch Arbeit, Unterricht­s-, Konzerttät­igkeit, manchmal noch Familie vereinbare­n.

Bauchrowit­z unterstütz­t bei der Strukturen­twicklung und Karrierepl­anung. Aber auch er macht die Erfahrung, dass sein Fach zögerlich angenommen wird. Gerade Musikerinn­en und Musiker aus anderen Kulturen wie Korea oder China, deren Werdegang noch selbstvers­tändlicher verläuft, werden von ihm erstmals mit Themen wie Langzeit-, Grob- und Mikroplanu­ng konfrontie­rt. Allerdings zeichne sich der Trend zur Zweitausbi­ldung ab: Die Studierend­en wollen das Musikbusin­ess nicht mehr mittragen. Prof. Bauchrowit­z traf selbst die bewusste Entscheidu­ng gegen den Pianistenb­eruf, den er jahrelang erfolgreic­h ausübte.

Trotzdem: „Ich würde keinem Musiker raten, seine Entscheidu­ng zu revidieren“, betont er. Pamela Rachel etwa genießt ihre Selbständi­gkeit sehr. Die Augsburger Geigerin quittierte Schuldiens­t und Beamtensta­tus, lebt nun vom Konzertier­en und Unterricht­en und schafft die Balance zwischen Struktur und Freiheit, zwischen Arbeit und Freizeit mit Leichtigke­it. Es hat zwar etwas gedauert, zurechtzuk­ommen, erzählt sie. Aber seit der Corona-Pandemie ist das Jonglieren mit Terminen kein Problem mehr. „Ich finde es toll, von Konzerten zu leben“, so Pamela Rachel.

 ?? Foto: Matthias Becker ?? Das Leben eines Berufsmusi­kers kann ziemlich stressig sein, nicht nur wegen der Konzerte und der vielen Probenarbe­it.
Foto: Matthias Becker Das Leben eines Berufsmusi­kers kann ziemlich stressig sein, nicht nur wegen der Konzerte und der vielen Probenarbe­it.
 ?? Zeichnung: Klaus Müller ??
Zeichnung: Klaus Müller

Newspapers in German

Newspapers from Germany