Traumjob oder Knochenmühle?
Hier Privatunterricht, dort noch eine halbe Stelle, abends Konzerte und dazu noch Familie: Berufsmusiker haben oft ein Zeitproblem.
Der Bariton Daniel Böhm leitet fünf Chöre, unterrichtet Gesang und Klavier, singt, dirigiert und organisiert Konzerte, textet und gestaltet Programmhefte und Plakate, hat diverse Ehrenämter und eine Familie. Da seine wöchentlichen Wirkungsstätten auf mehrere Orte in Schwaben verteilt sind, fährt er jährlich 25.000 Kilometer. Dazu kommen die Generalproben und Konzerte, die vorzugsweise an Wochenenden stattfinden. Geübt wird an freien Vormittagen. Für dieses Pensum braucht es ein gutes Zeitmanagement, Routine, Erfahrung, feste Einheiten für zu Hause – und die Schulferien zum Durchschnaufen.
Auch die Cellistin und Musikpädagogin Susanne Gutfleisch hat „sehr auf die Ferien hingelebt“, als sie vor 16 Jahren mit Kolleginnen ihre Musikschule „Vivio“gründete und ihre zwei Kinder noch im Vorschulalter waren. „Man muss wahnsinnig gut planen“, erklärt sie, sehr diszipliniert sein, verzichten können und Prioritäten setzen, um das abzustimmen: „Ich bin quasi nicht krank geworden.“Zum Glück war ihr Mann, Cellist bei den Augsburger Philharmonikern, nachmittags, wenn sie unterrichtete, zu Hause; zu seinen Dienstzeiten am Vormittag und Abend konnte sie bei den Kindern sein. Ein Segen waren auch die Schwiegereltern in der Nähe. So konnte sie auch mal konzertieren. Gemeinsame Abende waren allerdings lange rar.
Wie viele Soloselbständige haben auch Berufsmusiker oft ein Zeitproblem – das sie allerdings selten zugeben: „Ich muss doch nicht aufs Sofa“, hört Kirsten Peters öfter. Immer noch bestehe im Musikbusiness „eine Scheu vor psychologischen Themen“, erzählt sie. Kirsten Peters studierte Geige an der Hamburger Musikhochschule, lebte freischaffend in Berlin, cancelte mit 30 Jahren ihren Traum von einer Orchesterstelle und studierte Kulturmanagement, das sie ohnehin schon länger reizte. Daneben arbeitete sie bei einer Konzertdirektion, war Assistentin des Orchesterintendanten beim NDR, verfügt somit über eine „360°-Erfahrung“und ist heute Coach für Profimusiker.
Sie berät bei der Karriereplanung, zu Zeit- und Selbstmanagement. Gerade Freelancer haben heute sogenannte „Patchworkexistenzen“, die sich aus Konzerttätigkeit, Unterricht, Lehraufträgen, aus Honorar- und halben Stellen zusammensetzen; plus Familie und den Existenzdruck, man müsse annehmen, was kommt. „Der Fokus geht verloren, wo will ich hin“, weiß Peters: „Das ist gerne ein grundsätzliches Selbständigkeitsproblem
– selbst und ständig eben.“Auch ein Arzt nimmt seinen Beruf sehr persönlich – „aber anders“: In der Kunst „geht es halt immer ans Ego“. Der Aspekt des Selbstausdrucks unterscheidet den Künstler von den meisten Selbstständigen, zudem wird das Musizieren „oft nicht als Arbeit empfunden“– ein 24h-Job, in dem die Regenerationszeiten hintangestellt werden. Es besteht die Gefahr der Überflutung mit Aufgaben. Allerdings: „Strukturierte Leute werden nicht überflutet, sie sind vielleicht überlastet.“
Kirchenmusiker Peter Bader etwa arbeitet mit To-do-Listen, mit Tages-, Wochen- und Monatsplaner. Fünf Chöre und ein Lehrauftrag, die Arbeitsstelle an St. Ulrich und zahlreiche Konzerte, dazu viel Verwaltungskram erfordern Organisationsgeschick. Mit Erfahrung, Routine und einem guten Netzwerk für kurzfristige Absagen gelingt ihm das – auch wenn das Üben manchmal hintangestellt wird.
Die Dirigentin Carolin Nordmeyer
organisiert ihre Planung lieber so langfristig wie möglich. Auf Zetteln notiert sie ihre anstehenden Projekte samt Unterpunkten und ordnet sie zu einem Zeitplan: so verschafft sich die Dirigentin und Mutter von drei Kindern einen „groben Überblick“über die nächsten Monate. Damit weiß sie ihre Kräfte einzuteilen. „Man muss wahnsinnig ehrlich sein zu sich selbst und wissen, wie viel Zeit man wirklich braucht“, betont sie.
Das ist gar nicht so einfach. Mit Zeittrack-Apps etwa lässt sich feststellen, wie lange wir wofür brauchen und wo die Zeitfresser versteckt sind. „Dann weiß man, wo die Zeit bleibt“, weiß Kirsten Peters. Als Coach hilft sie ihren Klienten einen Schritt zurückzugehen und zu visualisieren, „was ist auf dem Teller“; wie bekomme ich eine gute Balance zwischen Herzensprojekten und Wirtschaftsjobs für den Unterhalt; welches sind meine strategischen Ziele, meine Perspektiven? Mit diesen im Blick „ist es leichter, im Alltag zu navigieren“. Doch je nach Typ und Lebensphase braucht es andere Hilfestellungen.
Rechtsanwalt und Mediator Prof. Frank Bauchrowitz ist ebenfalls Coach für Profimusiker (und hervorragender Pianist). Er berät Studierende der Musikhochschule Münster in den Themen Musikrecht und „Systemische Businessplanung“. Im Popbereich, so seine Erfahrung, sind die Studierenden „oft viel besser organisiert“, weil sie wissen, dass sie mit ihrer Band ein Wirtschaftsunternehmen sind. Einzelfiguren sind hier Ausnahme – unter den „Klassikern“sind sie die Regel. Oft müssen diese erst gegen Ende ihres Studiums eine Entscheidung treffen, was sie nach ihrer Ausbildung arbeiten möchten. Musiker wird man zufällig, weiß Frank Bauchrowitz: „Man macht das, was man schon immer gut konnte.“Dabei fordert auch das Studium eine Struktur: Nebst dem Übemanagement müssen die Studierenden zu ihren Modulen oft noch Arbeit, Unterrichts-, Konzerttätigkeit, manchmal noch Familie vereinbaren.
Bauchrowitz unterstützt bei der Strukturentwicklung und Karriereplanung. Aber auch er macht die Erfahrung, dass sein Fach zögerlich angenommen wird. Gerade Musikerinnen und Musiker aus anderen Kulturen wie Korea oder China, deren Werdegang noch selbstverständlicher verläuft, werden von ihm erstmals mit Themen wie Langzeit-, Grob- und Mikroplanung konfrontiert. Allerdings zeichne sich der Trend zur Zweitausbildung ab: Die Studierenden wollen das Musikbusiness nicht mehr mittragen. Prof. Bauchrowitz traf selbst die bewusste Entscheidung gegen den Pianistenberuf, den er jahrelang erfolgreich ausübte.
Trotzdem: „Ich würde keinem Musiker raten, seine Entscheidung zu revidieren“, betont er. Pamela Rachel etwa genießt ihre Selbständigkeit sehr. Die Augsburger Geigerin quittierte Schuldienst und Beamtenstatus, lebt nun vom Konzertieren und Unterrichten und schafft die Balance zwischen Struktur und Freiheit, zwischen Arbeit und Freizeit mit Leichtigkeit. Es hat zwar etwas gedauert, zurechtzukommen, erzählt sie. Aber seit der Corona-Pandemie ist das Jonglieren mit Terminen kein Problem mehr. „Ich finde es toll, von Konzerten zu leben“, so Pamela Rachel.