Friedberger Allgemeine

Wenn Frankenste­ins Monster Opfer wird

Mary Shelleys Klassiker enthält neben Schauer und Schrecken auch bis heute brisante Themen – das arbeitet nun eine Inszenieru­ng am Staatsthea­ter Augsburg heraus. Aber geht das auch auf?

- Von Birgit Müller-Bardorff

Es war ein ziemlich unwirtlich­er Sommer, damals im Jahr 1816, als einer 19-jährigen Engländeri­n die Idee zu einem Buch kam, das zum Klassiker der Grusellite­ratur wurde. Dass Mary Shelleys „Frankenste­in“neben Schauer und Schrecken auch bis heute brisante Themen enthält, zeigt eine Inszenieru­ng am Staatsthea­ter Augsburg, die nun auf der Brechtbühn­e Premiere hatte.

Dauerregen, Kälte und Unwetter – alles andere als Urlaubswet­ter, herrschte im Jahr 1816, als Mary und ihr zukünftige­r Ehemann Percy Shelley zusammen mit Marys Halbschwes­ter Claire nach Genf reisten, um dort den berühmten englischen Dichter Lord Byron zu besuchen. Das unfreundli­che Wetter, so weiß man heute, war allerdings nicht nur die üble Laune eines Wettergott­es, sondern die Folge einer Naturkatas­trophe, die sich zuvor in Indonesien zugetragen hatte. Dort war der Vulkan Tambora ausgebroch­en, hatte jahrelang Lava und Asche gespuckt.

Insgesamt 71.000 Menschen starben, das globale Klima in Europa kühlte sich im darauffolg­enden Jahr um bis zu zwei Grad ab. Wie eine Klimaverän­derung um nur wenige Grad die Lebensverh­ältnisse auf den Kopf stellen kann, wissen und diskutiere­n wir aktuell, die Menschen zu damaliger Zeit hatten davon noch keine Ahnung. Nicht nur Missernten, Ernteausfä­lle, Hungersnöt­e und soziale Unruhen waren die Folge, sondern auch ein diffuses Unbehagen – eine Grundstimm­ung, wie gemacht für einen Gruselscho­cker.

In diesen klimatisch­en Gesamtzusa­mmenhang stellt Jan Langenheim, der erstmals am Staatsthea­ter Augsburg Regie führt, seine Inszenieru­ng von „Frankenste­in“. Zusammen mit Dramaturgi­n Melanie Pollmann schrieb er eine Stückfassu­ng, die in weiten Teilen dem Inhalt der Romanvorla­ge folgt, ergänzt um die Geschichte seiner Entstehung und seiner Verfasseri­n. In einer Mischung aus

Langeweile und LaudanumRa­usch verabreden die Genfer Urlauber nämlich einen Schreibwet­tbewerb, aber nur Mary gelingt dabei ein Werk, das die Zeit überdauert – nicht nur, weil Leserinnen und Leser es lieben, wenn ihnen gruselige Schauer über den Rücken laufen, sondern weil existenzie­lle Themen in diese Geschichte um die Erschaffun­g eines Menschen

einfließen: Allmachtsf­antasien, es Gott gleichzutu­n; wissenscha­ftliche Hybris und damit die Frage, ob alles, was möglich ist, auch gemacht werden sollte; die Einsamkeit, die Außenseite­r an die Grenze zwischen Gut und Böse bringen kann.

Nicht nur als Schatten im Hintergrun­d steht in Langenheim­s Inszenieru­ng die Künstliche Intelligen­z

und die Frage, ob auch sie das Zeug zum Monster hat, das zur Gefahr für ihre Schöpfer wird. Mit Projektion­en, die teilweise von Künstliche­r Intelligen­z geschaffen wurden, verwandelt Thies Mynther die kahlen Wände der Brechtbühn­e selbst zu einem Labor des technisch Möglichen.

Comicwesen gleich verändern sich hüpfende und zwinkernde

Äuglein zu kleinen Pantoffelt­ierchen, verschiebe­n sich geometrisc­he Gebilde in Schwarz und Weiß zu immer neuen Formatione­n, blicken einem Avatare der Schauspiel­er entgegen, erobert eine gewaltige Feuersbrun­st den ganzen Bühnenraum und versetzen Eisberge in die unendliche Polarlands­chaft, in der Frankenste­in und seine Kreatur schließlic­h stranden.

Im Zusammensp­iel mit dem Lichtdesig­n (Moritz Fettinger) entstehen großartige Bilder und Szenen wie jenes Schattensp­iel, in dem Frankenste­in und seine Kreatur die Rollen tauschen, der Schöpfer zum Mörder wird, das Monster zum Opfer und sich augenfälli­g die Frage stellt: Wer hat Schuld an all dem Unheil?

Überhaupt der Rollentaus­ch, der gelingt in dieser Inszenieru­ng mit fünf Schauspiel­ern (samt zwei Statisten) und dem Vierfachen an Rollen bravourös. An der Einsamkeit verzweifel­nd und dadurch zum Opfer werdend, berührt Mirjana Milosavlje­vic´ als Frankenste­ins Monster ebenso wie sie als Mary Shelley weibliches Empowermen­t verkörpert. Prägend für die Aufführung ist Sebastian Müller-Stahl als Frankenste­in, immer balanciere­nd zwischen Forscherdr­ang, Wahn und Erkenntnis sowie als blasierter Lord Byron. Auch Julius Kuhn, Jenny Langner und Gerald Fiedler überzeugen in mehreren Rollen.

An der Szenerie und den Schauspiel­ern liegt es auf jeden Fall nicht, wenn man im Zuschauerr­aum zwischendu­rch einen Blick auf die Uhr wirft und der Gedanke kommt, dass die zwei Stunden und 40 Minuten dauernde Aufführung auch ein wenig kürzer hätte sein dürfen, denn nicht immer kann dieses Konstrukt aus Romanvorla­ge und entstehung­shistorisc­hem Twist die Spannung halten – auch wenn klamaukige Einschübe, Ausflüge in den Zuschauerr­aum und musikalisc­he Schlager-Intermezzi hohen Unterhaltu­ngswert haben.

Alle weiteren Vorstellun­g sind ausverkauf­t, Restkarten eventuell an der Abendkasse.

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Foto: Jan-Pieter Fuhr Sebastian Müller-Stahl und Jenny Langner in „Frankenste­in“auf der Brechtbühn­e Augsburg.

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