GARTENROMAN
Ulrike Hartmann erzählt von der Liebe und der Sehnsucht der Großstädter nach einem eigenen Garten. Im Mittelpunkt steht die alleinerziehende Mutter Anna, die einen verwilderten Schrebergarten pachtet.
Liebe geht durch den Magen, aber auch durch den Garten.
Da lag er, mein Garten. Stand ruhig wie eh und je, als wäre nichts geschehen. Völlig unberührt von dem, was die Menschen so trieben. Ich schloss das Törchen auf, trat hinein und schaute mich um. Dieses kleine Fleckchen Land war mir so nah. Langsam ging ich zur Laube, ließ den Rucksack auf die Veranda sinken und setzte mich auf die Treppenstufen. Die Vögel sangen, der Wind spielte in den Bäumen und streichelte sacht meine Wange. Die Blätter raschelten, und wenn ich die Augen schloss, klang es wie leises Wasserrauschen. Ich beugte mich über das Rosenbeet und nahm Erde in die Hand. Sie war trocken und zerbröselte zwischen meinen Fingern. Der Lavendel und die Rosen verströmten einen intensiven Duft. Ich atmete tief durch die Nase ein und sog die Gerüche des Gartens auf. Mein Herz wurde ruhiger. Ich stand auf und ging zum Gartenschlauch. Es war noch früh genug, um zu wässern. Die Sonne stand nicht hoch. Sorgsam goss ich meine Pflanzen. Die Erde dampfte. Dann schloss ich die Laube auf. Ich suchte meinen Sonnenhut, griff zur kleinen Harke und ging hinüber zu meinem Gemüsebeet. Ich ließ mich auf die Knie nieder und machte mich an die Arbeit. Rein in die Erde, lockern, Wurzel greifen, ziehen, loslassen. Und wieder rein mit der Hacke, lockern, greifen, ziehen, loslassen. Als ich wieder aufblickte, strahlte die Sonne hoch am Himmel. (...) Am nächsten Tag ging ich in die Stadtbücherei und kam mit einem Stapel Bücher über das Gärtnern wieder nach Hause. Sabine Rodenberg hatte in einer Hinsicht recht gehabt – ich war unselbstständig gewesen. Auch wenn es nicht stimmte, dass ich mich schwach gegeben hatte, um zu erreichen, dass Paul sich für mich als Frau interessierte. Ich hatte ja anfangs wirklich Hilfe gebraucht, und dann hatte ich schlicht nach Wegen gesucht, um mit Paul alleine zu sein, weil Sabine nicht abzuschütteln gewesen war. Aber ich hätte doch mehr tun können, um auf eigenen Beinen zu stehen. Das holte ich jetzt nach. Ich las aufmerksam in den Büchern, was im Garten zu welcher Zeit zu tun war. Auch online gab es zahlreiche Gartenblogs, die mich inspirierten. Theoretisch war es nicht allzu schwer, seinen Gartentraum zu verwirklichen. Ich musste mich nur trauen. Zuerst einmal war gutes Werkzeug hilfreich. Ich ersteigerte im Internet für kleines Geld
gebrauchte, aber gute Scheren: Garten-, Hecken- und Astschere. Dann erstand ich eine tüchtige ergonomische Schubkarre, die mir der Verkäufer sogar in den Garten lieferte. Mit ihr konnte ich die Wackersteine wieder abtransportieren, ohne hinterher umzufallen. Ich errichtete aus ihnen eine niedrige Mauer am Rande eines kleinen Beetes, in das ich im kommenden Frühjahr kleine Stauden und Kräuter pflanzen wollte. In die alte Schubkarre bohrte ich Löcher, damit das Wasser gut abfließen konnte, füllte sie mit Vlies, Kies und Erde und bepflanzte sie mit bunten Wiesenblumen. An ihrem neuen Platz neben den Beeten sah sie prächtig aus. Von einem Teil des Geldes, das mir meine Mutter zum letzten Geburtstag geschenkt hatte und das mir als eiserne Reserve diente, kaufte ich mir eine Hängematte. Ich hatte immer schon davon geträumt. Ich befestigte sie zwischen zwei Bäumen am Rande des Gartens, warf mich hinein und ließ mich sacht vom Wind wiegen. Sie war der perfekte Platz, um zu schlafen, zu lesen, die Seele baumeln zu lassen und auch um zu weinen. Ich konnte die Matte um mich schlagen, und niemand sah mich in meinem Kokon. Und das war gut, denn ich weinte viel. Die Tränen kamen immer wieder. Ich weinte, und dann gärtnerte ich. Ich aß, und die Tränen liefen. Ich hörte die Vögel singen und fing an zu heulen. Der Schmerz floss aus mir hinaus, als hätte jemand den Stöpsel gezogen. Manchmal hatte ich das Gefühl, gar nicht mehr um Paul zu weinen. Wenn meine Mutter mich so gesehen hätte, hätte sie mich für verrückt erklärt und mir eine Therapie empfohlen. Ich aber gewöhnte mich daran und nahm es hin.
Und meinen Garten kümmerte es nicht. Es war ihm egal, ob ich weinte, schrie oder lachte, ob ich
eine Versagerin war oder eine Superheldin. Er war einfach da und lebte. Jeden Morgen kam ich in den Garten, und etwas hatte sich verändert. Eine Blüte war aufgegangen, eine andere verwelkt, die Äste neigten sich hier oder erhoben sich da, ein Keimling war zu sehen.