Immer mehr Angriffe auf Flüchtlingsheime
Im ersten Halbjahr 2015 fast genauso viele rechtsextreme Übergriffe wie in ganz 2014
- Bei Übergriffen auf Asylbewerberunterkünfte haben Rechtsextreme allein im ersten Halbjahr 2015 fast so viele Straftaten verübt wie im gesamten Jahr zuvor. Von Januar bis Anfang Juli registrierten die Behörden 173 Delikte rechtsgerichteter Täter, wie das Bundesinnenministerium mitteilte.
Im gesamten Jahr 2014 waren 175 Straftaten von Rechten im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften gezählt worden, 2013 hatten die Behörden nur 58 solcher Taten verzeichnet. Insgesamt wurden im ersten Halbjahr 2015 sogar 202 Übergrif- fe auf Unterkünfte verzeichnet, wobei ein Teil der Taten nicht einem bestimmten Täterkreis zugeordnet werden konnte.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wies den Vorwurf zurück, die Flüchtlingspolitik des Freistaats bereite den Boden für ein Erstarken des Rechtsextremismus. „Das beste Mittel gegen Rechtsextremismus ist, dass der Staat konsequent handelt“, sagte Herrmann. Dazu gehöre es auch, einen Missbrauch des Asylrechts zu bekämpfen. Bayern will Flüchtlinge künftig bereits bei Ankunft in jene mit Schutzbedürftig- keit und jene ohne Bleibeperspektive unterteilen. Für Letztere sollen zwei neue Erstaufnahmeeinrichtungen in Grenznähe entstehen. Dorthin sollen Menschen vor allem aus den BalkanLändern gebracht werden. Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), zeigte sich offen für solche Unterscheidungen: Es sei „durchaus eine Idee“, dass die Flüchtlinge aus bestimmten Regionen auch in bestimmte Erstaufnahmeeinrichtungen kämen, sagte sie. Flüchtlingen, die keine Chance auf Asyl hätten, müsse das auch schnell gesagt werden.
Angesichts der steigenden Zahl von Flüchtlingen, die über den Balkan in die EU kommen, schlug BadenWürttembergs Europa- und Bundesratsminister Peter Friedrich (SPD) indes die Eröffnung von EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien, Mazedonien und Albanien vor. Es sollten Verhandlungen zu den Themen Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Justiz, Verwaltungsaufbau und Umgang mit Flüchtlingen eröffnet werden, sagte Friedrich im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Wir würden so etwas gegen die Fluchtursachen tun.“
- Flüchtlinge vom Balkan haben in Deutschland geringe Chancen auf Asyl – stellen aber einen großen Anteil der Asylbewerber. CSU-Chef Horst Seehofer will spezielle Einrichtungen für Flüchtlinge „ohne Bleibeperspektive“– dazu gehören jene vom Westbalkan. Der baden-württembergische Europaminister Peter Friedrich (SPD), wirbt für einen anderen Weg. Er fordert von der EU, größere Anreize für Albanien, Mazedonien und Serbien zu schaffen, damit diese Flüchtlinge umfassend betreuen. Die „Schwäbische Zeitung“hat mit ihm gesprochen.
Aus und durch Albanien, Mazedonien und Serbien kommen viele Flüchtlinge zu uns. Wie wollen Sie diese Länder stärker einbinden?
Alle drei Staaten, durch die die Flüchtlingsroute im Balkan verläuft, sind Beitrittskandidaten für die Europäische Union. Wenn wir mit diesen Ländern die Verhandlungen zu den Kapiteln 23 und 24 eröffnen, in denen es um Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Justiz, Verwaltungsaufbau und den Umgang mit Flüchtlingen geht, könnten wir dafür sorgen, dass dort europäische Standards und Verfahren angewendet werden.
Lassen sich für dieses spezifisch deutsche Problem in Brüssel Mehrheiten finden?
Das ist kein spezifisch deutsches Problem. Ungarn hatte Mitte letzter Woche 80 000 Flüchtlinge, die dieses Jahr über den Balkan gekommen sind, zu verzeichnen. Wir beobachten eine Verlagerung der Routen weg vom offenen Mittelmeer auf die Balkanroute, aber die Flüchtlinge ziehen weiter nach Frankreich, Italien, Schweden, das ist also ein Thema, das die ganze EU betrifft. Wir haben alle ein großes Interesse, diese drei Länder zu stabilisieren.
Worin besteht denn der konkrete Anreiz für diese Länder?
Mit konkreten Verhandlungen zu diesen Kapiteln der Beitrittsverhandlungen sind Umsetzung von EU-Recht und Verwaltungsaufbau verbunden. Sie könnten mit der EU und EU-Mitteln staatliche Strukturen, rechtsstaatliche Verwaltungen und Hilfsorganisationen aufbauen, um Flüchtlinge nach EU-Standards zu behandeln.
In Deutschland sind das größte Problem nicht jene, die über den Balkan fliehen, sondern jene, die vom Balkan fliehen ...
Wir haben schon Rückführungsabkommen mit diesen Ländern. Sie sind verpflichtet, jene, die bei uns abgelehnt werden, wieder aufzunehmen und zu versorgen. Der Vorteil wäre, dass für Rückkehrer diese Flüchtlingsstrukturen zur Verfügung stehen. Die Länder haben fast alle Minderheitengesetze, die aber in der Umsetzung versagen. Wir würden so etwas gegen die Fluchtursachen tun.
Und wie wird Baden-Württemberg weiter mit dem Flüchtlings-
strom umgehen?
Wir schauen, dass wir die Erstaufnahmekapazitäten in Baden-Württemberg weiter ausbauen, wir stellen schon etwa ein Viertel der Kapazitäten bundesweit. Wir machen Druck auf den Bund, dass die Verfahren beschleunigt werden, so dass jene, die keinen Asylanspruch haben, aus den Erstaufnahmestellen direkt wieder zurückkehren und gar nicht erst den Kommunen zugewiesen werden.