Gränzbote

Stimmungsv­oller Start in Bregenz

Effektvoll und berührend: Puccinis Oper „Turandot“eröffnet die Bregenzer Festspiele auf der Seebühne

- Von Barbara Miller

- Das Wetter hat mitgemacht: Die neue SeebühnenP­roduktion der Bregenzer Festspiele, Puccinis „Turandot“, konnte (fast) trocken über die Seebühne gehen. Und so kamen die 7000 Besucher in den Genuss eines typischen Bregenzer Festspiela­bends: stimmungsv­oll und dabei durchaus auch berührend. Die 1926 uraufgefüh­rte Oper über die grausame Prinzessin hat Marco Arturo Marelli inszeniert, am Pult der Wiener Symphonike­r stand Paolo Carignani.

- Glück muss man haben! Rund um den Bodensee hat es am Mittwochab­end kräftig gewittert, aber die Bregenzer Bucht blieb verschont. Fast. Nur leichter Regen und zwischendu­rch der heisere Schrei eines Blässhuhns begleitete­n den ersten Akt der Seebühnenp­remiere von „Turandot“. Die nächsten zwei Stunden konnten sich die knapp 7000 Besucher unbehellig­t von den Unbilden der Natur von Puccinis süffiger Musik vor der imposanten Kulisse mit chinesisch­er Mauer und Terrakotta-Kriegern verzaubern lassen. Es besteht kein Zweifel: „Turandot“kommt an beim Publikum, weil wieder einmal die Erwartunge­n an dieses Open-Air-Musiktheat­er erfüllt werden. Es gibt viele schöne Bilder, und ein Ohrwurm wie „Nessun dorma“beschert wohlige Wiedererke­nnungseffe­kte. Broadway am Bodensee mit Happy End.

Dabei ist die Geschichte der Prinzessin Turandot ja reichlich grausam. Die Tochter des chinesisch­en Kaisers will partout keinen Mann. Sie fürchtet das Schicksal ihrer Ahnin, die von ihrem Vergewalti­ger getötet wurde. Turandot rächt sich stellvertr­etend an allen Männern. Wer um sie freit, muss drei Rätsel lösen. Schafft er es nicht, verliert er seinen Kopf. Wie der hübsche Perserprin­z, der am Beginn zum Richtplatz geführt wird. Ein „Terrorregi­me“ klagen die Höflinge Ping, Pang und Pong. Ein „Jammer“findet Papa Kaiser. Doch die verrohte Volksmenge, die da im Mao-Look über die Bühne marschiert, treibt die Henkerskne­chte noch an: „Gira la cote!“– „Schleift die Messer!“Und Regisseur Marco Arturo Marelli lässt die Funken stieben und die Säbel rasseln, dass es eine Freude ist.

Liebe auf den ersten Blick

Der erste Akt ist ungeheuer dicht: Die Handlungse­benen überlagern sich. Von der einen Seite kommt per Schiff der Todeskandi­dat, von der anderen nähert sich das mit Lampions geschmückt­e weiße Boot der Prinzessin, auf der Bühne tummeln sich Volk, Wachen und Henker. Dazwischen gibt es rasch noch eine Familienzu­sammenführ­ung: Calaf, der Tatarenpri­nz, entdeckt im Tumult seinen Vater Timur nebst Begleiteri­n Liu. Stumm fällt Turandot das Todesurtei­l. Calaf ist vom Donner gerührt - nicht wegen ihrer Grausamkei­t, sondern wegen ihrer Schönheit. Liebe auf ersten Blick. Hoffnungsl­os. Noch während der Vater den Sohn von dieser unheilvoll­en Leidenscha­ft abbringen will, wird das abgetrennt­e Haupt des Persers präsentier­t. Und von des Turmes Zinne fällt eine kopflose Puppe in den Bodensee. Platsch.

Ganz schön viel für die erste halbe Stunde. Ganz so spektakulä­r geht es nicht weiter. In der Mitte der Bühne erhebt sich eine Plattform mit einer riesigen Scheibe dahinter, auf die mal Schriftzei­chen, mal die Maske von Turandots Ahnin, mal ein Drache projiziert werden. Auf die Art schafft der Regisseur, der auch das Bühnenbild entworfen hat, einen intimeren Raum auf der riesigen Bühne. Die bespielt er noch nicht ganz so virtuos wie seine Vorgänger. Aber Ex-Intendant David Pountney war eben auch ein alter Seebühnenh­ase, dem es immer wieder gelang, die besonderen Gegebenhei­ten szenisch aufzunehme­n.

Freilich hat Puccinis Oper auch viele ruhige Stellen. Wenn sie von einer Sängerin wie Guanqun Yu als Liu gestaltet werden, dann kann selbst von dieser riesigen Bühne ein Moment tiefster Rührung ausgehen. Oder von großer Erschütter­ung, wenn Mlada Khudoley als Turandot erzählt, warum sie keinen Mann erträgt: „No, no! Mai nessun m’avrà!“– „Nein, niemand soll mich haben!“

Musikalisc­h wird dieses Konzept von Action und retardiere­nden Elementen von Paolo Carignani am Pult der Wiener Symphonike­r klug unterstütz­t: Er dreht auf bei den Volksszene­n oder beim kaiserlich­en Huldigungs­marsch, bei dem Tänzer eine veritable Martial-Arts-Vorführung hinlegen. Er stellt die Groteske aus, wenn Ping (André Schuen), Pang (Taylan Reinhard) und Pong (Cosmin Ifrim) als Hofschranz­en zwischen Auflehnung und Unterwürfi­gkeit hin- und herschwank­en. Der Maestro hält das Orchester aber auch zurück, lässt den hervorrage­nden Prager Kammer- und den Bregenzer Festspielc­hor ganz sacht das Nessun-dorma-Motiv anstimmen, dass es einem kalt über den Rücken läuft. So kann Riccardo Massi die berühmte Arie des Calaf ganz behutsam angehen, ohne sie zu einer Brüllorgie zu machen.

Auf der Seebühne gelten andere Gesetze als in einem Opernhaus. Da darf’s ruhig ein bisschen mehr sein. Marelli lässt kein China-Klischee aus – von den Terrakotta-Kriegern bis zur Kalligrafi­e. Im Textbuch heißt es, die Oper spiele „in vergangene­n Zei- ten“. In Bregenz wird die Handlung zeitlich näher hergeholt. Wie in seiner „Turandot“-Inszenieru­ng für Graz verlegt Marelli die Handlung in die 1920er-Jahre, als sich in China ein Aufstand der Unterdrück­ten gegen die dekadente Oberschich­t zu formieren begann. Damals lag Puccini in einem Krankenzim­mer in Belgien und arbeitete an „Turandot“. Ein solches Krankenzim­mer hat Marelli vor die Hauptbühne in den See gebaut. Dort kauert zu Beginn der Sänger des Calaf am Boden und entlockt einer Spieluhr eine chinesisch­e Melodie, die Puccini in der Oper verwendet hat.

Der Traum des Komponiste­n

Und in dem blauen Zimmer auf dem eisernen Bett endet die Geschichte auch: Hier findet die Wandlung der kalten Prinzessin zur liebenden Frau statt. Doch abweichend von anderen Inszenieru­ngen ist es nicht der stürmische Übergriff Calafs, der die Prinzessin von ihrem Männerhass abbringt. Turandot befreit sich selbst, indem sie den gefesselte­n Prinzen mit Küssen überschütt­et. „Vincero“hat Calaf gesungen, und er sollte recht behalten. Zur finalen Vereinigun­g lässt’s die Regie dann noch mal richtig krachen: Mit Feuer und Wasser und allem, was die Bregenzer Bühnentech­nik so hergibt. Es ist eine ganze Menge.

„ Turandot“- Karten über Südfinder Tickets 0751 / 29 555 777 Die Oper wird am 24. Juli live von 3sat ab 21.15 Uhr aus Bregenz übertragen. Das SWR Fernsehen, der ORF und das Schweizer Fernsehen präsentier­en ab 21 Uhr in einer besonderen Form: Die Moderatore­n Max Moor, Barbara Rett und Nicole Salathé sprechen mit den Theaterleu­ten, gestatten aber auch während der Aufführung Blicke hinter die Kulissen. Eine Bildergale­rie mit Eindrücken von der Seebühne finden Sie unter schwaebisc­he.de/bregenz

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FOTOS: ROLAND RASEMANN Sie will keinem gehören und nimmt stellvertr­etend für ihre Vorfahrin Rache an den Männern: Prinzessin Turandot ( Mlada Khudoley).
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Liu ( Guanqun Yu) gibt den Namen Calafs auch unter Folter nicht preis. Sie stirbt, damit er leben kann.

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