Chance für Wirtshäuser und Arztpraxen
Baden-Württembergs Genossenschaften zielen auf den ländlichen Raum
WEINGARTEN - Nach nie gab es so viele unterschiedliche Genossenschaften in Baden-Württemberg. Knapp 830 Unternehmen in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft (eG) verteilen sich auf rund 50 Branchen: Winzer sind dabei, Bäcker und Konditoren, aber auch Schwimmbäder, Gaststätten, Dorfläden und die Raiffeisenbanken. „Die Idee ist gerade im Südwesten stark verwurzelt“, sagte Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV), am Donnerstag in Weingarten. „Genossenschaften sind beileibe kein verstaubtes Relikt einer vergangenen Epoche.“2015 hat der BWGV zum Jahr der Genossenschaften erklärt. Auf Veranstaltungen wie in Weingarten will der Verband zeigen, dass sich die Rechtsform eignet, Veränderungen im ländlichen Raum zu begleiten.
Vergreisende Orte
Aus vielen Dörfern ziehen junge Leute weg. Wirtshäuser geben auf, Dorfläden schließen. Gleichzeitig haben kleinere Gemeinden kein Geld mehr, um zum Beispiel Schwimmbäder in Betrieb zu halten. In solchen Fällen können Genossenschaften einspringen. Sie leisten einen Beitrag zur „Funktionserhaltung im ländlichen Raum“, sagte Professor Reiner Doluschitz, Geschäftsführender Direktor der Forschungsstelle für Genossenschaftswesen an der Universität Hohenheim.
Das allerdings klingt in der Theorie einfacher als es sich in Wirklichkeit darstellt. Denn viele Genossenschaften sehen sich in der Zwickmühle, ihren regionalen Charakter zu wahren, gleichzeitig aber schlagkräftig auf nationalen oder internationalen Märkten anzutreten. Der Forscher attestierte Genossenschaften einen Hang zur „Schwerfälligkeit“, der unternehmerischen Entscheidungen bisweilen entgegenstehe. Bäuerliche Genossenschaften etwa müssen Milchviehhalter im Allgäu zufriedenstellen und zugleich Großkunden in Russland und Asien gewinnen. Banken müssen mit ihren Gebühren konkurrenzfähig sein, gleichzeitig erwarten die Kunden ein dichtes Netz an Filialen. Professor Doluschitz hält den „Brückenschlag zwischen den Erfolgen im globalen Wettbewerb und Bewahrung der Regionalität“für die größte Herausforderung.
Neue Betätigungsfelder
Andererseits ergeben sich für Genossenschaften neue Betätigungsfelder: etwa beim Betrieb von Altenheimen und Ärztehäusern, bei Windparks oder Handelshäusern. Genossenschaften könnten ihre Stärken gerade dort ausspielen, wo Unternehmen auf „langfristigen Erfolg statt auf kurzfristigen Gewinn“ausgerichtet seien, sagte BWGV-Präsident Glaser.