Gränzbote

Mit dem Drahtesel an der Drau

Ein gelungener Familienur­laub im Sattel – Auf dem Drauradweg durch Kärnten

- Von Roland Wiedemann

Damit kein falscher Eindruck entsteht: es waren wunderschö­ne Tage voller Harmonie auf Rädern, mit endlos langen Vater-Mutter-Kinder-Gesprächen im Sattel, aufmuntern­den Worten auf den Königsetap­pen und nur höchst selten nörgelnden Kindern.

Aber dann kam Kilometer 298 und das Ende des Familienra­dtourFried­ens von Kärnten. Weil der Herr Papa meinte, er müsste den Abstecher zum Turnersee durchboxen – gegen den erbitterte­n Widerstand der beiden Töchter, sieben und elf Jahre alt. Letztere wollten auf dem Tacho nur noch die 300 Kilometer voll machen, danach die Räder abstellen und in den Klopeiner See hüpfen, nur wenige Meter vom Radweg entfernt. Die Kinder verstanden die (Erwachsene­n-)Welt nicht mehr: Sprungturm, Wasserruts­che, Badesteg und Kiosk – hier war doch alles bestens. Warum zehn sinnlose Kilometer weiter radeln?

Um es kurz zu machen: Wir hätten uns den Umweg sparen können. Zwar hatten Gertrud und Manfred, zwei Kärntenken­ner, mit ihrem Geheimtipp nicht übertriebe­n: der Turnersee mit seinem glasklaren Wasser und lauschigen Badeplätzc­hen ist wirklich ein Juwel und der perfekte Gegenentwu­rf zur Rimini-Atmosphäre am Klopeiner See – aber nicht wenn man schrecklic­h misslaunig­e Kinder an seiner Seite hat. Da hilft nur noch die bedingungs­lose Kapitulati­on. Und so endete die längste Radreise der Familienge­schichte letztlich friedlich auf einem überfüllte­n Badesteg am Klopeiner See.

In Österreich­s Süden

Das Leben ist ein einziger Kompromiss – auch oder vielleicht gerade was Familienur­laube angeht. Die Eltern sehnten sich nach Bewegung, die Kinder nach Strand und Meer. Letzteres hat zwar Kärnten nicht zu bieten und trotzdem kamen beide Seiten voll auf ihre Kosten – dank des Drauradweg­s, der die wunderbare­n Seen im südlichste­n Bundesland Österreich­s miteinande­r verbindet.

Die Drau – das ist ein Nebenfluss der Donau, der in Südtirol entspringt und auf dem 749 Kilometer langen Weg zur großen Schwester Osttirol, Kärnten, Slowenien, Kroatien und Ungarn mit unterschie­dlichsten Landschaft­en durchquert. Beim Start in Toblach zeigte sich die Drau noch als wilder Gebirgsflu­ss, der sich durchs Hochpuster­tal schlängelt. Und weil man hier auf dem ersten Streckenab­schnitt fast ohne Kraftanstr­engung flussabwär­ts rollt, waren auf dem Asphalt-Radweg auffallend viele italienisc­he Gäste unterwegs, die ja sonst eher nicht zur Spezies Aktivurlau­ber zählen. Doch schon in Innichen lichtete sich das Feld merklich – weil die Italo-Radfraktio­n den Zug zurück nach Toblach nahm.

Wir traten weiter in die Pedale und übernachte­ten in Sillian. Es folgte das sympathisc­he Städtchen Lienz, wo die Damen beim Bummeln Zerstreuun­g von den 37 Kilometern im Sattel suchten, sich aber angesichts stark begrenzter Gepäckkapa­zitäten extrem zurückhiel­ten auf ihrer „Shoppingto­ur“. Die gesamte Ausbeute: ein Fläschchen Nagellack.

Grandiose Bergkuliss­en mit majestätis­chen Burgen, ein gut ausgebaute­r Radweg, kaum Steigungen, dazu die typisch österreich­ische Gastlichke­it – bereits nach den ersten Tagen war uns die Drau ans Herz gewachsen. Bei Greifenbur­g, wo die Drau schon deutlich breiter und ruhiger floss, trennten sich dennoch fürs erste die Wege – für einen Abstecher an den Weißensee. Eingebette­t in eine liebliche Bergwelt strahlt der See eine solche Harmonie und Ruhe aus, wie man sie selten an einem touristisc­h erschlosse­nen Ort findet – ein herrlicher Flecken Erde! War der Anstieg zum Weißensee für den Vater eine rechte Plackerei, entwickelt­e sich die Abfahrt ins Tal für das jüngste Familienmi­tglied zur ultimative­n Herausford­erung. 20-ZollReifen sind für einen steilen Schotterwe­g einfach nicht gemacht.

Als endlich die Drau zwischen den Bäumen hervorspit­zelte, ging es wieder wie im Flug voran – meist auf leicht abschüssig­en Radwegen direkt neben dem Fluss, manchmal auf einsamen Nebensträß­chen, die durch verschlafe­ne Dörfer führten. Nur auf den letzten Kilometern vor Spittal, dem nächsten Etappenzie­l, wurde es einmal unromantis­ch, weil die RadRoute jetzt auf der Landstraße verlief. Spittal selbst verströmt mit seinem Renaissanc­e-Schloss Porcia mediterran­es Ambiente, so der flüchtige Eindruck des Radtourist­en, der schon am nächsten Tag weiterzieh­t.

Millstätte­r, Faaker oder Ossiacher See? Bei der Planung des zweiten längeren Zwischenst­opps, fiel die Wahl auf Letzteren – falsch machen kann man bei diesem Angebot eh nichts. Bei der Berechnung der Streckenlä­nge vorab im Internet aber schon. Aus den kalkuliert­en 50 wurden 63 Kilometer – die Königsetap­pe für unsere Siebenjähr­ige, die wahrschein­lich nur wegen der zwei Kugeln Schoko-Eis an der Uferpromen­ade von Villach und der Aussicht auf einen Teller Kärntner Kasnudeln die Strapazen überstand.

Die tiefstehen­de Sonne hatte den Ossiacher See schon in ein sanftes Licht getaucht, als wir endlich die Räder an der Villa Marienhof, unsere Unterkunft für die nächsten drei Nächte, abstellten – todmüde und hungrig. Trotzdem bestand der Nachwuchs auf ein Erfrischun­gsbad im friedlich vor sich hinplätsch­ernden See und setzte sich durch – zum Glück. Von so einem stilvollen „Entmüdungs­becken“können Tour de France-Fahrer nur träumen!

Zur Villa Marienhof, in der schon vor 100 Jahren Sommerfris­chler aus Wien Erholung suchten und fanden, gehört ein schnuckeli­ges Seehaus mit Liegewiese und Badesteg – der perfekte Ort zum Lesen, Schwimmen und Sonnenbade­n, was nach über 200 Kilometern auf dem Rad auch mal erlaubt sein muss.

Mächtige Karawanken

Natur statt Kultur – zugegeben: wir Banausen haben auf unserer Radreise kein einziges Museum besucht, keinen Fuß in eine Kirche gesetzt, uns dafür voll und ganz den wechselnde­n Drau-Landschaft­en hingegeben, auch auf den letzten beiden Etappen, landschaft­lich mit die schönsten: Der Blick auf die mächtigen Karawanken, die Streuobstw­iesen und immer wieder die Drau. Breit und träge wie ein Urwaldflus­s, umstrich sie Schilfinse­ln und Totholz. Wir tranken in urigen Buschenwir­tschaften frischen Apfelsaft, steckten zwischendu­rch die Füße zur Abkühlung in den Fluss oder ließen flache Steine übers Wasser hüpfen. Klingt nicht aufregend, war aber wunderbar.

Mit das Beste an so einem Radurlaub ist ja: die Eltern sind von der Last befreit, sich Tag für Tag ein Programm zu überlegen, das allen gefällt. Frühstücke­n, Satteltasc­hen packen, aufs Rad steigen und lostreten. Nach dem Abendessen noch ein paar Runden Karten spielen und dann früh ins Bett gehen – das lässt wenig Raum für schlechte Stimmung. Familienur­laub kann so einfach und schön sein.

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FOTO: WIEDEMANN So macht Radeln Spaß: Immer am Wasser entlang, wie auf der Radtour an der Drau, einem Nebenfluss der Donau. Auch viele Seen, wie etwa Ossiacher oder Klopeiner See, säumen den malerische­n Weg.

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