Mit dem Drahtesel an der Drau
Ein gelungener Familienurlaub im Sattel – Auf dem Drauradweg durch Kärnten
Damit kein falscher Eindruck entsteht: es waren wunderschöne Tage voller Harmonie auf Rädern, mit endlos langen Vater-Mutter-Kinder-Gesprächen im Sattel, aufmunternden Worten auf den Königsetappen und nur höchst selten nörgelnden Kindern.
Aber dann kam Kilometer 298 und das Ende des FamilienradtourFriedens von Kärnten. Weil der Herr Papa meinte, er müsste den Abstecher zum Turnersee durchboxen – gegen den erbitterten Widerstand der beiden Töchter, sieben und elf Jahre alt. Letztere wollten auf dem Tacho nur noch die 300 Kilometer voll machen, danach die Räder abstellen und in den Klopeiner See hüpfen, nur wenige Meter vom Radweg entfernt. Die Kinder verstanden die (Erwachsenen-)Welt nicht mehr: Sprungturm, Wasserrutsche, Badesteg und Kiosk – hier war doch alles bestens. Warum zehn sinnlose Kilometer weiter radeln?
Um es kurz zu machen: Wir hätten uns den Umweg sparen können. Zwar hatten Gertrud und Manfred, zwei Kärntenkenner, mit ihrem Geheimtipp nicht übertrieben: der Turnersee mit seinem glasklaren Wasser und lauschigen Badeplätzchen ist wirklich ein Juwel und der perfekte Gegenentwurf zur Rimini-Atmosphäre am Klopeiner See – aber nicht wenn man schrecklich misslaunige Kinder an seiner Seite hat. Da hilft nur noch die bedingungslose Kapitulation. Und so endete die längste Radreise der Familiengeschichte letztlich friedlich auf einem überfüllten Badesteg am Klopeiner See.
In Österreichs Süden
Das Leben ist ein einziger Kompromiss – auch oder vielleicht gerade was Familienurlaube angeht. Die Eltern sehnten sich nach Bewegung, die Kinder nach Strand und Meer. Letzteres hat zwar Kärnten nicht zu bieten und trotzdem kamen beide Seiten voll auf ihre Kosten – dank des Drauradwegs, der die wunderbaren Seen im südlichsten Bundesland Österreichs miteinander verbindet.
Die Drau – das ist ein Nebenfluss der Donau, der in Südtirol entspringt und auf dem 749 Kilometer langen Weg zur großen Schwester Osttirol, Kärnten, Slowenien, Kroatien und Ungarn mit unterschiedlichsten Landschaften durchquert. Beim Start in Toblach zeigte sich die Drau noch als wilder Gebirgsfluss, der sich durchs Hochpustertal schlängelt. Und weil man hier auf dem ersten Streckenabschnitt fast ohne Kraftanstrengung flussabwärts rollt, waren auf dem Asphalt-Radweg auffallend viele italienische Gäste unterwegs, die ja sonst eher nicht zur Spezies Aktivurlauber zählen. Doch schon in Innichen lichtete sich das Feld merklich – weil die Italo-Radfraktion den Zug zurück nach Toblach nahm.
Wir traten weiter in die Pedale und übernachteten in Sillian. Es folgte das sympathische Städtchen Lienz, wo die Damen beim Bummeln Zerstreuung von den 37 Kilometern im Sattel suchten, sich aber angesichts stark begrenzter Gepäckkapazitäten extrem zurückhielten auf ihrer „Shoppingtour“. Die gesamte Ausbeute: ein Fläschchen Nagellack.
Grandiose Bergkulissen mit majestätischen Burgen, ein gut ausgebauter Radweg, kaum Steigungen, dazu die typisch österreichische Gastlichkeit – bereits nach den ersten Tagen war uns die Drau ans Herz gewachsen. Bei Greifenburg, wo die Drau schon deutlich breiter und ruhiger floss, trennten sich dennoch fürs erste die Wege – für einen Abstecher an den Weißensee. Eingebettet in eine liebliche Bergwelt strahlt der See eine solche Harmonie und Ruhe aus, wie man sie selten an einem touristisch erschlossenen Ort findet – ein herrlicher Flecken Erde! War der Anstieg zum Weißensee für den Vater eine rechte Plackerei, entwickelte sich die Abfahrt ins Tal für das jüngste Familienmitglied zur ultimativen Herausforderung. 20-ZollReifen sind für einen steilen Schotterweg einfach nicht gemacht.
Als endlich die Drau zwischen den Bäumen hervorspitzelte, ging es wieder wie im Flug voran – meist auf leicht abschüssigen Radwegen direkt neben dem Fluss, manchmal auf einsamen Nebensträßchen, die durch verschlafene Dörfer führten. Nur auf den letzten Kilometern vor Spittal, dem nächsten Etappenziel, wurde es einmal unromantisch, weil die RadRoute jetzt auf der Landstraße verlief. Spittal selbst verströmt mit seinem Renaissance-Schloss Porcia mediterranes Ambiente, so der flüchtige Eindruck des Radtouristen, der schon am nächsten Tag weiterzieht.
Millstätter, Faaker oder Ossiacher See? Bei der Planung des zweiten längeren Zwischenstopps, fiel die Wahl auf Letzteren – falsch machen kann man bei diesem Angebot eh nichts. Bei der Berechnung der Streckenlänge vorab im Internet aber schon. Aus den kalkulierten 50 wurden 63 Kilometer – die Königsetappe für unsere Siebenjährige, die wahrscheinlich nur wegen der zwei Kugeln Schoko-Eis an der Uferpromenade von Villach und der Aussicht auf einen Teller Kärntner Kasnudeln die Strapazen überstand.
Die tiefstehende Sonne hatte den Ossiacher See schon in ein sanftes Licht getaucht, als wir endlich die Räder an der Villa Marienhof, unsere Unterkunft für die nächsten drei Nächte, abstellten – todmüde und hungrig. Trotzdem bestand der Nachwuchs auf ein Erfrischungsbad im friedlich vor sich hinplätschernden See und setzte sich durch – zum Glück. Von so einem stilvollen „Entmüdungsbecken“können Tour de France-Fahrer nur träumen!
Zur Villa Marienhof, in der schon vor 100 Jahren Sommerfrischler aus Wien Erholung suchten und fanden, gehört ein schnuckeliges Seehaus mit Liegewiese und Badesteg – der perfekte Ort zum Lesen, Schwimmen und Sonnenbaden, was nach über 200 Kilometern auf dem Rad auch mal erlaubt sein muss.
Mächtige Karawanken
Natur statt Kultur – zugegeben: wir Banausen haben auf unserer Radreise kein einziges Museum besucht, keinen Fuß in eine Kirche gesetzt, uns dafür voll und ganz den wechselnden Drau-Landschaften hingegeben, auch auf den letzten beiden Etappen, landschaftlich mit die schönsten: Der Blick auf die mächtigen Karawanken, die Streuobstwiesen und immer wieder die Drau. Breit und träge wie ein Urwaldfluss, umstrich sie Schilfinseln und Totholz. Wir tranken in urigen Buschenwirtschaften frischen Apfelsaft, steckten zwischendurch die Füße zur Abkühlung in den Fluss oder ließen flache Steine übers Wasser hüpfen. Klingt nicht aufregend, war aber wunderbar.
Mit das Beste an so einem Radurlaub ist ja: die Eltern sind von der Last befreit, sich Tag für Tag ein Programm zu überlegen, das allen gefällt. Frühstücken, Satteltaschen packen, aufs Rad steigen und lostreten. Nach dem Abendessen noch ein paar Runden Karten spielen und dann früh ins Bett gehen – das lässt wenig Raum für schlechte Stimmung. Familienurlaub kann so einfach und schön sein.