Eine unerwartete Reggae-Party
Schäfer schlägt Klinsmann: Jamaika besiegt im Halbfinale des Gold-Cups die USA mit 2:1
ATLANTA (SID/dpa/sz) - Winfried Schäfer brüllte seine unbändige Freude in den Abendhimmel von Atlanta, die lange Mähne des JamaikaCoaches wippte bei seinem Jubel wild auf und ab. Mit einem sensationellen 2:1 (2:0)-Sieg im Halbfinale der Nord- und Mittelamerikameis-terschaft vor 68 000 Zuschauern im Georgia Dome von Atlanta gegen das klar favorisierte Team USA von Jürgen Klinsmann waren die Reggae Boyz ins Endspiel eingezogen.
„David hat sich gegen Goliath durchgesetzt“, sagte Schäfer voller Stolz: „Ich bin seit über 40 Jahren im Fußball, habe alles gesehen, aber glaubt mir: Diese Nacht werde ich nie vergessen.“Als erstes Land aus der Karibik steht der 76. der FifaWeltrangliste im Finale der Titelkämpfe des Concacaf-Verbandes. In der Nacht zu Montag kommt es in Philadelphia zum Duell mit Mexiko (1.30 Uhr).
„Wir können noch nicht feiern. Bob Marley wird erst nach dem Finale gespielt“, sagte Schäfer. Statt sich von dem in der Heimat ausgebrochenen Fußball-Fieber anstecken zu lassen, mahnte das 65-jährige Bundesliga-Urgestein schon kurz nach dem unerwarteten Triumph wieder Konzentration an. Die richtige ReggaeParty soll erst noch folgen. Doch schon jetzt steht Jamaika kopf und feiert den größten Fußball-Triumph des Landes nach der Teilnahme an der WM 1998 in Frankreich. „Glückwunsch an die Reggae Boyz“, twitterte Leichtathletik-Superstar und Fußball-Fan Usain Bolt. Auch die Medien waren euphorisiert: „Es wird ein wenig dauern, bis man es verstanden hat. Aber es ist wirklich wahr“, schrieb der „Jamaica Observer“.
Das ganze Land sei im fröhlichen Aufruhr, berichtete Schäfer: „Die Insel ist stolz auf diese Mannschaft. Auf den Straßen wurde getanzt, die Polizei hat mitgetanzt. Uns hat keiner zugetraut, dass wir so weit kommen. Jetzt können wir unbeschwert aufspielen.“Vor dem kommenden Gegner Mexiko, das sich mit 2:1 nach Verlängerung gegen Panama durchsetzte, hat der langjährige Trainer des Karlsruher SC großen Respekt. Die Mexikaner seien unheimlich tolle, kreative Fußballer, „das wird schwerer als gegen die USA“.
Kritik an Klinsmann
Damit versetzte Schäfer dem unterlegenen Klinsmann und dessen sportlichem Berater Berti Vogts einen weiteren schmerzenden Hieb. Das Aus des Titelverteidigers gegen den Außenseiter im eigenen Land zog umgehend harsche Kritik nach sich. Die USA haben zum ersten Mal seit 2003 das Finale beim alle zwei Jahre stattfindenden Event verpasst. „Jamaika schockt die USA. Das war ein jämmerliches Ergebnis“, urteilte die „New York Times“. „Es hat die Fragen über Jürgen Klinsmanns Personalentscheidungen erneuert.“Das Durchschnittsalter des 23-köpfigen Kaders liegt bei 27,5 Jahren. In Personalfragen habe Klinsmanns „Kompass deutlich am Ziel vorbeigeführt“, schrieb ESPN.
„Das Glück war nicht mit uns“, sagte Klinsmann und verwies auf eine Reihe vergebener Tormöglichkeiten. „Wir hatten genügend Chancen, um drei, vier oder fünf Tore zu erzielen, aber wir haben sie nicht genutzt“, sagte der frühere Bundestrainer Klinsmann konsterniert: „Diese Pille müssen wir schlucken.“Schon vor der Pause fehlte den US-Boys in der Defensive die Entschlossenheit. Darren Mattocks (31.) und Giles Bar- nes (36.) brachten Jamaika mit 2:0 in Führung, den Gastgebern gelang durch den früheren Gladbacher Michael Bradley (48.) lediglich der Anschlusstreffer. Klinsmanns Mannschaft kämpft nun am Samstag als Gold-Cup-Gastgeber im Spiel um Platz drei des Turniers gegen Panama zumindest noch um einen ehrenvollen Abgang.
Statt den USA spielt womöglich Jamaika 2017 beim Confederations Cup zur WM-Generalprobe in Russland. Vielleicht kommt es im entscheidenden Play-offspiel noch in diesem Jahr zum Wiedersehen mit Schäfer und seinen Spielern.
Daran wollte an diesem Abend auch Winfried Schäfer in seinem Jubel noch nicht denken. Er genoss den Augenblick. „Ein deutscher Trainer schlägt zwei deutsche Trainer“, sagte der Mann mit der Mähne triumphierend.