Bahnchef macht sich für Südbahn stark
Grube will Elektrifizierung vor Fertigstellung von Stuttgart 21 – Hauptbahnhof Ulm im Fokus
BERLIN - Bahnchef Rüdiger Grube macht sich für die Südbahn stark. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Südbahn rechtzeitig vor Fertigstellung des Stuttgarter Tiefbahnhofs und der Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Ulm elektrifiziert werde. „Als wir für Stuttgart 21 geworben haben, haben wir uns für die Südbahn eingesetzt“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“. „Stuttgart 21 ist nicht nur für die Landeshauptstadt Stuttgart, sondern ein Beitrag für ganz Baden-Württemberg.“
Die Südbahn führt von Ulm durch Oberschwaben zum Bodensee. Diese Strecke ist eine der wenigen zweigleisigen Bahnlinien Deutschlands ohne elektrische Oberleitung. Dort sind deshalb Dieselloks unterwegs. Wenn der unterirdische Tiefbahnhof in Stuttgart fertiggestellt ist, dürfen solche Lokomotiven dort aber nicht mehr einfahren. Um die Kosten für die Elektrifizierung in einer Größenordnung von mehr als 200 Millionen Euro streiten sich Bund und Land seit Jahren. Grube sagte nun, das Projekt Südbahn sei ihm ein persönliches Anliegen.
Modernisierungsbedarf sieht die Deutsche Bahn auch am Hauptbahnhof in Ulm. „Ich sage ganz klar: Wir wollen den City-Bahnhof Ulm weiterentwickeln“, so Grube. Ungeklärt sei nach wie vor die Finanzierung des Bauprojekts, das derzeit mit bis zu 170 Millionen Euro beziffert wird. „Das Ganze kostet sehr viel Geld, das ist der Knackpunkt.“ Nach Angaben des Bahnchefs muss die Planung überarbeitet werden. Der Bau der Schnellbahnstrecke zwischen Ulm und Stuttgart dagegen schreitet zügig voran. „Was den Zeitplan betrifft, sind wir – Stand heute – voll auf Kurs“, sagte Grube.
Die Bahn versucht derzeit auch, Kunden von den Fernbusbetreibern zurückzugewinnen. Das Unternehmen baut das drahtlose Internet aus und bietet in ländlichen Regionen künftig zusätzliche Verbindungen. Angebote wie die verbilligte Bahncard für Studenten wertete Grube als Erfolg auf ganzer Linie.
BERLIN - Fernbusse machen der Deutschen Bahn zu schaffen. Gerade junge Kunden und ältere Reisende kehren dem Staatskonzern den Rücken und fahren neuerdings Bus statt Bahn. Darauf reagiert Konzernchef Rüdiger Grube: Er modernisiert die Züge und baut das Streckennetz in ländlichen Regionen aus. Hendrik Groth, Jasmin Off und Steffen Range haben mit dem Manager über Verbesserungen für Reisende, die Modernisierung der Südbahn und den beklagenswerten Zustand des Ulmer Hauptbahnhofs gesprochen.
Vor wenigen Tagen haben sich Gegner von Stuttgart 21 wieder einmal zu Wort gemeldet. Auch Heiner Geißler (CDU), der vor fünf Jahren als Schlichter auftrat, behauptet, dass viele seiner Kompromissvorschläge nicht umgesetzt worden seien. Trifft diese Kritik zu?
Diese Vorwürfe beruhen womöglich auf einem veralteten Kenntnisstand. Mit allen Projektpartnern, auch mit Landesverkehrsminister Winfried Hermann arbeiten wir sehr vertrauensvoll zusammen und wir haben sehr gute Lösungen gefunden. Denken Sie beispielsweise an den Flughafenbahnhof. In der Schlichtung wurde moniert, dies sei ein Nadelöhr und es sei nicht ratsam, wenn S-Bahn und Fernverkehrszug dasselbe Gleis nutzten. Jetzt wird ein drittes Gleis gebaut, sodass der Fernverkehr und der S-Bahn-Verkehr im Bahnhofsbereich auseinandergehen. Die Optimierung auf den Fildern verdanken wir letztlich einer Entwicklung, die mit der Schlichtung begann.
Kritiker bezichtigen die Bahn, den Brandschutz im künftigen Stuttgarter Tiefbahnhof zu vernachlässigen ...
Ein seltsamer Vorwurf. Wir haben ein genehmigtes Brandschutzkonzept. Man kann keinen Bahnhof bauen, ohne die Brandschutzvorschriften einzuhalten. Unser Problem ist ein anderes: Großprojekte wie Stuttgart 21 leiden an viel zu langen Planungsverfahren. Christoph Ingenhoven gewann den Architektenwettbewerb 1997 – das ist jetzt fast 20 Jahre her. Innerhalb von zwei Jahrzehnten verändern sich Gesetze und Vorgaben. Deshalb mussten wir Planung und Konzepte immer wieder an geänderte Richtlinien anpassen, und das kostet Zeit und leider auch Geld.
Wie kommt das Projekt voran?
Monat für Monat graben unsere Teams auf der Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm an die 1000 Meter Tunnel. An einigen Stellen geht es besonders schnell, beispielsweise am Steinbühltunnel am Albaufstieg. Dort kommt der Durchstich der beiden Röhren Ende Oktober, ein halbes Jahr früher als geplant. Also, was den Zeitplan betrifft sind wir – Stand heute – auf Kurs.
Die Modernisierung des Hauptbahnhofs in Ulm dagegen verzögert sich. Wie steht es um dieses Bauvorhaben?
Ich sage ganz klar: Wir wollen den City-Bahnhof Ulm weiterentwickeln. Der Ulmer Bahnhof hat immerhin pro Tag 40 000 Reisende. Das macht im Jahr 14,8 Millionen. Das sind mehr Passagiere als am Hamburger oder Stuttgarter Flughafen. Es ist also ein sehr wichtiges Projekt.
Dieser wichtige Umsteigebahnhof ist aber in einem beklagenswerten Zustand ...
Ich kenne den Vorplatz, die Bahnhofshalle, die Unterführung, auch die Gepäckbänder.
Warum legen Sie dann nicht los?
Das Ganze kostet sehr viel Geld, das ist der Knackpunkt. Wir reden von 130 Millionen Euro. Das ist weder wirtschaftlich tragfähig noch finanzierbar. Der Neubau der Personenunterführung kostet noch einmal 40 Millionen. Wichtig ist ja auch, dass der Ulmer Bahnhof stufenfrei erschlossen wird. Deshalb wollen wir Aufzüge einbauen, damit Reisende auch mit Gepäck zu den Bahnsteigen kommen. Unterm Strich reden wir in Ulm über ein Investment von 170 Millionen Euro. Hier müssen wir gemeinsam mit der Stadt einen Weg finden.
Und wie könnte dieser Weg aussehen?
Oberbürgermeister Ivo Gönner und ich haben Ende 2013 gesagt, wir wollen die Erneuerung auf jeden Fall. Wir müssen jetzt über eine günstigere Variante im Sinne einer Teilerneuerung reden.
Und wie ist Ihr Zeitplan?
Neue Erkenntnisse für das Bahnhofskonzept erwarten wir für das Frühjahr 2016. Die stufenfreie Erschließung der Bahnsteige kommt bis Ende 2018, wir werden Aufzüge an den städtischen Steg anbauen. Die Inbetriebnahme ist für Ende 2018 vorgesehen.
Das wäre noch rechtzeitig vor Fertigstellung von Stuttgart 21 und der Schnellbahnstrecke von Wendlin- gen nach Ulm.
So ist der Plan.
Glauben Sie, dass auch die Elektrifizierung der Südbahn rechtzeitig mit Stuttgart 21 verwirklicht wird?
Auch das ist momentan unser Plan.
Die Menschen in unserer Region sehnen die Vertragsunterschrift herbei, damit die schwäbische Eisenbahn zum Bodensee endlich auf einen zeitgemäßen Stand gebracht wird ...
Wir übrigens auch. Und ich achte darauf auch persönlich. Als wir für Stuttgart 21 geworben haben, haben wir uns für die Südbahn eingesetzt. Ich habe immer gesagt: Stuttgart 21 ist nicht nur für die Landeshauptstadt Stuttgart, sondern ein Beitrag für ganz Baden-Württemberg. Das ganze Bahnnetz im Südwesten wird sich verändern – und deshalb gehört die Südbahn dazu.
Nicht nur zwischen Ulm und dem Bodensee muss die Bahnstrecke dringend ertüchtigt werden, sondern auch von München nach Zürich über Lindau.
Ja, diese Strecke soll auch elektrifiziert werden, damit wir dort schneller und umweltfreundlicher fahren können. Ein Hindernis war bisher der Bahnhof in Lindau beziehungsweise auf der Insel. Zwischenzeitlich ist das Thema ja gelöst. Der Verkehr nach München, also der Fernverkehr, läuft künftig über einen Durchgangsbahnhof, und der Regionalverkehr wird weiterhin den Kopfbahnhof passieren.
Was spricht gegen einen Kopfbahnhof?
Wir verlieren Zeit. Wenn Sie nach Lindau Insel reinfahren, verlieren Sie eine Viertelstunde bis 20 Minuten. Ein Durchgangsbahnhof hat nur maximal vier Minuten Halt und dann geht es weiter. Die Entscheidung, mit der Bahn zu fahren, fällt zum einen wegen des Preises, aber auch wegen der Reisezeit.
Vielen Reisenden geht es offenbar vor allem um die Kosten, sonst hätten die Fernbusse nicht so einen Zuspruch ...
Der Fernbus gehört inzwischen zum Verkehrsangebot in Deutschland dazu. Fernbusse fahren zu Preisen, die sich vor allem junge Menschen wünschen – und auch ältere Menschen, die nicht so auf die Zeit achten.
Fühlen Sie sich gegenüber dem Fernbus benachteiligt?
Ich bin für Wettbewerb und ich bin für Fairness. Fernbusse zahlen zum Beispiel keine Maut. Lastwagen und die Bahn zahlen für die Nutzung der Bahnchef Grube freut sich auf den
Lindauer Durchgangsbahnhof Schiene und Straße. Oder nehmen Sie das Thema Fahrgastrechte: Selbst bei Verspätungen durch höhere Gewalt oder schlechtem Wetter müssen wir Fahrtkosten zurückerstatten, und der Fernbus muss gar nichts machen. Der Gesetzgeber muss handeln, um für gerechten Wettbewerb der Verkehrssysteme zu sorgen.
Der Fernbus stößt in eine Lücke,
die die Bahn gelassen hat. Dass es Fernbusstrecken von Friedrichshafen oder Ravensburg nach München gibt, liegt ja auch daran, dass komfortable Bahnverbindungen fehlen. Warum verbessern Sie das Angebot nicht im ländlichen Raum?
Wir haben eine neue Kundenoffensive im Fernverkehr entwickelt, die in Zukunft zwei Netze unterscheidet: einmal das Kernnetz oder Hochgeschwindigkeitsnetz, und dann das Flächennetz. In beiden Netzen werden wir künftig mehr Züge fahren und das Kundenangebot verbessern.
Das sind ganz neue Töne ...
Im Jahr 2000 haben wir mehr Fernverkehr gefahren als heute. Jetzt könnten wir sagen, wir passen die Kosten an und nehmen noch einige unrentable Strecken raus. Aber dann gibt es irgendwann – außer auf ein paar Verbindungen zwischen den Ballungsgebieten – keinen Fernverkehr mehr. Das kann nun wirklich nicht die Antwort sein. Also haben wir den Spieß umgedreht und haben uns gefragt, was müssen wir machen, um wettbewerbsfähig zu sein und in der Fläche mehr zu machen? Wir haben uns nun vorgenommen, das Fernverkehrsangebot bis 2030 um 25 Prozent auszubauen.
Wir haben unsere Leserinnen und Leser vor diesem Interview gefragt, was sie vom Bahnchef wissen wollen. Die erste Frage, die uns erreichte, galt den Bordrestaurants und Bordbistros. Bleiben die in den neuen Zügen erhalten?
Der neue Hochgeschwindigkeitszug ICE 4, bisher als ICX bekannt, hat das gewohnte Bordrestaurant. Die Züge in der Fläche bekommen einen mobilen Service, der Kunde wird am Platz bedient. Wir müssen es schaffen, die Qualität und das Angebot zu verbessern und auf der anderen Seite wirtschaftlich tragfähig zu sein.
Betrachten Sie das Bordrestaurant als lästiges Zuschussgeschäft?
Der ICE ist die wertvollste Marke, die wir haben – und dazu gehört als fester Bestandteil der Marke auch das Bordrestaurant, auch wenn es nicht kostendeckend ist. Wir würden der Marke ICE einen großen Schaden zufügen, wenn wir dieses Komfortangebot nicht mehr bieten würden. Deshalb kann man auch keine isolierte Kostenbetrachtung machen.
Viele unserer Leser empfinden die Preisgestaltung der Bahn als kom-
pliziert mit den verschiedenen Bahncards, Sparpreisen und sonstigen Tarifen. Was entgegnen Sie diesen Kritikern? Die Preisgestaltung ist nicht mehr so einfach zu handhaben wie früher. Sie können nicht mehr pauschal über alle Strecken sagen, ein Kilometer kostet 20 Pfennig und zehn Kilometer dann eben zwei Mark. Sie müssen die Auslastung der Züge steuern. Nur dann ist die Bahn wirtschaftlich tragfähig und auch wirtschaftlich ausgelastet. Wenn die Nachfrage größer ist, zum Beispiel freitags um 17 Uhr, muss die Fahrt teurer sein, damit der Nutzer sich überlegt, ob er nicht lieber am Sonnabendvormittag fährt, weil die Reise dann günstiger ist.
Das klingt nicht sonderlich kundenfreundlich ...
Im Gegenteil. Wir machen das Angebot für den Kunden attraktiver. Bisher mussten Sie die BahnCard 25, 50 und 100 für ein Jahr kaufen. Viele hätten gerne eine Bahncard, aber nicht gleich für ein ganzes Jahr. Deshalb geben wir sie jetzt auch für drei Monate aus. Studenten sind stark abgewandert zum Fernbus. Also, was haben wir unternommen? Die Bahncard für Studenten bis zum 27. Lebensjahr im Preis halbiert. Und es wirkt.
Und sind Sie damit erfolgreich?
Es ist sehr erfreulich, das Angebot wird stark nachgefragt. Wir haben in den vergangenen drei Monaten 600 000 Kunden neu dazu bekommen. Daran zeigt sich: Wenn man attraktiv ist, kommt der Kunde auch zur Bahn zurück.
Gerade in unserer ländlichen Region beklagen sich viele Kunden, dass weder Mobilfunk funktioniert noch WLAN. Warum tut sich die Bahn so schwer, schnelles Internet in den Zügen anzubieten?
Für den Innenraum der Züge sind wir zuständig. Da gibt es Repeater, also Verstärker für das Signal. Die funktionieren aber nur, wenn es entlang der Strecke genügend Mobilfunkmasten gibt. Und das ist in vielen Gegenden Deutschlands nicht der Fall. Um die Ausrüstung der
„Die Entscheidung, mit der Bahn zu fahren, fällt auch wegen der Reisezeit.“ „Wir müssen im Regionalverkehr dringend WLAN anbieten.“
Grube hält das Mobilfunknetz im ländlichen Raum für ausbaufähig Strecke hat sich bisher nur die Telekom gekümmert, und man hat sich auf die Hochgeschwindigkeitsstrecken konzentriert. Das ist nicht als Kritik zu verstehen. Ganz im Gegenteil! Die Telekom hat viel Geld in die Hand genommen, andere haben das nicht gemacht. Jetzt haben wir Vodafone, O2 und die Telekom an einen Tisch geholt. Wir müssen unbedingt auch im Regionalverkehr besser werden und möglichst auch WLAN anbieten. Hier befinden wir uns in Gesprächen mit den Aufgabenträgern und den Telekommunikationsunternehmen.
Sie sind ein Manager mit einer internationalen Biografie, waren bei Daimler und beim deutsch-französischen Airbus-Vorgänger EADS. Machen Sie sich Sorgen, in welche Richtung sich gerade Europa entwickelt?
Meine ganze berufliche Karriere baut auf Europa auf. Ich bin ein Flugzeugmann, bei Airbus groß geworden und habe schon sehr früh die Notwendigkeit zum großen Europa hautnah gespürt. Ich glaube, es gibt keine Alternative zu einem Europa. Aber Europa kann auch nicht zu jedem Preis alle Belastungen hinnehmen. Wir dürfen auf keinen Fall den europäischen Gedanken opfern, nur weil einige Länder Herausforderungen nicht optimal managen. Eine Langversion des Gesprächs mit Bahnchef Rüdiger Grube sowie ein Fernsehinterview für das Journal von Regio- TV unter: www.schwaebische.de/grube