Geißler überzeugt nicht alle
Der CDU-Politiker referiert in der Stadtkirche über Martin Luther
TUTTLINGEN - Vieles, das Heiner Geißler am Montagabend in der Evangelischen Stadtkirche in Tuttlingen erzählt hat, ist den Besuchern sicherlich bekannt vorgekommen: Ablasshandel, Rechtfertigungslehre, Erbsünde, die Rolle der Frau bei Martin Luther. Gespickt mit Anekdoten des jungen Geißlers und dessen Beziehung zur Kirche referierte der inzwischen 85-jährige CDU-Politiker über sein Buch „Was müsste Luther heute sagen?“. Er überzeugte mit seinem Vortrag aber nicht alle.
Dass Geißler, langjähriger Minister und Generalsekretär, sich überhaupt für die evangelische Kirche interessiert, mag erstaunlich sein: Als junger Mann war er in den JesuitenOrden eingetreten. Er sei mit 23 aber an der Lehre von Armut, Gehorsam und Keuschheit gescheitert, so Geißler: „Ich konnte zwei davon nicht gut einhalten – es war nicht Armut.“Katholisch blieb er trotzdem und seine Faszination für Luther entstand ohnehin schon früher, beim Kirchgang mit der Großmutter in seinem Heimatort Oberndorf am Neckar. Oma Theresia habe ihn mit etwas Geld regelmäßig zum Stadtpfarrer geschickt, erzählt Geißler. Der Zweck: weniger Zeit im Fegefeuer. Ablasshandel wie zu Luthers Zeiten.
Luther habe aus Angst vor dem Fegefeuer, aus Angst vor Sünden, immer wieder gebeichtet, berichtet Geißler. Mit seiner Erkenntnis, dass Jesus gütig und liebend sei, habe er sich selbst und viele andere befreit. Darauf, so Geißler, beruhe Luthers Erfolg – ergänzt um die Massenverbreitung über den Buchdruck, „vergleichbar heute mit dem Internet“, seiner Bibel-Übersetzung und seinem charismatischen Auftreten.
Aber verherrlichen, das will Geißler auf keinen Fall. Luthers Theodizee – Leid sei Strafe für begangene Missetaten und Sühne für die Erbsünde – wertet er als „völlig unbrauchbare Antwort“. Aber auch in Richtung katholischer Kirche teilt Geißler aus: „Wir brauchen ein anderes Bild der Frau. Maria, die Unantastbare, reicht nicht mehr aus.“
Nicht immer war der Vortrag inhaltlich stringent, eine Besucherin quittierte ihn gar mit der Aussage: „Ein wenig wie Konfirmandenunterricht.“Zumindest der Appell an die Ökumene am Ende aber kam klar und deutlich: Die Kirchen sollten den Weg für eine Einigung bereiten. „Angesichts der Lage in der heutigen Welt“, so Geißler, sei das längst überfällig.
Außenspiegel abgerissen
TUTTLINGEN