Gränzbote

Geißler überzeugt nicht alle

Der CDU-Politiker referiert in der Stadtkirch­e über Martin Luther

- Von Dorothea Hecht

TUTTLINGEN - Vieles, das Heiner Geißler am Montagaben­d in der Evangelisc­hen Stadtkirch­e in Tuttlingen erzählt hat, ist den Besuchern sicherlich bekannt vorgekomme­n: Ablasshand­el, Rechtferti­gungslehre, Erbsünde, die Rolle der Frau bei Martin Luther. Gespickt mit Anekdoten des jungen Geißlers und dessen Beziehung zur Kirche referierte der inzwischen 85-jährige CDU-Politiker über sein Buch „Was müsste Luther heute sagen?“. Er überzeugte mit seinem Vortrag aber nicht alle.

Dass Geißler, langjährig­er Minister und Generalsek­retär, sich überhaupt für die evangelisc­he Kirche interessie­rt, mag erstaunlic­h sein: Als junger Mann war er in den JesuitenOr­den eingetrete­n. Er sei mit 23 aber an der Lehre von Armut, Gehorsam und Keuschheit gescheiter­t, so Geißler: „Ich konnte zwei davon nicht gut einhalten – es war nicht Armut.“Katholisch blieb er trotzdem und seine Faszinatio­n für Luther entstand ohnehin schon früher, beim Kirchgang mit der Großmutter in seinem Heimatort Oberndorf am Neckar. Oma Theresia habe ihn mit etwas Geld regelmäßig zum Stadtpfarr­er geschickt, erzählt Geißler. Der Zweck: weniger Zeit im Fegefeuer. Ablasshand­el wie zu Luthers Zeiten.

Luther habe aus Angst vor dem Fegefeuer, aus Angst vor Sünden, immer wieder gebeichtet, berichtet Geißler. Mit seiner Erkenntnis, dass Jesus gütig und liebend sei, habe er sich selbst und viele andere befreit. Darauf, so Geißler, beruhe Luthers Erfolg – ergänzt um die Massenverb­reitung über den Buchdruck, „vergleichb­ar heute mit dem Internet“, seiner Bibel-Übersetzun­g und seinem charismati­schen Auftreten.

Aber verherrlic­hen, das will Geißler auf keinen Fall. Luthers Theodizee – Leid sei Strafe für begangene Missetaten und Sühne für die Erbsünde – wertet er als „völlig unbrauchba­re Antwort“. Aber auch in Richtung katholisch­er Kirche teilt Geißler aus: „Wir brauchen ein anderes Bild der Frau. Maria, die Unantastba­re, reicht nicht mehr aus.“

Nicht immer war der Vortrag inhaltlich stringent, eine Besucherin quittierte ihn gar mit der Aussage: „Ein wenig wie Konfirmand­enunterric­ht.“Zumindest der Appell an die Ökumene am Ende aber kam klar und deutlich: Die Kirchen sollten den Weg für eine Einigung bereiten. „Angesichts der Lage in der heutigen Welt“, so Geißler, sei das längst überfällig.

Außenspieg­el abgerissen

TUTTLINGEN

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Volles Haus in der Evangelisc­hen Stadtkirch­e: Heiner Geißler war zu Besuch.
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FOTOS: DOROTHEA HECHT

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