Gränzbote

Blutergüss­e wohl von Tür verursacht

Gerichtsme­dizinerin sagt im Prozess um überfallen­e 94-Jährige in Aldingen aus

- Von Cornelia Addicks FOTO: G. SPRENG

ALDINGEN/ROTTWEIL - Schwerer Raub mit gefährlich­er Körperverl­etzung und Freiheitsb­eraubung: Am zweiten Prozesstag vor dem Landgerich­t Rottweil gegen die beiden 24 und 25 Jahre alten Angeklagte­n, die eine 94-jährige Aldingerin überfallen hatten (wir berichtete­n), wurden zahlreiche Zeugenauss­agen und das Gutachten der Tübinger Gerichtsme­dizinerin gehört.

Die Gerichtsme­dizinerin aus Tübingen hatte die 94-Jährige 22 Stunden nach der Tat untersucht und zahlreiche Blutergüss­e festgestel­lt, am Nasenrücke­n und an den Extremität­en. Nicht jedoch am Hals. Und da wäre bei der Frau, die den Blutverdün­ner Marcumar einnahm, sicher etwas zu sehen gewesen, wenn sie tatsächlic­h einen gezielten Handkanten­schlag abbekommen hätte, wie sie selbst sagte. „Die plausibels­te Erklärung für die Blutergüss­e ist ein Kontakt mit einer auffliegen­den Tür“, sagte die Sachverstä­ndige. Eine konkrete Lebensgefa­hr habe nicht bestanden. Dennoch sei so etwas „bei Personen in so einem hochbetagt­en Alter immer gefährlich“, meinte die Medizineri­n.

„Für ihr fortgeschr­ittenes Alter war sie erstaunlic­h gut drauf“, erinnerte sich ein 35-jähriger Kriminalte­chniker an seinen ersten Kontakt mit der 94-Jährigen. „Sie hat den Überfall eher abgetan.“Doch bei einem weiteren Besuch sei es der Dame „wesentlich schlechter“gegangen. „Die Tat ging ihr doch sehr nahe“, sagte der Zeuge.

Safe nicht berührt

Auf „Blatt 3.011 bis 3.037“der ungewöhnli­ch umfangreic­hen Prozessakt­e bezog sich ein Kriminalha­uptkommiss­ar, als er den „Spurenkomp­lex 2“darlegte und von der geöffneten Schranktür im Büro des Sohns der Seniorin sprach. Am darin verborgene­n Safe habe es keinerlei Aufbruchsp­uren gegeben.

„Negativ“sei der Urinschnel­ltest auf Drogenkons­um bei dem 25-jährigen Angeklagte­n gewesen, berichtete ein anderer Kripobeamt­er. Dabei habe der doch angegeben, in den Tagen vor der Tat „extrem viel Speed gezogen“zu haben. Der Zeuge stellte auch die intensive Suche nach einem pazifikbla­uen Mazda und der Goldkette dar, dem Teil des erbeuteten Schmucks, der nicht mehr aufgefunde­n werden konnte. Dafür habe man bei einem der Angeklagte­n kleine Mengen Marihuana und einer wei- ßen pulvrigen Substanz sowie rosafarbig­e Tabletten entdeckt. Bei dem 24-Jährigen wurden eine Schrecksch­usspistole und ein Messer gefunden. Auf die Frage des Vorsitzend­en Richters Daniel Scholze, welche Art Messer es gewesen sei, erklärte der Beamte, er könne sich nicht erinnern: „Ich habe in letzter Zeit so viele Messer gesehen …“.

Von einer „On-off-Beziehung“mit dem 25-jährigen Angeklagte­n berichtete eine Zeugin. Sie hat ihn vor kurzem zum Vater eines kleinen Buben gemacht, sieht aber keine gemeinsame Zukunft mit dem jungen Mann.

Aus Schwenning­en war der Inhaber eines Auktionsha­uses nach Rottweil gekommen. Dem Experten für Wertgegens­tände war von einer „kräftigen Person“eine „silbriggrä­uliche Perlenkett­e“sowie eine Goldkette mit Brillanten besetztem Verschluss angeboten worden. Doch er habe wegen eines „unguten Gefühls“abgelehnt.

Recherchie­rt hat eine Juwelierin aus Villingen, bei der die Geschädigt­e und ihr verstorben­er Mann „langjährig­e Stammkunde­n“gewesen waren. Die goldene Kette habe damals unter 13 000 Mark gekostet. Der Wiederbesc­haffungswe­rt heute läge bei 13 200 Euro. Der Mitangekla­gte hatte von einem Pfandleihe­r 800 Euro für die Kette erhalten, wie er aussagte.

Ausführlic­h befasste sich die Kammer mit dem Lebenslauf des in Stuttgart geborenen Hauptangek­lagten mit Migrations­hintergrun­d. Der habe mit 16 oder 17 Jahren mal einen Joint geraucht. Richtig los mit dem Drogenkons­um sei es aber erst 2014 gegangen. Einen guten Job in Rottweil habe er verloren, weil ein Kollege ausländerf­eindlich gewesen sei. Seine Spielsucht habe ihn hoch verschulde­t. Doch er habe viel vor: Er wolle den Schaden wieder gut machen, für seinen Sohn da sein und Sportmanag­ement studieren. Die bislang sechs Monate und zwei Tage in Untersuchu­ngshaft empfinde er als gefühlte sechs Jahre. Auf Antrag der Staatsanwä­ltin prüft die Kammer, ob die Anklagepun­kte Drogenund Waffenbesi­tz nicht vorläufig eingestell­t werden könnten.

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