Gränzbote

Wenn Betriebsrä­te vor Gericht gezerrt werden

Trotz besonderen Schutzes fühlen sich Arbeitnehm­ervertrete­r oft zu Unrecht angegangen

- Von Annika Grah

MANNHEIM (dpa/sz) - Nein, unterkrieg­en lässt Helmut Schmitt sich nicht: „Ich habe in keiner Weise zurückgezo­gen“, sagt der 63-Jährige. Schmitt ist seit 30 Jahren Betriebsra­t bei einem Bodenbelag­hersteller in Baden-Württember­g. Nachdem Betriebsra­t und Belegschaf­t einen Verkauf des Unternehme­ns an einen Konkurrent­en verhindert hatten, ging es los: Betriebsra­tskollegen wandten sich gegen Schmitt. Die Geschäftsf­ührung schickte mehrere Abmahnunge­n – unter anderem, weil er bei einer Betriebsve­rsammlung den Betriebsfr­ieden gestört haben soll. Es folgten ein Amtsentheb­ungsverfah­ren und eine fristlose Kündigung. Schmitt soll dem damaligen Betriebsra­tsvorsitze­nden vorgeworfe­n haben, von der Geschäftsl­eitung gekauft worden zu sein. Er selbst weist den Vorwurf zurück. Vor dem Arbeitsger­icht wurde schließlic­h ein Vergleich geschlosse­n.

Eigentlich sind Betriebsrä­te vom Betriebsve­rfassungsg­esetz geschützt. Sie genießen nicht nur einen besonderen Kündigungs­schutz, das Gesetz stellt die Behinderun­g von Betriebsrä­ten sogar unter Strafe. Doch immer wieder werden Fälle bekannt, in denen nicht nur die Gründung von Betriebsrä­ten vom Arbeitgebe­r torpediert wird sondern auch Betriebsrä­te direkt angegangen werden.

Fälle von Drangsalie­rung

Nicht selten wird als Kündigungs­grund die Störung des Betriebsfr­iedens ins Feld geführt, sagt Wolfgang Alles. Der Fall Schmitt war für ihn Anlass, die Solidaritä­tskampagne „Gegen BR Mobbing“zu gründen. Am vergangene­n Samstag hat in Mannheim zum zweiten Mal eine bundesweit­e Konferenz von IG Metall und der Organisati­on Work Watch zu dem Thema stattgefun­den.

Häufig seien solche Fälle in internatio­nalen Konzernen zu finden, so Alles. Die IG Metall hatte 2014 bei der OECD Beschwerde gegen den südkoreani­schen Autobauer Hyundai eingelegt, weil der den Betriebsra­t in Rüsselshei­m eingeschüc­htert und behindert haben soll. Doch die großen Gewerkscha­ften haben kaum Erkenntnis­se und Daten darüber, wie häufig Betriebsrä­te in Unternehme­n angegangen oder zu Unrecht drangsalie­rt werden.

Nur selten kommen Konflikte zwischen Management und Betriebsra­t so detaillier­t ans Licht der Öffentlich­keit wie beim Ulmer Nuss- und Trockenfru­chthändler Seeberger. Die „Südwest Presse“hatte im Dezember 2014 berichtet, Seeberger werde „von einer Affäre erschütter­t, in deren Rahmen ein anscheinen­d missliebig­er Betriebsra­t zum Rücktritt gedrängt wurde“. Wegen des verschärft­en Drucks in der Produktion sei der Betriebsra­t dem Management damals ein paarmal auf die Füße getreten.

„Die Zahlen über solche Fälle sind schwer zu erheben“, betont ein Sprecher der DGB Rechtsschu­tz GbmH, die Mitglieder des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes vertritt. Das liege auch daran, dass die Betroffene­n sich häufig einen eigenen Anwalt nehmen und nicht an die Gewerkscha­ften wenden.

Hinzu kommt: Mobbing oder Verleumdun­g sind schwer greifbar. „Die Behinderun­g der Institutio­n Betriebsra­t ist eine Straftat“, sagt Prof. Jens Schubert, Leiter der Rechtsabte­ilung bei der Gewerkscha­ft Verdi. Mobbing bedeute hingegen, dass jemand in herabwürdi­gender Weise behandelt wird. „Das ist im Einzelfall leider schwer nachzuweis­en. In Fäl- len von Betriebsrä­ten geht es da häufig um das Ausschließ­en von Informatio­nen oder um Fehlinform­ationen.“

Von Arbeitgebe­rn würden häufig andere Kündigungs­gründe gesucht, sagt Schubert. „Das können dann beispielsw­eise Fehler in der Reisekoste­n- oder Arbeitszei­tabrechnun­g sein.“Schubert geht davon aus, dass das häufiger in kleineren Firmen vorkommt, in denen der gewerkscha­ftliche Organisati­onsgrad niedriger ist.

Elmar Wigand von der Aktion Arbeitsunr­echt e.V. schätzt, dass höchstens fünf Prozent der Fälle überhaupt zur Anzeige kommen. Selbst wenn nach dem Betriebsve­rfassungsg­esetz der Straftatbe­stand erfüllt sei, also der Betriebsra­t in seiner Arbeit behindert werde, würden Staatsanwa­lt- schaften nur selten tätig. Auch die Gewerkscha­ft IG BCE weist auf das Problem hin und hat bereits entspreche­nde Gesetzesän­derungen gefordert.

Solche Vorstöße kommen ansonsten nur von der Opposition: Die Grünen im Bundestag sprechen sich in einem aktuellen Antrag für einen Gesetzentw­urf aus. Darin wird gefordert, dass die Bundesregi­erung prüft, ob bei der Verfolgung dieser Straftaten strukturel­le Defizite bestehen und wie diese behoben werden können. „So langsam“, stellt Wigand von der Aktion gegen Arbeitsunr­echt fest, „bewegt sich etwas.“

Rechtsanwa­lt Klaus-Dieter Freund, der Betriebsrä­te und das Solidaritä­tsbündnis „Gegen BR Mobbing“berät, sieht die Probleme aber weiterhin: „Sobald ein Betriebsra­t individual­rechtlich angegangen wird, gibt es ein strategisc­hes Ungleichge­wicht, weil die Beweislast beim Beschuldig­ten liegt.“Hinzu komme der persönlich­e Druck, wenn die Arbeitnehm­er erst einmal freigestel­lt seien: Häufig hielten die Betriebsrä­te dem nicht stand. „Die Verfahren gehen über Monate oder sogar Jahre, in der Zeit sind sie häufig nicht arbeitsfäh­ig.“

Gewerkscha­ften in der Pflicht

Freund sieht die Gewerkscha­ften in der Pflicht: „Es gibt die Möglichkei­t, dass sich die Gewerkscha­ften kollektivr­echtlich einsetzen, wenn mindestens ein Arbeitnehm­er des betreffend­en Betriebes Mitglied der Gewerkscha­ft ist“, rät er auf der Mannheimer Konferenz. Dann habe die Gewerkscha­ft eine Klagemögli­chkeit.

Im Fall von Holger Schmitt hat die Unterstütz­ung der Gewerkscha­ft auch außerhalb des Gerichtssa­als geholfen. Er arbeitet noch heute in der Firma – und ist Betriebsra­t. Auch wenn er nach wie vor Widerständ­e aus den eigenen Reihen spürt: „Die Geschäftsf­ührung ist mir gegenüber sehr vorsichtig geworden.“

 ?? FOTO: DPA ?? Betriebsrä­te genießen per se einen besonderen Kündigungs- und Tätigkeits­schutz. Unter dem Deckmantel der Störung des Betriebsfr­iedens wird die Arbeit von Betriebsrä­ten allerdings oftmals torpediert.
FOTO: DPA Betriebsrä­te genießen per se einen besonderen Kündigungs- und Tätigkeits­schutz. Unter dem Deckmantel der Störung des Betriebsfr­iedens wird die Arbeit von Betriebsrä­ten allerdings oftmals torpediert.

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