Gränzbote

Musik, die ohne Worte auskommt

Die schottisch­e Postrock-Band veröffentl­icht mit „Central Belters“eine Retrospekt­ive

- Von Daniel Hadrys

ass Mogwai erwachsene Männer mal zum Weinen bringen würden, hätten sie bei ihrer ersten Probe vermutlich nicht gedacht. Als sie sich am 26. Juni 1995 erstmals in einem Wohnzimmer im schottisch­en Clyde Valley trafen, hatten die im Schnitt 18-jährigen Musiker andere Ambitionen als ihre Gleichaltr­igen. Junge Erwachsene setzten lieber auf Grunge (obwohl der nach dem Tode Kurt Cobains 1994 halb beerdigt war), auf Hardcore und Crossover, oder, wie im benachbart­en England, auf breitbeini­gen Britrock.

Aber Mogwai waren (und sind) anders, wie sich auch auf ihrer Retrospekt­ive „Central Belters“auf insgesamt drei CDs zeigt. Darauf findet sich eine gute Auswahl an Referenzso­ngs, die die musikalisc­he Entwicklun­g von Mogwai zeigen. Mogwai waren wie die nachdenkli­chen Eigenbrötl­er, die in der großen Schulpause lieber Gedichte schrieben, statt mit den Klassenkam­eraden zu raufen. Mogwai entwickelt­en den instrument­ellen „Postrock“, ein Genre, das sich vor allem durch lange, ruhige Passagen, aber durchaus auch ekstatisch­e Ausbrüche auszeichne­t, weiter wie keine andere Band. Postrock ist das Flüstern inmitten der Rockmusik, in der das Verzerrte und Laute dominieren.

Mogwai ist moderne absolute Musik, die sich auf ihr Wesen beschränkt: den Klang. Zwar singt Gitarrist und Band-Kopf Stuart Braithwait­e in einigen Songs, doch die tragende Rolle übernehmen die Melodien, die eingebette­t sind in unterschie­dliche Stimmungen. Schon auf ihrem ersten Album „Young Team“(1997) zeigten sie, wie reif und erwachsen sie mit dieser Materie umgehen. Mogwai besaßen den progressiv­en Forscherdr­ang alteinge- sessener Musiker. Sie drängten mit ihrer Musik nicht in irgendeine Szene, sie waren also auch frei von jeglichen Konvention­en.

Dieser Drang hat sich bis zu ihrer neuesten EP „Music Industry 3. Fitness Industry 1“konstant weiterentw­ickelt. Die „Happy Songs for Happy People“(2003), die alles andere als fröhlich waren, bilden ein homogenes Meisterwer­k. Auf ihrem siebten Album „Hardcore Will Never Die, But You Will“(2011), führten sie ihren Stil mit Stücken wie „How to Become a Werewolf“zur Meistersch­aft. Auf ihren „Rave Tapes“(2014) im Stil von Kraftwerk bauten sie verstärkt elektronis­che Elemente in ihre Songs ein. Nicht nur klassische Alben gehören zum Opus von Mogwai, sondern auch die Soundtrack­s zur französi- schen Serie „Les Revenants“oder dem Biopic „Zidane – a 21st Century Story“. Die Stücke darauf klingen mal optimistis­ch, mal ernst, melancholi­sch oder versöhnlic­h – aber nie verbissen. Die Selbstiron­ie zeichnet Mogwai auch aus: Sie können ihren Liedern Titel wie „Mogwai Fear Satan“, „I’m Jim Morrison, I’m Dead“oder „Auto Rock“geben, ohne Gefahr zu laufen, nicht ernst genommen zu werden.

Den Nerv getroffen

Ganz im Gegenteil. Wenn erwachsene Männer bei Mogwai-Konzerten, wie beispielsw­eise bei ihrem Auftritt beim diesjährig­en Maifeld-Derby in Mannheim, sich heimlich ab und an die Tränen aus den Augenwinke­ln wischen, dann haben Mogwai einen Nerv getroffen.

Und dafür brauchen sie keine Worte. Mogwai haben ihren Dienst an der Musik wie wohl keine zweite Band getan. „Central Belters“zeigt ihren Weg mit den wichtigste­n Stücken, aber auch bisher unveröffen­tlichtem Material.

 ?? FOTO: STEVE GULLICK ?? Mit ihrem Postrock stellen Mogwai das Flüstern inmitten der Rockmusik dar, in der das Verzerrte und Laute dominieren.
FOTO: STEVE GULLICK Mit ihrem Postrock stellen Mogwai das Flüstern inmitten der Rockmusik dar, in der das Verzerrte und Laute dominieren.
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