Musik, die ohne Worte auskommt
Die schottische Postrock-Band veröffentlicht mit „Central Belters“eine Retrospektive
ass Mogwai erwachsene Männer mal zum Weinen bringen würden, hätten sie bei ihrer ersten Probe vermutlich nicht gedacht. Als sie sich am 26. Juni 1995 erstmals in einem Wohnzimmer im schottischen Clyde Valley trafen, hatten die im Schnitt 18-jährigen Musiker andere Ambitionen als ihre Gleichaltrigen. Junge Erwachsene setzten lieber auf Grunge (obwohl der nach dem Tode Kurt Cobains 1994 halb beerdigt war), auf Hardcore und Crossover, oder, wie im benachbarten England, auf breitbeinigen Britrock.
Aber Mogwai waren (und sind) anders, wie sich auch auf ihrer Retrospektive „Central Belters“auf insgesamt drei CDs zeigt. Darauf findet sich eine gute Auswahl an Referenzsongs, die die musikalische Entwicklung von Mogwai zeigen. Mogwai waren wie die nachdenklichen Eigenbrötler, die in der großen Schulpause lieber Gedichte schrieben, statt mit den Klassenkameraden zu raufen. Mogwai entwickelten den instrumentellen „Postrock“, ein Genre, das sich vor allem durch lange, ruhige Passagen, aber durchaus auch ekstatische Ausbrüche auszeichnet, weiter wie keine andere Band. Postrock ist das Flüstern inmitten der Rockmusik, in der das Verzerrte und Laute dominieren.
Mogwai ist moderne absolute Musik, die sich auf ihr Wesen beschränkt: den Klang. Zwar singt Gitarrist und Band-Kopf Stuart Braithwaite in einigen Songs, doch die tragende Rolle übernehmen die Melodien, die eingebettet sind in unterschiedliche Stimmungen. Schon auf ihrem ersten Album „Young Team“(1997) zeigten sie, wie reif und erwachsen sie mit dieser Materie umgehen. Mogwai besaßen den progressiven Forscherdrang alteinge- sessener Musiker. Sie drängten mit ihrer Musik nicht in irgendeine Szene, sie waren also auch frei von jeglichen Konventionen.
Dieser Drang hat sich bis zu ihrer neuesten EP „Music Industry 3. Fitness Industry 1“konstant weiterentwickelt. Die „Happy Songs for Happy People“(2003), die alles andere als fröhlich waren, bilden ein homogenes Meisterwerk. Auf ihrem siebten Album „Hardcore Will Never Die, But You Will“(2011), führten sie ihren Stil mit Stücken wie „How to Become a Werewolf“zur Meisterschaft. Auf ihren „Rave Tapes“(2014) im Stil von Kraftwerk bauten sie verstärkt elektronische Elemente in ihre Songs ein. Nicht nur klassische Alben gehören zum Opus von Mogwai, sondern auch die Soundtracks zur französi- schen Serie „Les Revenants“oder dem Biopic „Zidane – a 21st Century Story“. Die Stücke darauf klingen mal optimistisch, mal ernst, melancholisch oder versöhnlich – aber nie verbissen. Die Selbstironie zeichnet Mogwai auch aus: Sie können ihren Liedern Titel wie „Mogwai Fear Satan“, „I’m Jim Morrison, I’m Dead“oder „Auto Rock“geben, ohne Gefahr zu laufen, nicht ernst genommen zu werden.
Den Nerv getroffen
Ganz im Gegenteil. Wenn erwachsene Männer bei Mogwai-Konzerten, wie beispielsweise bei ihrem Auftritt beim diesjährigen Maifeld-Derby in Mannheim, sich heimlich ab und an die Tränen aus den Augenwinkeln wischen, dann haben Mogwai einen Nerv getroffen.
Und dafür brauchen sie keine Worte. Mogwai haben ihren Dienst an der Musik wie wohl keine zweite Band getan. „Central Belters“zeigt ihren Weg mit den wichtigsten Stücken, aber auch bisher unveröffentlichtem Material.