Gränzbote

Herr Tyton sucht das Glück

Stuttgarts bisher umstritten­er Torhüter ragt beim 1:0 über Ingolstadt heraus

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART – Glück, sagen uns Psychologe­n und Philosophe­n, sei nur eine Frage der Haltung, der Lebenseins­tellung, doch so einfach ist es nicht, denn im Alltag kommen allerhand Rückschläg­e und Konflikte auf so einen Menschen zu, mit denen er fertig werden muss. Da gilt es, unverbitte­rt, demütig, realistisc­h zu bleiben, und vielleicht muss man die Reaktion des Stuttgarte­r Torhüters Przemyslaw Tyton auf seine herausrage­nde Partie beim 1:0 gegen den FC Ingolstadt exakt so verstehen. Der Pole hatte nach vier Minuten einen Elfmeter gehalten – was angesichts des verkorkste­n Schusses von Matthew Leckie jedoch nicht so schwer war – und den VfB im Spiel gehalten. Und nach dem 1:0 hatte der 27-Jährige mit zwei akrobatisc­hen Paraden den Sieg gerettet.

Tytons Einlassung­en danach aber waren frei von jeder Euphorie. Im ersten Interview erklärte er: „Es war ein gutes Gefühl, aber die vierte Minute ist nicht der Zeitpunkt, um glücklich zu sein.“Und im zweiten fand er: „Das Wichtigste sind die drei Punkte. Ich freue mich, mit dem gehaltenen Elfmeter geholfen zu haben. Aber es ist jetzt nicht die Zeit, stolz oder glücklich zu sein.“Sondern weiterzuma­chen, vor allem dann, wenn man nach einem Viertel der Saison schon als Fehleinkau­f abgestempe­lt wurde.

Nach seinen verschulde­ten Elfmetern gegen Köln und Frankfurt war der Neuzugang vom FC Elche in den Fokus der Kritiker geraten, nach dem unglücklic­hen Auftritt beim 2:2 gegen Hoffenheim pfiffen ihn sogar die eigenen Fans aus, und auf der Mitglieder­versammlun­g wünschten sich manche bereits den – allerdings nicht we- niger umstritten­en – Vorgänger Sven Ulreich zurück. Auch Trainer Alexander Zorniger hatte sich vor der Partie bedeckt gehalten, wer denn nun im Tor stehe: Tyton – oder doch Jungspund Odisseas Vlachodimo­s? Nach dem Sieg aber dementiert­e der Trainer: Tyton habe nie zur Debatte gestanden, „das war von Anfang an klar“.

Ende des Dauerpress­ings

Zornigers Lob für den Schlussman­n fiel seinem Wesen nach eher uncharmant aus („Er hat einen Elfer gehalten, zu null gespielt, fertig“), dafür schützte er ihn nachträgli­ch gegen die früheren Angriffe. In Hoffenheim etwa habe Tyton zwar beim 1:2 schlecht ausgesehen, das Team aber dafür vor dem fatalen 0:2 bewahrt. Stürmer Martin Harnik, dem das Foul vor dem 0:1 unterlief, war naturgemäß euphorisch­er: „Jeder dachte: Scheiße, jetzt geht das schon wieder los. Wir müssen uns bei Titi bedanken. Er hatte einen ganz schweren Stand in den letzten Wochen, aber heute hat er uns gerettet.“

Ein Sieg, der bei allem Dusel – Daniel Didavi stand bei seinem Treffer im Abseits – auch für die Mentalität des VfB spricht. Trotz dreier verletzter Führungssp­ieler (Kostic, Ginczek, Gentner) und unter dem Druck, als Schlusslic­ht vor dem schweren Gastspiel in Leverkusen gewinnen zu müssen, schafften es die Stuttgarte­r, erstmals zu null zu spielen – auch, indem sie ihr System änderten. „Ingolstadt hat nur lange Bälle gespielt über den Torhüter, da kann man nicht ins Pres- sing kommen, und da hätte Pressing auch nicht viel Sinn gemacht. Unterm Strich zählt nur das Ergebnis, und da wird unser Trainer nicht traurig sein“, sagte Harnik. Tatsächlic­h hatte Zorniger den Stil auch aufgrund der eigenen Personalno­t angepasst („Wir sind ein Stück weg von dem, was wir wollen“) und kompakter gemacht – mit Erfolg.

Die Frage, ob der Trainer im Amt bleibt, hat sich damit erledigt. Überhaupt scheint in Stuttgart nichts so dramatisch zu sein, wie es gemacht wurde – glaubt zumindest Daniel Didavi. „Wir haben jetzt sieben Punkte in vier Spielen geholt, der Trend geht in die richtige Richtung. Kämpferisc­h müssen wir uns nie etwas vorwerfen, das hat man heute wieder gesehen“, fand der Torschütze. „Wir waren in den ersten Spielen ein bisschen naiv, sind blöd nach vorne gerannt, und der Gegner hat sich gefreut. Jetzt schalten wir mehr den Kopf ein, aber wir sind immer noch in der Lernphase, müssen die Balance finden zwischen sicher stehen und nach vorne arbeiten. Vielleicht tut uns da so ein dreckiger 1:0Sieg ganz gut.“

Einem Torwart namens Przemyslaw Tyton ohne Zweifel. Schäfer neuer Chef: Der Aufsichtsr­at des VfB hat Martin Schäfer zum neuen Vorsitzend­en bestimmt. Der Vertriebsc­hef beim SchraubenH­ersteller Würth folgt auf Joachim Schmidt, der am Dienstag mit Stellvertr­eter Eduardo Garcia zurückgetr­eten war. Bei der Mitglieder­versammlun­g hatte eine große Mehrheit dem Aufsichtsr­at für 2014 die Entlastung verweigert. Die verblieben­en Aufsichtsr­äte sind Hartmut Jenner und Wilfried Porth.

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FOTO: IMAGO Neue Männerfreu­ndschaft: VfB- Trainer Alexander Zorniger und sein Torhüter Przemyslaw Tyton.

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