Transport in die Ewigkeit
Menschen träumen seit jeher von der Unsterblichkeit – Manche lassen sich deshalb einfrieren
„Ich habe keine Moral, die greifbar ist.“Kryroniker Klaus Sames
- Wer das Leben von der Ewigkeit her denkt, muss sich erst mit dem Tod anfreunden. Diesen Eindruck vermittelt zumindest das Arbeitszimmer von Klaus Sames in Senden-Iller. In einer Vitrine liegen alte Knochen aus fränkischen Höhlen, in einer anderen Schädel von Affen und Menschen. Den kleinen Raum zieren Versteinerungen von Eidechsen, aufgespießte Schmetterlinge und ausgestopfte Vögel, deren Federn mangels Frischluft und Flugbewegung Staub angesetzt haben. „Ich bin kein geselliger Typ“, sagt der Professor für Anatomie passend zur morbiden Umgebung und bringt für den Besucher einen zweiten Stuhl. Mit seinen langen, grauen Haaren ist der 77-Jährige eine markante Erscheinung. Wie auch mit seinen freundlichen, kleinen Augen, den geröteten Tränensäcken und der für sein Alter typisch faltigen Haut, die für die Vergänglichkeit des Daseins steht. Abfinden mit diesem Zustand will sich Klaus Sames aber nicht, der sagt: „Ich wollte immer das Leben verlängern.“
Eine Wette auf die Zukunft
Klaus Sames gehört zum „Ulmer Kryonik Projekt“(Kryonik, altgriechisch kryos: Eis, Frost), hinter dem eine Methode steckt, die der Endlichkeit ein Schnippchen schlagen will. Rund 250 Menschen weltweit haben sich einfrieren lassen in der Hoffnung auf lebensverlängernde und verjüngende Methoden in der Zukunft. In Gefriertanks in den USA und Russland liegen ihre sterblichen Überreste, mit flüssigem Stickstoff auf minus 196 Grad runtergekühlt, so lange, heißt es, bis der Fortschritt eine Wiederauferstehung ermöglicht, in 100, in 200 Jahren oder wann auch immer. Menschen, die eine Wette auf die Zukunft, auf die Unbegrenztheit abgeschlossen haben. Für die Ethik und Moral in diesem Zusammenhang gestrige Begriffe sind, die sie durch den Glauben an die grenzenlose Machbarkeit der Medizin ersetzen. Für die der Tod nur ein Zwischenstopp ist, bestenfalls auf dem Weg zum ewigen Leben.
„Wer sich abfindet mit dem Tod, der lebt nicht“, behauptet Klaus Sames, der ausführlich darüber dozieren kann, was technisch schon möglich sei, und worauf die leblosen Körper im Stickstoff noch warten, noch hoffen müssten. Im Mittelpunkt steht die Technologie der Vitrifizierung, bei der die Körperflüssigkeit durch Lösungen ersetzt wird, in diesem Fall durch Kältemittel, weil sich durch sie keine Eiskristalle bilden, die die Zellen zerstören würden. Die mit verschiedenen Stoffen durchsetzten Kühlmittel gefrieren zu Glas, gehen also vom flüssigen in den festen Zustand über und umgekehrt, ohne zu kristallisieren. Ohne Frage gibt es ungelöste Probleme wie die mangelhafte Durchströmung des Kreislaufs mit den Mitteln, ihre hohe Giftigkeit (Toxizität), die Schwierigkeit, große Organe unbeschadet einzufrieren und vor allem aufzutauen. Kritiker sprechen daher bei der Kryonik von Science-Fiction, die meisten Fachleute aber wollen sich erst gar nicht dazu äußern, in der Sorge, mit Dr. Frankenstein gleichgesetzt zu werden. Andere verweisen auf erste Erfolge, so gelang es einem US-Forscher, Kaninchen, deren Nieren vitrifiziert, eingekühlt und reimplantiert wurden, bis zu 48 Tage am Leben zu erhalten. Auch vitrifiziertes Hirngewebe zeigte die gängigen Reaktionen auf elektrische Reize.
Eis von der Tankstelle
Klaus Sames stellt sich jedoch ein ganz anderes Problem: „Nach dem Tod muss alles sehr schnell gehen.“In Deutschland gibt es aber noch keine rechtliche Grundlage, Menschen einzufrieren (für Tiere wird Entsprechendes schon angeboten). Deshalb haben sich Sames und sein gutes Dutzend an Mitstreitern vom „Ulmer Kryonik Projekt“eine Logistik ausgedacht. Stirbt er, müssen ihn die Kollegen nach Ausstellen des Totenscheins mit großen Mengen Würfeleis (Sames: „Partyeis gibt es rund um die Uhr an Tankstellen“) kühlen, ein Balsamierer nimmt die Vitrifizierung vor, dann würde er in Trockeneis gelagert nach Amerika geflogen und dort in den Stickstofftank kommen. Der Rest ist Warten. „Aber wir haben ja zwei, drei Millionen Jahre Zeit, vorher passiert nichts im Eis.“
Der Traum vom Kälteschlaf ist alt
Das klingt alles gruselig, auch absurd, mit dem Gedanken des Kälteschlafs beschäftigt sich der Mensch aber schon lange; in zahlreichen Science-Fiction-Romanen, in Filmen wie „Forever Young“(mit Mel Gibson) oder dem Welterfolg „Avatar“von James Cameron. Auch Don DeLillo („Underworld“), der zu den wichtigsten zeitgenössischen USAutoren zählt, nimmt sich dem Thema der Kryonik an in seinem aktuellen Roman „Zero K“. Seine Hauptfigur ist ein milliardenschwerer Unternehmer, der das Leben als einen Optimierungs- und Maximierungsprozess versteht und darauf reduziert. Der Tod ist dabei nur ein weiteres Problem, das es zu lösen gilt. Der Roman beginnt mit dem vielsagenden Satz: „Jeder will das Ende der Welt besitzen.“
DeLillo nimmt die Kryonik, um Zukunft und Zeitgeist zu spiegeln. Eine Welt, in der die Menschen sich schon heute nicht nur selbst über Schönheitsoperationen zu optimieren suchen. Sondern Makel an ihrem Nachwuchs von vornherein ausschließen wollen, siehe kürzlich die Geburt eines Kindes durch drei Eltern, oder das Bestreben, Bluttests für Schwangere als Kassenleistung aufzulegen.
Und schon lange gibt es auch in Deutschland Firmen, bei denen Eltern Nabelschnurblut ihres Neugeborenen einfrieren lassen – in der Hoffnung, dass eines Tages, wenn die Forschung so weit sein sollte, die Stammzellen helfen, Krebs, Diabetes oder Querschnittslähmung zu heilen. Oder es ermöglichen, Herzklappen oder ganze Organe zu züchten. Dazu kommen aufstrebende Zweige wie die der Herstellung künstlicher Organe oder die Verjüngungsforschung. In Büchern wird versprochen: „Niemals alt!: So lässt sich das Altern umkehren“.
Die Hoffnung auf ewige Jugend und die Angst vor dem Tod befeuern hier gleichermaßen ein Milliardengeschäft. Bei dem die Kryonik ein Nischendasein führt, womöglich aber nur, weil ihre Versprechen bisher weniger greifbar sind als andere. Immerhin haben sich schätzungsweise weltweit schon mehr als 2000 Menschen einen Stickstofftank für den Transport in die Ewigkeit gesichert, für 150 000 Euro pro Person, 60 000 Euro zahlen jene, die nur ihren Kopf einfrieren lassen wollen, Familien im Paket erhalten Rabatt. Die Angebote, mal von gemeinnützigen, mal von kommerziellen Anbietern, treffen auf Menschen wie die 23-jährige US-Studentin Kim Suozzi, die 2013 an Krebs verstarb und vorher in ihren Blog schrieb: „Ich finde es besser, auf diesen Fortschritt zu wetten, als zu verwesen.“
Rotes Tuch Endlichkeit
Ob Bluttest, Kryonik oder Artverwandtes, für die Kirchen sind dies Grenzüberschreitungen, weil die Vergänglichkeit des Menschen von Gott gegeben und als solche zu akzeptieren sei. Eckardt Nagel, Mitglied des Präsidiumsvorstands des Deutschen Evangelischen Kirchentages, sagte der Wochenzeitung „Die Zeit“: „Manche Menschen denken, nur die Materie mache sie aus. Kulturhistorisch ist das eine starke Verarmung.“Kryoniker Klaus Sames aus Senden dagegen sieht die bisherige Kultur als verarmt und rückständig: „Ich habe keine Moral, die greifbar ist“, sagt der Professor. „Ich lebe gerne und ich kann nichts anderes. Die Endlichkeit ist für mich ein rotes Tuch.“Sie sei eine Idee ohne Wert, erfunden von Religionen, Kirchen und gesellschaftlichen Strömungen. Und: „Setzt die Medizin nicht schon immer alles ein, um Leben zu erhalten – und zu verlängern?“
Wer ausgestopfte Vögel und Totenschädel verlässt, durch ein beengtes Wohngebiet fährt und auf die triste Hauptstraße mit Tankstellen und Möbelhäusern Richtung Autobahn einbiegt, kann sich leicht in eine bessere Welt in der Zukunft denken. In diese Bilder mischen sich jedoch ganz andere Gedanken. Über eine Medizin, die mit ihren wachsenden Möglichkeiten zwangsläufig einen Paradigmenwechsel einleitet, was unser Dasein und Denken angeht. Über Menschen, die keine Endlichkeit kennen, die an einer Unendlichkeit aber womöglich verzweifeln werden. Und an eine Seele, die beim Tod zurückbleibt. Oder sich bei minus 196 Grad in flüssigem Stickstoff allmählich auflöst.