Die Utopie vom Unionsbürger
Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, nach dem in Deutschland lebende EU-Ausländer ohne Arbeit erst nach fünf Jahren Anspruch auf Sozialhilfe haben. Damit schaffe die Regierung wieder Rechtssicherheit, sagte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am Mittwoch in Berlin.
Nahles erklärte weiter, wer hier lebe, arbeite und Beiträge zahle, habe auch einen berechtigten Anspruch auf Leistungen aus den hiesigen Sozialsystemen. Wer jedoch noch nie hier gearbeitet habe und für seinen Lebensunterhalt auf staatliche finanzielle Unterstützung aus der Grundsicherung angewiesen sei, müsse existenzsichernde Leistungen im jeweiligen Heimatland beantragen. Laut Nahles sind von dem Gesetz nur wenige Menschen betroffen. Sie habe dieses Schlupfloch aber rechtzeitig schließen wollen.
Der Entwurf ist ein Beispiel dafür, dass die Utopie vom Unionsbürger in immer weitere Ferne rückt. Denn europäische und nationale Zuständigkeiten passen meistens nicht nahtlos zusammen. Unbestritten ist, dass sich EU-Bürger überall niederlassen dürfen, wo sie Arbeit finden. Wie lange aber dürfen sie vor Ort suchen, ohne den Anspruch auf Aufenthalt zu verlieren? Und welche Unterstützung muss ihnen der Staat in dieser Zeit gewähren? In Frankreich zum Beispiel erhält die Aufenthaltsberechtigung nur derjenige, der bereits einen Arbeits- oder Studienplatz nachweisen kann.
Jobnachweis notwendig
Für Europäer ohne Meldeschein gibt es nur die Notversorgung, die auch illegale Flüchtlinge erhalten. Auch in Spanien gibt es die Aufenthaltsgenehmigung nur gegen Jobnachweis oder gegen die schriftliche Erklärung, dass die eigenen Einkünfte für die Sicherung des Existenzminimums ausreichen. Wer bei den Angaben geschummelt hat und doch auf Hilfe angewiesen ist, wird zum Verlassen des Landes aufgefordert.
Das Ideal vom europaweit mobilen Arbeitnehmer stößt sich an den national völlig unterschiedlichen Systemen der sozialen Sicherung. Hinzu kommt das enorme Wohlstandsgefälle in der EU. Da das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland fünf Mal höher ist als in Rumänien, ist der Anreiz entsprechend groß, auch ohne Jobaussichten einzureisen, einen Minijob mit Hartz IV aufzustocken oder Schwarzarbeit zu suchen und zusätzlich Sozialhilfe zu beantragen.
Da im vergangenen Dezember das Bundessozialgericht entschieden hatte, dass EU-Ausländer, die keinen Hartz-IV-Anspruch erworben haben, nach einem halben Jahr Aufenthalt Sozialhilfe bekommen müssen, schlugen die Kommunen Alarm. Aus ihren Kassen wird die Sozialhilfe bezahlt.
Deutlich restriktiver als die nationalen obersten Gerichte interpretiert der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Rechtslage. Schon 2009 urteilte er, dass EU-Ausländern nur dann Sozialhilfe zusteht, wenn sie „eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt des Aufenthaltsstaats hergestellt haben“.