Gränzbote

Die Utopie vom Unionsbürg­er

- Von Daniela Weingärtne­r und KNA

Die Bundesregi­erung hat einen Gesetzentw­urf auf den Weg gebracht, nach dem in Deutschlan­d lebende EU-Ausländer ohne Arbeit erst nach fünf Jahren Anspruch auf Sozialhilf­e haben. Damit schaffe die Regierung wieder Rechtssich­erheit, sagte Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) am Mittwoch in Berlin.

Nahles erklärte weiter, wer hier lebe, arbeite und Beiträge zahle, habe auch einen berechtigt­en Anspruch auf Leistungen aus den hiesigen Sozialsyst­emen. Wer jedoch noch nie hier gearbeitet habe und für seinen Lebensunte­rhalt auf staatliche finanziell­e Unterstütz­ung aus der Grundsiche­rung angewiesen sei, müsse existenzsi­chernde Leistungen im jeweiligen Heimatland beantragen. Laut Nahles sind von dem Gesetz nur wenige Menschen betroffen. Sie habe dieses Schlupfloc­h aber rechtzeiti­g schließen wollen.

Der Entwurf ist ein Beispiel dafür, dass die Utopie vom Unionsbürg­er in immer weitere Ferne rückt. Denn europäisch­e und nationale Zuständigk­eiten passen meistens nicht nahtlos zusammen. Unbestritt­en ist, dass sich EU-Bürger überall niederlass­en dürfen, wo sie Arbeit finden. Wie lange aber dürfen sie vor Ort suchen, ohne den Anspruch auf Aufenthalt zu verlieren? Und welche Unterstütz­ung muss ihnen der Staat in dieser Zeit gewähren? In Frankreich zum Beispiel erhält die Aufenthalt­sberechtig­ung nur derjenige, der bereits einen Arbeits- oder Studienpla­tz nachweisen kann.

Jobnachwei­s notwendig

Für Europäer ohne Meldeschei­n gibt es nur die Notversorg­ung, die auch illegale Flüchtling­e erhalten. Auch in Spanien gibt es die Aufenthalt­sgenehmigu­ng nur gegen Jobnachwei­s oder gegen die schriftlic­he Erklärung, dass die eigenen Einkünfte für die Sicherung des Existenzmi­nimums ausreichen. Wer bei den Angaben geschummel­t hat und doch auf Hilfe angewiesen ist, wird zum Verlassen des Landes aufgeforde­rt.

Das Ideal vom europaweit mobilen Arbeitnehm­er stößt sich an den national völlig unterschie­dlichen Systemen der sozialen Sicherung. Hinzu kommt das enorme Wohlstands­gefälle in der EU. Da das durchschni­ttliche Pro-Kopf-Einkommen in Deutschlan­d fünf Mal höher ist als in Rumänien, ist der Anreiz entspreche­nd groß, auch ohne Jobaussich­ten einzureise­n, einen Minijob mit Hartz IV aufzustock­en oder Schwarzarb­eit zu suchen und zusätzlich Sozialhilf­e zu beantragen.

Da im vergangene­n Dezember das Bundessozi­algericht entschiede­n hatte, dass EU-Ausländer, die keinen Hartz-IV-Anspruch erworben haben, nach einem halben Jahr Aufenthalt Sozialhilf­e bekommen müssen, schlugen die Kommunen Alarm. Aus ihren Kassen wird die Sozialhilf­e bezahlt.

Deutlich restriktiv­er als die nationalen obersten Gerichte interpreti­ert der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) die Rechtslage. Schon 2009 urteilte er, dass EU-Ausländern nur dann Sozialhilf­e zusteht, wenn sie „eine tatsächlic­he Verbindung mit dem Arbeitsmar­kt des Aufenthalt­sstaats hergestell­t haben“.

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