Der „Tutalk“als Testlauf: „Wie wir leben“lautet die Fragestellung
Drei Flüchtlinge und drei langjährige Tuttlinger erzählen ihre Lebensläufe – Auch Deutsche haben es mitunter schwer, im Ländle anzukommen
TUTTLINGEN - Einen ersten Testlauf hat der „Tutalk“am Dienstagabend im Dachgeschoss des Tuttlinger Rathauses erlebt. Drei Flüchtlinge und drei Tuttlinger mit mehr oder weniger Migrationshintergrund tauschten sich aus. Moderiert wurde die Veranstaltung on Christian Gerards, Redaktionsleiter des Gränzboten in Tuttlingen. Weitere Veranstaltungen sind geplant.
Hamed Karimi, Mohammad alHajj und Hassan Al-Ali: Ihre Namen klingen fremd, sie kommen von weit her, und sie sind Einwohner Tuttlingens. Claudia Kreller und Matthias Kremer sind leichter auszusprechen, doch auch sie haben eine Reise hinter sich, bevor sie in der Donaustadt sesshaft wurden. Fatih Aktürk ist der einzige in der Gesprächsrunde, der sich als waschechter Tuttlinger bezeichnen kann. Der Sohn türkischstämmiger Eltern ist hier geboren.
„Wie wir leben“lautete das Thema des Abends. Wenn man nur den Alltag betrachtet, sind die Abläufe ähnlich. Alle stehen früh auf, weil sie zur Arbeit müssen, in die Schule oder zum Deutschkurs. Dennoch unterscheidet sich ihr Leben, ihre Schicksale, ganz erheblich. Hamed Karimi, geboren in Afghanistan, wanderte im Alter von zwei Jahren in den Iran aus. Dort lebte er mit Eltern und drei Brüdern in einer Art rechtsfreiem Raum. „Afghanen dürfen nichts tun im Iran.“Kein Bankkonto haben, keine Ausbildung absolvieren, nicht studieren. Seit einem Jahr ist er in Deutschland, seit zwei Monaten im Sprachkurs. „Ich bin glücklich hier“, sagt er. Es sei wie eine Befreiung. Sein Ziel: Deutsch sprechen und eine Ausbildung beginnen in der IT-Branche.
Mohammad al-Hajj stammt aus Syrien und hat in Russland Medizin studiert. Der Allgemeinarzt spricht neben arabisch russisch, englisch und mittlerweile ein bisschen Deutsch. Er möchte hier weiter studieren, braucht dafür aber mindestens ein C1-Sprachniveau. Dafür büffelt er zurzeit. Und Hassan Al-Ali? Der 27-Jährige lebt seit 14 Monaten hier, auch sein Bruder ist in Tuttlingen. Er wuchs im Nord-Irak auf, hatte eine Arbeitsstelle und war glücklich mit seinem Leben. Der 9. Juni 2014 war ein Schicksalsdatum: Die Kämpfe irakischer Regierungstruppen mit dem IS bedrohten das Leben im Nord-Irak. Seine Flucht führte über die Türkei nach Deutschland. Hier hätte er bei einem Transportunternehmen Arbeit haben können, doch noch fehlt seine Anerkennung als Flüchtling und damit das Bleiberecht.
Sprache als Schlüssel
„Alles hängt von der Sprache ab“, fasste Claudia Kreller, die im Bereich Integration der Stadt Tuttlingen arbeitet, die Aussichten der Geflüchteten zusammen. Jeder mit einem B2Sprachabschluss vermittle sich fast von selbst auf dem Arbeitsmarkt. „Entsprechende Programme sind da, sie müssen nur bedient werden.“An der Sprache lag es 1985 auch, dass sie sich in Tuttlingen nicht besonders heimisch und schon gar nicht willkommen fühlte. Ihre Familie lebte zuvor viele Jahre in den USA. „Schwäbisch als Kurs gab es leider nicht.“Ihre Integration führte über den Sport. In der Volleyballmannschaft war sie gleich akzeptiert.
Um Akzeptanz geht es auch Hamed Karim: „Ich muss die Kultur eines Landes akzeptieren, egal, wo ich bin.“Eine neue Heimat bedeute eine neue Kultur, der Schlüssel sei, sich der Situation anzupassen.
Fatih Aktürk, 17-jähriger Schüler des Otto-Hahn-Gymnasiums, sieht sich als Teil der deutschen Gesellschaft, auch wenn zu Hause viel türkisch gesprochen wird. „Ich werde hier nirgendwo ausgeschlossen.“Doch er spürt auch den Zwiespalt, dass er sowohl Tuttlinger ist, der Begriff Heimat für ihn aber auch für die Türkei gilt.
Matthias Kremers Mutter war in Fulda so unglücklich, dass die Familie wieder hierher zurückkommen wollte. Er hat es gut erwischt, findet der Lehrer: „Ich bin gerne in Tuttlingen, ich möchte nirgends anders leben.“
Das möchte man auch allen anderen wünschen. Und die Möglichkeit, dass sich hier jeder selbst verwirklichen und die Gesellschaft bereichern mögen: Claudia Kreller: „Das ist die wahre Integration.“