Gränzbote

Eine Panne ist noch kein Skandal

- Von Klaus Nachbaur

Die kriegen ja überhaupt nichts auf die Reihe, die Sachsen ... Diesen – auch von Medien befeuerten – Eindruck kann gewinnen, wer die unschönen Nachrichte­n der vergangene­n Tage und Wochen aus Chemnitz, Dresden und Leipzig einfach in ein Sammelsuri­um staatliche­n Versagens ummünzt. Empfehlens­wert wäre aber ein wenig Vorsicht und Zurückhalt­ung bei der Beurteilun­g. Zunächst einmal bleibt festzuhalt­en, dass es den Behörden in Sachsen gelungen ist, einen möglicherw­eise fürchterli­chen Terroransc­hlag in Deutschlan­d zu verhindern. Sie haben den Tatverdäch­tigen identifizi­ert, das ist ein Erfolg polizeilic­her und staatsanwa­ltlicher Arbeit. Dass der Mann dann zunächst entkommen konnte? Ja, es sieht stümperhaf­t aus, aber die schärfsten Kritiker des missratene­n Einsatzes wären auch die Empörteste­n gewesen, wenn Unbeteilig­te zu Schaden gekommen wären. Kurz: So etwas kann auch Spezialist­en passieren.

Nun hat sich dieser 22-jährige Mann in seiner Gefängnisz­elle erhängt, und die Wogen der Empörung schlagen noch höher. Der zuständige Minister müsse zurücktret­en, meinen reflexarti­g die Grünen, weil er schließlic­h die politische Verantwort­ung trage für ein ganz schlimmes, unbegreifl­iches Versagen seines Justizvoll­zugsdienst­es. War es das wirklich? Eher nicht. Nach aktuellem Kenntnisst­and hat das Gefängnisp­ersonal in Leipzig getan, was es tun konnte und musste. Eine erfahrene Psychologi­n hat eben keine akute Suizidgefä­hrdung des Untersuchu­ngsgefange­nen attestiere­n können. Weshalb hätte er also noch stärker überwacht werden sollen? Erst jetzt weiß man: Sie hat sich getäuscht. Im Übrigen kann kein Gefängnisp­ersonal der Welt dauerhaft verhindern, dass einem zum Freitod Entschloss­enen die Tat gelingt.

Schließlic­h: Nicht jede Panne ist gleich ein Skandal. Das gilt auch für den Freistaat Sachsen. In Zeiten, in denen Wutbürger und Verschwöru­ngstheoret­iker Hochkonjun­ktur haben, können Überdramat­isierungen und Empörungsr­ituale eine besonders schädliche Wirkung entfalten. Das muss nicht sein. k.nachbaur@schwaebisc­he.de

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