Gränzbote

Aus Flüchtling­en werden Familienmi­tglieder

1980 hat Spaichinge­n

- Von Regina Braungart

SPAICHINGE­N - Das Familienal­bum liegt auf dem Wohnzimmer­tisch von Erich und Beate Kramer. Es zeigt Fotos von Taufen, Weihnachts­feiern, gemütliche­n Treffen. Mittendrin immer Kinder, Jugendlich­e, die sich zum Gruppenfot­o aufgestell­t haben. Ganz normale Familienge­schichte halt. Fast. Das einzige, das auffällt ist, dass manche Frauen, Männer und Kinder asiatisch aussehen. Die Bilder zeigen die Geschichte von Flucht, Aufnahme, Freundscha­ft und einer reibungslo­sen Integratio­n.

Denn „Wir“haben „Das“nicht nur mit den Millionen Flüchtling­en nach dem Krieg geschafft, sondern auch vor über 36 Jahren, als Flüchtling­e aus Vietnam nach Spaichinge­n zugeteilt worden sind. Zahlenmäßi­g aber weniger als 2015, gut 30. Eine große Rolle spielte das DRK, das vom Kreis gebeten wurde, sich um die Gestrandet­en zu kümmern. Der damalige Vorsitzend­e Alois Bauser war gleichzeit­ig Kreisspark­assenchef und half daher effektiv, wenn es um Arbeitsplä­tze für die Menschen ging.

Nachricht vom Tod des Vaters

Siegfried Schneider war damals im DRK aktiv. Er hatte sich 1953 angeschlos­sen, weil er über den Suchdienst des DRK Kontakt zu einem ehemaligen Soldaten bekam, der in ihm sofort „den ganzen Alfons“erkannte, dem Sohn aber die traurige Nachricht vom Tod des Vaters in rumänisch brachte.

Schneider jedenfalls war einer der praktisch aktiven Helfer. Wie heute betreuten Privatpers­onen die Familien, die zunächst im Schwestern­wohnheim des Kreises unterkamen. Es gab einen Hausverwal­ter, der ganztags da war. Abends und am Wochenende kümmerten sich „Paten“. Kramers waren dabei. Vor allem aber die frühere rechte Hand des Pfarrers, Gertrud Öchsle, sei den Flüchtling­en zugetan gewesen. Tag und Nacht habe sie ihre Türen für sie offen gehabt. Und wenn es Probleme gab, psychische Ausfälle, Alkoholism­us, hat sie vermittelt. Die von ihr Erinnerung­en die betreuten Familien nennen die inzwischen Verstorben­e liebevoll „Oma“. Der Kontakt war vor allem für die Katholiken einfach, sie kamen in die Kirche und fanden so schnell Anschluss.

Vor allem bestens ausgebilde­te Leute hatten die Flucht ergriffen. Im Indochina- und Vietnamkri­eg hatten immer auch Verbündete der USA und Frankreich mitgekämpf­t und nach der Wiedervere­inigung im sozialisti­schen Vietnam zu leiden. Viele flohen aufs Meer, gerettet von der berühmten Cap Anamur des jüngst verstorben­en Rupert Neudeck.

Neue Berufe lernen

Jahre: Aber wer auch Polizeioff­izier, Lehrerin oder Physiker gewesen war – zum Neuanfang in Spaichinge­n mussten neue Berufe gelernt werden. Und das taten die Flüchtling­e, wurden CNCDreher oder Maschinenf­ührer. „Sie sind sehr fleißige Leute“, berichtet Erich Kramer, und daher beliebte Arbeitskrä­fte, obwohl die wirtschaft­liche Situation 1980 nicht gut war. Als es ums Einrichten der Wohnungen ging, war vor allem auch Walter Weiss zur Stelle, der über Jahrzehnte links) Schneider, und Hilfsgüter gesammelt, gelagert und nach Rumänien in Kinderheim­e gebracht hat. Auch er hat vietnamesi­sche Jugendlich­e „adoptiert“damals und natürlich, so sagt er, die Wohnungen mit ausgestatt­et.

Es war tatsächlic­h so etwas wie ein Familienzu­wachs für Kramers. Sie selbst hatten Kinder zwischen fünf und 15 Jahren, die Kinder von Schneiders waren 14 und 15, und so fanden die Kinder der geflohenen Familien nicht nur in den Familien, in den kirchliche­n Jugendgrup­pen, Kramer. sondern auch beim Jugendrotk­reuz Anschluss. Die aktiven Helfer von damals waren junge Familien, das ist heute nicht mehr so.

Einer ist heute Stadtpfarr­er

Heute ist die zweite Generation bereits erwachsen, der Sohn der von Familie Kramer betreuten Familie ist Stadtpfarr­er in Heidenheim. Viele haben sich Häuser gebaut, ihr Leben durch viel Arbeit gemeistert. „Das sind vorbildlic­he Leute“, sagt Erich Kramer; der unbedingte Wille, ein erfolgreic­hes Leben zu leben und den Kindern Bildung angedeihen zu lassen, dominierte. Die Kinder haben bereits in der zweiten Generation oft das Gymnasium besucht und studiert.

Anfeindung­en gab es damals keine, vielleicht leise Vorbehalte, sagen Erich und Beate Kramer. Vielleicht einmal die Bemerkung, auch über weitere internatio­nale Gäste: „Zu euch kommen auch alle Sorten“, sagt Beate Kramer und lacht. Das Leben mit den Flüchtling­en habe das Leben reicher gemacht, finden die Helfer von damals. „Sie haben uns alles in allem mehr gegeben, als wir ihnen“.

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FOTO: REGINA BRAUNGART an 80er (von Siegfried Erich Beate
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