Stärke zeigen
Am Tag danach hat die Benommenheit dominiert. In der Politik, bei den Medien und auch bei jenen, die ermitteln sollen, wer denn hinter dem Angriff auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche steht. Die Schuldzuweisungen, die einige Schreihälse in den sozialen Medien vornehmen, laufen ins Leere. Es gibt in einem solchen Moment der Benommenheit keine befriedigenden Antworten. Auch die Politik, die es gewohnt ist, Antworten zu geben, lernt damit umzugehen, dass es einen Schrecken gibt, für den man keine Erklärung hat.
Deutschland hat am Montagabend erlebt, was seit Längerem befürchtet worden war: einen Anschlag, der entweder von terroristischen Absichten getrieben war oder aber von der Lust, möglichst viele Menschen wahllos zu ermorden. Berlin und das Land gehen durch das, was andere Orte und Nationen bereits erlebt haben, in denen Amokläufer oder Terroristen schon früher zugeschlagen haben: Littleton und Orlando, New York und Washington, Istanbul und Paris, Nairobi und Nizza, München und Ansbach, um nur einige zu nennen.
In funktionierenden Gesellschaften mit demokratischen Mechanismen, kompetenten Behörden und Meinungsfreiheit stärkt solcher Schrecken die Resilienz, die Widerstandskraft. Und so ist in den Stunden nach dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz etwas Bemerkenswertes in dieser deutschen Gesellschaft zu beobachten: Sie trauert und nimmt Anteil. Gleichzeitig vergewissert sie sich ihrer selbst und ihrer Art zu leben („frei, miteinander und offen“hat Bundeskanzlerin Angela Merkel es genannt). Auf den Dudelsendern im Radio wird nicht mehr so ausgelassen gealbert, im Land hängen die Fahnen auf Halbmast. Trotzdem hat kaum jemand ein Problem damit, letzte Weihnachtseinkäufe zu machen. Es ist eben nicht pietätlos, wenn man neben der Trauer über die Toten und dem Mitgefühl für die Angehörigen sein Leben weiterlebt.
Das Bewusstsein für die Widerstandskraft dieser Gesellschaft ist die wichtigste Reaktion auf den Schrecken am Breitscheidplatz.