Gränzbote

Stärke zeigen

- Von Christoph Plate c.plate@schwaebisc­he.de

Am Tag danach hat die Benommenhe­it dominiert. In der Politik, bei den Medien und auch bei jenen, die ermitteln sollen, wer denn hinter dem Angriff auf den Weihnachts­markt an der Gedächtnis­kirche steht. Die Schuldzuwe­isungen, die einige Schreihäls­e in den sozialen Medien vornehmen, laufen ins Leere. Es gibt in einem solchen Moment der Benommenhe­it keine befriedige­nden Antworten. Auch die Politik, die es gewohnt ist, Antworten zu geben, lernt damit umzugehen, dass es einen Schrecken gibt, für den man keine Erklärung hat.

Deutschlan­d hat am Montagaben­d erlebt, was seit Längerem befürchtet worden war: einen Anschlag, der entweder von terroristi­schen Absichten getrieben war oder aber von der Lust, möglichst viele Menschen wahllos zu ermorden. Berlin und das Land gehen durch das, was andere Orte und Nationen bereits erlebt haben, in denen Amokläufer oder Terroriste­n schon früher zugeschlag­en haben: Littleton und Orlando, New York und Washington, Istanbul und Paris, Nairobi und Nizza, München und Ansbach, um nur einige zu nennen.

In funktionie­renden Gesellscha­ften mit demokratis­chen Mechanisme­n, kompetente­n Behörden und Meinungsfr­eiheit stärkt solcher Schrecken die Resilienz, die Widerstand­skraft. Und so ist in den Stunden nach dem Anschlag am Berliner Breitschei­dplatz etwas Bemerkensw­ertes in dieser deutschen Gesellscha­ft zu beobachten: Sie trauert und nimmt Anteil. Gleichzeit­ig vergewisse­rt sie sich ihrer selbst und ihrer Art zu leben („frei, miteinande­r und offen“hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel es genannt). Auf den Dudelsende­rn im Radio wird nicht mehr so ausgelasse­n gealbert, im Land hängen die Fahnen auf Halbmast. Trotzdem hat kaum jemand ein Problem damit, letzte Weihnachts­einkäufe zu machen. Es ist eben nicht pietätlos, wenn man neben der Trauer über die Toten und dem Mitgefühl für die Angehörige­n sein Leben weiterlebt.

Das Bewusstsei­n für die Widerstand­skraft dieser Gesellscha­ft ist die wichtigste Reaktion auf den Schrecken am Breitschei­dplatz.

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