Anwalt bringt Tätergruppe ins Spiel
Befangenheitsantrag im Prozess um Prügelattacke am ZOB in Tuttlingen
TUTTLINGEN/ROTTWEIL - Ein Jahr und ein Tag nach der Prügelattacke auf einen jungen Mann mitten in Tuttlingen: Der Verteidiger des älteren der beiden Angeklagten (34 und 37) sorgte am zwölften Verhandlungstag am Dienstag gleich zwei Mal für Aufsehen durch seine Anträge.
Zunächst legte der Anwalt ein sechsseitiges Schreiben vor. Der Tenor: Es müssten zusätzliche Beweise erhoben werden, die „zu einer weiteren Entlastung der beiden Angeklagten und einer Überführung der tatsächlichen Täter führen“könnten. So müsse dringend ein geladener, aber nicht erschienener Zeuge mit unbekanntem Aufenthaltsort erkennungsdienstlich behandelt werden. Auch nach den Tätern einer weiteren Gewalttat in jener Nacht müsse gefahndet werden.
Die Begründung für die Anträge begann so: „Es gibt konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich in Tuttlingen eine aggressiv und brutal auftretende Gruppe junger Männer gebildet hat, die vorwiegend im Bereich der Scala-Brücke und des ZOB (…) grundlos andere Personen angreift“. Der Anwalt nannte Vorfälle, die sich am 17. April, am 26. November sowie am 11. Dezember, jeweils gegen 5 Uhr morgens, ereignet hatten. Der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer ersuchte die anderen Prozessbeteiligten um „zeitnahe Stellungnahmen“zu den Anträgen.
„Ich bin doch nicht Colombo“
Eine weite Anreise hatte die erste Zeugin des Tages: Die 32-Jährige kam aus Hamburg. Sie ist eine Freundin der Freundin des jüngeren Angeklagten, die sie vor Jahren im Frauenhaus kennengelernt hat. Ermittlungen der Kriminalpolizei zufolge haben die beiden Frauen am Tag nach der Tat vier Mal miteinander telefoniert. Worüber, dazu wollte sich die aufmüpfig auftretende Zeugin nicht äußern. „Wird das ein Kreuzverhör, oder was wollen Sie eigentlich von mir? Ich bin doch nicht Colombo!“
Ein 30-jähriger Arbeiter aus Tuttlingen berichtete über seine Erfahrung mit dem älteren der beiden Angeklagten: „Normal war der sicher nicht“, besonders nachdem er – mit einer Machete bewaffnet – einen Mann, von dem er sich beleidigt fühlte, aus einem Lokal holen wollte. „Wir sind doch nicht im Mittelalter, dass man mit einem Schwert rumläuft!“, entrüstete sich der Zeuge.
Der 37-jährige Angeklagte stellte ihm Fragen, wollte auch wissen, wieso die Aussagen des Zeugen denen zweier bereits früher gehörten Männern so ähnlich seien. „Wahrscheinlich deshalb, weil wir die Wahrheit sagen“, konterte der 30-Jährige. Bei der - zunächst zögerlichen - Aussage einer 47-jährigen Bedienung kam das Gespräch auch auf den untergetauchten Mann, von dem in dem Antrag des Verteidigers die Rede war. Dazu könne ihre Freundin, die sie nach Rottweil gefahren hat, mehr sagen, meinte die Frau und so wurde die überraschte 45-jährige Begleiterin im Handumdrehen zu einer weiteren Zeugin. Der Mann sei „ein bissel ein Prolet, habe oft mit Schlägereien geprotzt“hieß es. Auch eine weitere Spur kann sich aus der Aussage der Frau ergeben.
Schon zum dritten Mal war der Anthropologieprofessor Friedrich Wilhelm Rösing als Gutachter bei dem Prozess gefragt. Dieses Mal ging es um eine Videoaufzeichnung in schwarz-weiß aus einer Spielothek im Landkreis Calw, in der zwei Tage nach der Tuttlinger Tat Automaten aufgebrochen worden waren. Bei dem einen der Täter stellte der Spezialist anhand von 83 Merkmalen eine „sehr wahrscheinliche Identität im Bereich von 95 bis 99 Prozent“mit dem 34-jährigen Angeklagten fest.
Als eine Art Fleißaufgabe verglich er die Charakteristika des zweiten der beiden mit Mützen und weißen Overalls bekleideten Einbrecher mit denen des 37-Jährigen. Ohne gerichtlichen Auftrag. Statt Lob setzte es einen Ablehnungsantrag wegen möglicher Befangenheit seitens des Anwalts: „Ein Gutachter, der ein Gutachten aus eigener Motivation unterbreitet und dadurch Kosten verursacht, ist möglicherweise nicht unparteiisch“. Die Anwaltskollegin, die den 34-Jährigen verteidigt, schloss sich dem Antrag, der auch die beiden früheren Gutachten betrifft, an.
Wenig ergiebige Aussage
Wenig ergiebig waren die Aussagen einer 50-jährigen Juristin und ihres 31-jährigen Sohns. Die beiden hatten in Tuttlingen eine Bar betrieben, scheiterten jedoch „an den hohen Abgaben und Steuern“. Eine 34-jährige „einfache Bedienung“nannte Tuttlingen „ein kleines Dörfchen“, in dem „die Leute beobachten und erzählen“Über die beiden Angeklagten wusste sie nichts zu sagen. „Schwer nachzuvollziehen“, meinte Münzer zweifelnd. Der Prozess wird am Dienstag, 10. Januar 2017, um 9 Uhr fortgesetzt. Ob das Urteil wie geplant am 17. Januar gefällt wird, ist unsicher. Die Prozessbeteiligten vereinbarten weitere mögliche Sitzungstermine.