Der Wald ist sein Leben
Forst-Ingenieur Stelian Radu ist auch mit 88 Jahren noch fast jeden Tag im Wald
Fotos der Schillerlinde
Da ist zum Beispiel die Buche mit den sechs Stämmen, die er am Dreifaltigkeitsberg fotografiert hat, oder der Ahorn, der übersät ist mit verschiedenfarbigen Flechten; die Kiefer, die im Stamm große Löcher eines Spechts aufweist. Kranke Bäume mit Geschwüren dokumentiert Radu sehr genau und besucht sie immer wieder. Die Schillerlinde, die 1905 zum 100. Todestag von Friedrich Schiller am Fuße des Dreifaltigkeitsberges gepflanzt wurde, hat Radu zu jeder Jahreszeit fotografiert und die vier Bilder nebeneinander geklebt. „Das ist mein Leben“, sagt er schmunzelnd, wenn er auf die Fotos blickt. In Spaichingen finde er oftmals direkt vor der Haustür besondere Gewächse.
Wenn Radu erzählt, dann ist das eine Mischung aus Deutsch, Englisch, Rumänisch und Französisch. Auch Russisch spricht der 88-Jährige. Mit sechs Brüdern und einer Schwester ist Radu in einem kleinen Dorf in Rumänien im Donaudelta aufgewachsen. Seine Eltern waren Landwirte. Vom Dorf bis zur Donau erstreckte sich ein flaches Tal. Nicht sonderlich viele Bäume gab es in der Umgebung. Deswegen kann sich Radu noch sehr genau an die ersten Bäume erinnern, die er gesehen hat.
Das war zum einen die Robinia pseudacacia, eine Robinie, die oft fälschlicherweise als Akazie bezeichnet wird. Ein französischer Botaniker habe sie von Nordamerika nach Europa eingeführt, sagt Radu. Auch an den Maulbeerbaum in seinem Dorf kann sich Radu erinnern. Von dessen Blättern haben sich die Raupen des Seidenspinners ernährt. „Seide war damals die Mode, Baumwolle war noch gar nicht eingeführt“, erinnert er sich. Eigentlich wollte Radu in Bukarest Medizin studieren, „doch schon nach dem ersten Examen war mir klar, das schaffe ich nicht.“Ein Professor des landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Instituts bot ihm prompt einen Studienplatz an und er nahm an. Nach seinem erfolgreichen Diplom erhielt er ein Stipendium in Sankt Petersburg, wo er von 1949 bis 1954 forschte.
Dissertation über die Strobe
Danach kehrte Radu nach Rumänien zurück und war lange als Wissenschaftler im Arborteum der Stadt Simeria tätig. Durch seine Arbeit sei er mit vielen Waldexperten aus der ganzen Welt im Austausch gewesen. Er sei in die Mongolei und nach Kuba gereist. „Es war eine ganz besondere Erfahrung, den tropischen Regenwald zu sehen,“erinnert er sich.
Später promovierte Radu über die Weymouth-Kiefer, auch Strobe genannt, die er in verschiedenen Regionen Rumäniens untersuchte. Nach der Rumänischen Revolution 1989 seien viele Waldexperten gekommen, um die rumänischen Urwälder zu sehen. Danach seien aber viele Wälder privatisiert und im Verlauf abgeholzt worden, beklagt Radu. Den deutschen Wald bezeichnet er als einen „Modellwald“. Obwohl jedes Bundesland seine eigenen Vorschriften beim Waldschutz habe, würde der Wald bundesweit sehr respektiert und eine nachhaltige Waldwirtschaft angestrebt.
Nach Rumänien wird Radu aufgrund seines gesundheitlichen Zustands nicht mehr zurückziehen. Stattdessen hat er viel Geld für das Herschicken seiner Literatur aus Rumänien bezahlt. Denn Literatur über den Wald kann er nie genug haben. Stelian Radu wurde für seine Tätigkeit in der Forstwissenschaft zum Schutz der europäischen, wilden Wälder im Jahr 2008 vom WWF ausgezeichnet. Von der International Oak Society aus den USA erhielt er einen „Lifetime Service Award“. Außerdem ist er seit 2012 Ehrenmitglied des landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Instituts der Universität Bukarest.