Europa braucht eine Stimme
Europa wollte an der Münchner Sicherheitskonferenz hören, was die USA unter ihrem neuen Präsidenten Donald Trump zu sagen haben. Die Antworten waren inhaltsarm und konnten wenig beruhigen. Wie ist es aber, die Frage einmal umgekehrt zu stellen: was haben ein Amerikaner, ein Chinese oder ein Ruander erfahren, die nach München kamen, um zu verstehen was Europa zu sagen hat?
Sie haben eine Kakophonie gehört, ein schräg klingendes Konzert unterschiedlichster Meinungen und nebensächlicher Befindlichkeiten. Ungarns Ministerpräsident Victor Orbán reiste gar nicht erst an, der polnische Außenminister war beleidigt, weil die EU-Kommission sich ungebührlich in die Angelegenheiten seines Landes einmische. Als eine der wenigen behielt die deutsche Bundeskanzlerin einen kühlen Kopf.
Es ist eine Stärke Europas, dass debattiert und nicht dekretiert wird. Dass der Kompromiss zur Folge hat, dass niemand wirklich zufrieden ist, liegt in der Natur der Sache, wenn 27 Staaten gleich viel zu sagen haben. Aber jetzt ist die Lage sehr ernst, so ernst, dass das Projekt Europa, das allen Beteiligten Vorteile verschafft hat, feststeckt. Gerade einige osteuropäische Staaten müssten sich am Riemen reißen und ihre Befindlichkeiten hintanstellen. In diesem Jahr dominierten die Sorge über die Folgen des Brexit und die Ängste vor einem unkontrollierten US-Präsidenten die Sicherheitskonferenz. Aber schon bei der nächsten Sicherheitskonferenz kann es für Europa existenziell werden. Wenn Marine Le Pen die Präsidentschaftswahlen in Frankreich im Mai gewinnt, dann war es das mit der EU. Mit einem Austritt Frankreichs würde Europa zerfallen, die osteuropäischen Staaten würden wieder unter stärkeren Einfluss des russischen Nachbarn gelangen.
Europa ist im Moment sehr mit sich selbst beschäftigt. Es muss lernen, gelassen und mit einer Stimme aufzutreten. Jenseits des Atlantik herrschen in der Machtzentrale bereits Egomanie und Uneinigkeit. Dieses amerikanische Phänomen sollte Europa nicht übernehmen.