Bauern brauchen Innovation
DLG-Präsident Bartmer fordert neue Technologien ein
RAVENSBURG (ank) - Veraltete Techniken, empfindliche Züchtungen und Pflanzenschutzresistenzen machen die Landwirtschaft immer anfälliger für Missernten. Diese Meinung vertritt der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Carl-Albrecht Bartmer. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“fordert Bartmer deshalb, „den Instrumentenkasten für die Landwirtschaft zu erweitern“. Zurzeit ernährten Landwirte weltweit gut sieben Milliarden Menschen. Bald müssten zehn Milliarden Menschen ernährt werden – bei gleichbleibenden Anbauflächen. Der Landwirtschaft bliebe also gar nichts anderes übrig, als auf fortschrittlichere Technologien zu setzen, sagt Bartmer. Nur mit leistungsfähigeren Züchtungen und Pflanzenschutzmitteln, mit besserem ackerbaulichen Know-how und Innovationen ließen sich die Herausforderungen der Zukunft meistern.
RAVENSBURG - Ein „Weiter so“in der Landwirtschaft funktioniert nicht. Der Warnruf kommt nicht etwa von Umweltverbänden, sondern von der Deutschen LandwirtschaftsGesellschaft (DLG) – einer Organisation, in der rund 27 000 Landwirte vertreten sind. Mit Carl-Albrecht Bartmer, dem Präsidenten der DLG, sprach Andreas Knoch.
Herr Bartmer, die DLG, der Sie seit 2006 vorstehen, fordert einen Systemwechsel in der deutschen Landwirtschaft. Was läuft falsch?
Die Landwirtschaft in Deutschland ist in den vergangenen Jahren immer produktiver geworden. Das ist eine gute Nachricht, denn wir müssen für mehr Menschen auf weniger Fläche ausreichend Lebensmittel herstellen. Allerdings geht mit dieser Produktivität eine Spezialisierung einher, die das ganze System anfälliger für Störungen macht. Beispiel Ackerbau: Die Landwirte in diesem Sektor bewirtschaften ihre Flächen mit engeren Fruchtfolgen und können dabei auf immer weniger Pflanzenschutzmittel zurückgreifen, da deren amtliche Zulassung zunehmend restriktiver erfolgt. Das führt dazu, dass bei einigen Pflanzenkrankheiten inzwischen Resistenzen auftreten, die zu hohen Ernteeinbußen führen. Das gesamte System verliert an Widerstandsfähigkeit. Genau deshalb müssen wir Bauern den Instrumentenkasten für die Landwirtschaft erweitern.
Was heißt das konkret?
Im Ackerbau heißt das beispielsweise, dass wir leistungsfähigere Züchtungen brauchen, leistungsfähigere Pflanzenschutzmittel, andere Fruchtfolgen und besseres ackerbauliches Know-how. So macht eine frühe Aussaat wegen des höheren Risikos eines Pilzbefalls oftmals wenig Sinn. Das gilt analog für die Tierhaltung: Wir müssen uns die Frage stellen, ob die aktuellen Zuchtziele die richtigen sind. Die Tiere kommen zunehmend mit den Ansprüchen, die wir züchterisch an sie stellen, schlechter zurecht. Die Folge sind häufigere Krankheiten und ein intensiverer Medikamenteneinsatz. Und das gilt auch für die regionale Verteilung der Tierhaltungsbetriebe. Wir haben Regionen, etwa in Niedersachsen, wo wir auf einem Teil der Flächen durch den Anfall von Gülle inzwischen Probleme mit der Nitratbelastung im Grund- und Oberflächenwasser haben.
Wollen Sie dort Ställe schließen?
Nein, das nicht. Aber wir müssen nach Wegen suchen, die Tierhaltung regional aufzulockern. Nicht jeder Stall in Niedersachsen, der veraltet und wirtschaftlich abgeschrieben ist, muss zwangsläufig auch an der bisherigen Stelle wiederaufgebaut werden. Ein Neubau in einer vieharmen Region ist eine baurechtlich zu fördernde bessere Alternative. Wir brauchen eine nachhaltigere Land- wirtschaft, die gesellschaftliche Anforderungen und ökonomische Notwendigkeiten gleichermaßen berücksichtigt.
Solche Stimmen sind neu aus der Branche. Wie reagieren Ihre Mitglieder auf die Warnrufe der DLG?
Es gibt seit geraumer Zeit eine intensive Diskussion über die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland. Viele unserer Mitglieder finden es gut, dass die DLG ein Umdenken in der Branche thematisiert. Und dabei geht es nicht um die Rolle rückwärts, sondern um Richtungskorrekturen eines Weges, der in großen Teilen auch respektabel und erfolgreich ist. Ein Großteil der Bauern ist auch bereit, in diesen Anpassungsprozess einzusteigen – weil sie wissen, dass das Festhalten am Status quo keine Zukunftsperspektive ist. Insgesamt ist die Landwirtschaft in den letzten Jahren nachhaltiger geworden, doch es gibt eben auch Bereiche, für die das nicht gilt – etwa bei der Nitratbelastung oder bei der Biodiversität. Hier müssen wir weiterkommen, wobei klar ist, dass sich die Herausforderungen der Zukunft nicht mit den Konzepten der Vergangenheit lösen lassen. Wir brauchen technischen Fortschritt und Innovationen, um hier substanzielle Verbesserungen zu erzielen.
Wie sehen die Konzepte der Zukunft aus?
Der Einsatz innovativer Technik – Stichwort: Landwirtschaft 4.0 –, die Verwendung neuer Sorten und Züchtungen, die resistenter gegen Schädlinge sind, aber auch eine bessere Qualifikation und Fortbildung der Landwirte. Wir müssen uns vor Augen halten, dass mit den aktuellen Technologien in der Landwirtschaft gut sieben Milliarden Menschen ernährt werden. Bald werden wir zehn Milliarden Menschen ernähren müssen – bei gleichbleibenden Anbauflächen. Uns bleibt also gar nichts anderes übrig, als auf leistungsfähigere Technologien zu setzen. Europa und vor allem Deutschland ist ein im internationalen Vergleich stark begünstigter Standort, um Landwirtschaft zu betreiben. Deshalb müssen wir auch helfen, den globalen Brotkorb zu füllen.
Lassen sich die Produktivitätsfortschritte der vergangenen Dekaden in die Zukunft fortschreiben?
Die Produktivität ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Wir ernten heute pro Hektar deutlich mehr als noch vor 20 oder 30 Jahren. Dem höheren Angebot steht allerdings auch eine deutlich stärkere Nachfrage gegenüber – durch die demografische Entwicklung und durch neue Essgewohnheiten, etwa bei Fleisch, was einen deutlich höheren Ressourcenverbrauch mit sich bringt. Deshalb kommen wir zunehmend an die Grenzen im klassischen Optimierungspfad. Wir müssen also den bereits angesprochenen Instrumentenkasten erweitern.
Nennen Sie doch einmal Beispiele aus diesem Instrumentenkasten.
Ein Beispiel ist die Düngung. Heute ist es so, dass der Dünger flächig auf dem Boden ausgebracht wird. Mit neuen Verfahren wird es möglich sein, den Dünger dorthin zu bringen, wo er gebraucht wird – nämlich an der Wurzel der Pflanze. Das erhöht nicht nur den Ertrag, sondern senkt auch die Umweltbelastung, da weniger Dünger gezielter eingesetzt wird. Andere Ackerkulturen, gesündere Fruchtfolgen und neue Pflan- zenzüchtungen sind weitere Beispiele. Das Genome Editing beispielsweise ermöglicht enorme Fortschritte bei der Züchtung.
Genome Editing? Das klingt nach Gentechnik …
Nein, beim Genome Editing handelt es sich um ein Verfahren, das der konventionellen Züchtung gleichgestellt ist. Vereinfacht ausgedrückt werden dabei gezielt Mutationen in ganz bestimmten Abschnitten des Erbguts herbeigeführt, um etwa Resistenzen gegen Krankheitserreger oder Pilze zu erreichen. Mit Mutationen arbeitet die klassische Pflanzenzüchtung seit Jahrhunderten. Was der klassische Züchter früher in jahrelangen Kreuzungsversuchen entwickelt hat, lässt sich mit Genome Editing deutlich schneller umsetzen. Zudem kann sich das Verfahren auch ein kleinerer Zuchtbetrieb leisten, wodurch perspektivisch die Monopole der großen Saatgutmultis aufgebrochen werden können. Bei Weizen beispielsweise konnte mit Genome Editing eine Resistenz gegen Mehltau gezüchtet werden – ein Pilz, der zu hohen Ertragsverlusten führen kann. Werden die Verbraucher solche Verfahren akzeptieren? Ich glaube, dass wir diese Akzeptanz schaffen können. Wir müssen über Risiken diskutieren, ja, die übrigens nicht anders sind als die bei klassischer Züchtung. Aber wir sollten nach vernünftigen Kriterien abwägen und entscheiden, und nicht von vornherein alle Innovationen verteufeln. Noch einmal: Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, um die Menschheit auch künftig sicher und ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen.
Um wie viel könnte die Produktivität durch den Einsatz neuer Technologien steigen?
Bei neuen ackerbaulichen Verfahren, wie einer verbesserten Fruchtfolge oder der Optimierung von Aussaatterminen, sind es kleine Schritte. Zwischen fünf und zehn Prozent in 15 Jahren sind da schon möglich. Das deutlich größere Potenzial sehe ich im Bereich der Pflanzenzüchtung. Mit neuen Sorten, die beispielsweise Nährstoffe besser aufnehmen können oder resistenter gegen Trockenheit, Hitze und Frost sind, sind echte Produktivitätssprünge möglich. Auch die Digitalisierung kann uns voranbringen. Wir können bereits heute mit Sensoren jeden Quadratzentimeter eines Ackers analysieren und die Bewirtschaftung darauf abstellen. Da wird in Zukunft noch deutlich mehr möglich sein. Warum das System der EU- Direktzahlungen nach Ansicht von Bartmer langfristig nicht aufrecht zu erhalten ist, lesen Sie unter: www.schwaebische.de/dlg