Südwesten sucht Antworten nach dem Brexit-Votum
Wirtschaftsdelegation aus Baden-Württemberg in London – Furcht vor einer langen Phase der Ungewissheit
LONDON (dpa) - Der Himmel über London ist an diesem Februartag so undurchsichtig wie die Aussichten der 25-köpfigen Wirtschaftsdelegation aus Baden-Württemberg. „Wir brauchen schnell Klarheit“, sagt Markus Ochsner, Arbeitsdirektor beim Elektronikkonzern ABB Deutschland in Mannheim und Finanzvorstand für die Region Europa, auf der Fahrt mit der U-Bahn in die Londoner City. Es sind die vielen Fragen nach dem Brexit-Votum, die die Vertreter von Wirtschaft und Verbänden gemeinsam mit Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) nach London treibt. Wie werden Zölle und andere Handelshemmnisse ausfallen, können Mitarbeiter noch auf der Insel arbeiten und wie entwickelt sich die britische Wirtschaft?
ABB beschäftigt 3000 Mitarbeiter in Großbritannien, liefert Bauteile für Stromnetze und große Infrastrukturprojekte wie Flughäfen. Die Entscheidung für den Brexit mache die Planung schwierig, sagt Ochsner. Was etwa werde aus großen mit EU-Mitteln finanzierten Infrastrukturprojekten?
Noch wankt die britische Wirtschaft nicht: Im vergangenen Jahr wies das Vereinigte Königreich das stärkste Wirtschaftswachstum innerhalb der Gruppe der G7 auf. Doch die Abwertung des britischen Pfunds hat für steigende Preise auf der Insel gesorgt. Die Importe, von denen die Wirtschaft in Bereichen wie der Automobilindustrie stark abhängt, werden teurer. „Die negativen Effekte werden sie noch zu spüren bekommen“, ist der Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), Uwe Burkert, überzeugt.
Bei einem Essen mit Mitgliedern der deutsch-britischen Außenhandelskammer zeigt sich, dass die Ratlosigkeit in Großbritannien mindestens ebenso groß ist wie auf deutscher Seite. Es ist eine Art Fatalismus, der aus den Wirtschaftsvertretern spricht. Es sei das Wesen von Verhandlungen, dass die britische Premierministerin Theresa May zu Beginn eine extreme Verhandlungsposition einnehme. Am Ende, äußert man die leise Hoffnung, werde der Status quo schon irgendwie erhalten bleiben.
Wolfgang Grenke, Präsident des baden-württembergischen Industrieund Handelskammertags, ist nach den Gesprächen gelassen. „Am Ende wird es eine Lösung sehr nahe an dem Zustand von heute geben.“LBBWVolkswirt Burkert teilt die Hoffnung nicht. Beim Freihandel hält er die Minimalanforderungen der Welthandelsorganisation (WTO) oder Regeln wie zwischen der EU und Kanada für wahrscheinlich. Das hieße, es würde nur der zollfreie Zugang von Waren, aber nicht von Dienstleistungen gewährt werden – und vor allem auch keine Freizügigkeit für Arbeitnehmer.
Für Hoffmeister-Kraut wäre das der „Worst Case“. „Auf die WTO zurückzufallen, ist natürlich eine Option. Aber ist das eine sinnvolle Alternative auch für Großbritannien?“, sagt sie. Wie lange die Ungewissheit noch dauern wird, schreckt selbst die Wirtschaftsministerin. Selbst wenn die britische Premierministerin noch im März den Austrittsantrag aus der EU stellen wird, wird es Jahre dauern, bis erste Modalitäten des Ausstiegs und dann auch Rahmenbedingungen für die künftigen Handelsbeziehungen verhandelt sind. „Für ein Freihandelsabkommen brauchen wir etwa fünf Jahre, die Ratifizierung nimmt auch noch einmal Zeit in Anspruch“, rechnet Hoffmeister-Kraut vor.
Daheim will sie nun mit SüdwestVerbänden eine Position erarbeiten. Damit will sie über die Bundesebene auf die Austrittsverhandlungen Einfluss nehmen. „Baden-Württemberg hat da schon ein Mitspracherecht“, ist sie überzeugt.