Pianist macht den Stummfilm hörbar
Großes Interesse am ersten Stummfilm-Konzert „Stan & Olli“in der Stadthalle
TUTTLINGEN - „Stan & Olli“: Zum ersten Stummfilm-Konzert, das je in der Stadthalle gegeben wurde, sind rund 350 interessierte Zuschauer und -hörer gekommen. Carsten Stephan Graf von Bothmer ließ sie staunen, erschauern und herzlich lachen – durchaus auch mal aus reiner Schadenfreude.
So zum Beispiel wenn sich die beiden Komiker – in Deutschland unter „Dick und Doof“berühmt geworden – mitten ins Fettnäpfchen setzen. Oder von einem Straßenreiniger patschnass gespritzt werden, wie in dem Streifen „We faw down“, den Leo McCarey 1928 gedreht hat. Auch bei der Total-Demolage von Haus und Auto in dem ein Jahr jüngeren Stummfilm „Big Business“geht es wild her. Der Pianist untermalt die absurden Geschehnisse auf der Leinwand punktgenau, hackt auf die Tasten, wie Stan auf den Stamm des blühenden Baums. Geht in eine MollTonart über, wenn die beiden Tölpel und ihr Opfer – und sogar der Schutzmann – zum Steinerweichen flennen. Um dann gleich wieder mit hellen, fast hektischen Tönen die Flucht von Stan und Olli zu begleiten.
Gelächter und Gänsehaut pur
Von Bothmer, vor 45 Jahren in Niedersachsen geboren, hat in Berlin Musik und Mathematik bis zum ersten Staatsexamen studiert. Legte eine glatte 1,0 beim Examen im Fach Klavier hin. Wollte aber doch nicht in den Schuldienst und begann, Filmmusik zu komponieren. Besonders die Stummfilme haben es ihm angetan. Rund 850 Filme hat er seither unterlegt – in seinem ganz eigenen Stil, zu dem höchstens mal das eine oder andere musikalische Zitat gehört.
Den Auftritt gestaltet er wie einen Kinobesuch: Also erst mal Werbung. „Sektzauber“heißt der Spot, der vor 105 Jahren für die Marke „Kupferberg Gold“gedreht wurde. Von Bothmer entlockt dem Steinway-Flügel dumpfes Vulkangrollen, um gleich darauf die Noten wie Champagner perlen zu lassen. Applaus. Auch zwei Trailer gehören zum Programm: Echt gruselig die Szene aus „Nosferatu“: Fast glaubt man, die Krallenhände des Karpaten-Vampirs legen sich nicht nur um den Schwanenhals der schönen Ellen, sondern kratzen auch über die Pianotasten. Gänsehaut pur.
Das genaue Gegenteil dann die urkomische Szene aus „Safety Last“, 1923 in den USA gedreht. Der Pianist begleitet Harold Lloyd bei seinen Versuchen, sich unsichtbar zu machen. Langer und stürmischer Beifall.
Wie allerdings der – langatmige Ostfriesen-Witz, den von Bothmer erzählt, ins Programm passt, ist nicht ganz klar. Auch ist es fraglich, ob sich der Spitzenpianist tatsächlich von einer Dame aus dem Publikum die Augen mit Bondage-Tape zukleben lassen muss, um bei Rachmaninoffs „Prélude g-Moll op. 23/5“zu beweisen, dass er selbst so ein schwieriges Werk blind spielen kann. Er stellt diesen Teil unter „Eisverkäuferin“in den Programmablauf.
Wenn die Tasten nicht ausreichen
Dabei ist doch zumindest den Musikkennern im Publikum klar, dass von Bothmer beim Filmeuntermalen die Augen auf dem Monitor des Laptops und nicht auf Elfenbein und Ebenholz richtet.
Manchmal reichen ihm die Tasten nicht, sondern er greift direkt in den Resonanzkörper des Pianos hinein, bearbeitet die Saiten direkt, mit Holzstäbchen und Metallröhren. So setzt er die gespenstische Atmosphäre auf dem Friedhof, auf dem die beiden „Helden“gerade eine Leiche ausbuddeln wollen, in die entsprechenden Töne um.
„Gemeinsames Lachen verbindet“, sagt von Bothmer in seiner lockeren Moderation und stellt dies auch bei „Liberty“, einem weiteren McCarey-Streifen, unter Beweis: Da lässt er die Knie von Stan und Olli akustisch schlottern und die Krebse schmerzhaft kneifen. Schallendes Gelächter und langer Applaus.