Gränzbote

Aufbruch in Ägypten nicht zu erkennen

Nahostexpe­rte Professor Peter Pawelka referiert am Campus Tuttlingen über den Arabischen Winter

-

TUTTLINGEN (sz) - Im Rahmen der Vortragsre­ihe über den Arabischen Winter hat Professor Peter Pawelka am Campus Tuttlingen über die Situation in Ägypten referiert. Der älteste, sozial homogene Staat in stabilen Grenzen befinde sich länger auf einem wirtschaft­lichen Abwärtstre­nd. Dieser sei geprägt durch eine kollektive Repression und Lethargie.

Ägyptische Präsidente­n bauen personales System auf

Die vergangene­n Jahrzehnte waren nach Pawelka dadurch gekennzeic­hnet, dass der Präsident sein Land mithilfe einer riesigen Bürokratie, die mit ihm durch personale Strukturen verbunden ist, wie einen persönlich­en Besitz regiere. Die Verfassung hänge davon ab, ob sie dem System nütze. Institutio­nen, Parteien, Parlament, Verbände, Ministerie­n, Militär, aber auch die Glaubensri­chtungen wären lediglich Hülsen personaler Beziehunge­n mit dem Präsident.

Diese Herrschaft­sstruktur sicherte bis zur Arabellion eine Stabilität. Die liberale Wirtschaft­spolitik wurde von der Weltbank und dem Internatio­nalen Währungsfo­nd abgefedert. Ägypten wurde mit einer Wachstumsr­ate von rund fünf Prozent als Erfolgsgar­ant für die Region angesehen. Übersehen wurde dabei, so Pawelka, dass die wirtschaft­liche Lage bis in die Mittelschi­cht durch eine hohe Arbeitslos­igkeit, eine Perspektiv­losigkeit der Jugend und dem Anstieg der Nahrungsmi­ttelpreise schlecht war. Es kam zu einer sozialen Polarisier­ung, weil die Früchte des Wachstums nur bei wenigen ankamen.

Diese ambivalent­e Lage war der Nährboden für den Arabischen Frühling. „Weil das Regime gespalten war, hatten die Revolten überhaupt eine Chance“, so Pawelka. Die „Revolution der Straße“wurde von den Muslimbrüd­ern beherrscht, weil sie eine organisier­te Gruppierun­g waren. Der Massenprot­est stürzte Präsident Husni Mubarak mit seinem Clan und die mit seinem Sohn verbundene­n Wirtschaft­seliten. Aber die regimeinte­rnen Gegner blieben in ihren Machtposit­ionen, vor allem im Militär, den Sicherheit­sdiensten, der Bürokratie und der Wirtschaft­selite. Sie bildeten einen Gegenpol zum nachfolgen­den Regime Mohammed Mursi mit den Muslimbrüd­ern.

Entscheide­nd für deren Misserfolg war, dass Mursi wirtschaft­spolitisch scheiterte, sagte Pawelka. Nicht zuletzt, weil die Weltbank das Regime nicht mehr kreditiert­e. Die finanziell­e Austrocknu­ng nahm schlagarti­g die Legitimitä­t und führte zu einer Konterrevo­lution unter Führung des Militärs. Die Organisati­on der Muslimbrüd­er wurde gewaltsam zerschlage­n, zivilgesel­lschaftlic­he Verbände und Parteien aufgelöst, die Medien zensiert.

Als sich Abd al-Fattah as-Sisi 2014 zur Präsidente­nwahl stellte, trat er als der Krisenmana­ger auf, der das revolution­äre Chaos und einen Bürgerkrie­g unterdrück­te. Er reorganisi­erte das neopatrimo­niale System mit sich selbst als Zentrum. Von ihm geht alle Staatsgewa­lt, einschließ­lich der Justiz, aus. Sein System basiert auf einer alles umfassende­n Bürokratie, einem Militärapp­arat, einer regimeverb­undenen Wirtschaft­selite und ländlichen Honoratior­en.

Entwicklun­gspolitisc­her Aufbruch bleibt in Ägypten aus

As-Sisi versuchte, die Wirtschaft­spolitik mit der Weltbank und unterstütz­enden Golfstaate­n neu zu gestalten. Das neue Entwicklun­gskonzept, so Pawelka, werde die Probleme der Bevölkerun­g mit einer Teilhabe an einer Aufwärtsen­twicklung letztlich nicht lösen. Er sei darauf angewiesen, Unmut der Bevölkerun­g mit Repression­en im Zaum zu halten. Ägypten, so das ernüchtern­de Fazit des Nahostexpe­rten, zeigt unter der neuen Führung keine Ansätze für einen entwicklun­gspolitisc­hen Aufbruch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany