Demonstration im Gedenken an Nemzow
Tausende Menschen marschieren durch Moskau – Russische Opposition ist sonst heillos zersplittert
MOSKAU - Die Route des Gedenkmarsches für Boris Nemzow durch Moskaus Zentrum ist in diesem Jahr sogar von den städtischen Behörden genehmigt worden. Vor zwei Jahren war der Oppositionelle in unmittelbarer Nähe des Kreml hinterrücks erschossen worden. Vermutlich handelte es sich dabei um einen Auftragsmord, dessen Auftraggeber aber wohl nie ermittelt wird. Die Spur führt in die Kaukasusrepublik Tschetschenien.
„Russland ohne Putin“, skandierte die Menge im Protest gegen Präsident Wladimir Putin. Ein Mann wurde festgenommen, nachdem er dem Chef der Oppositionspartei Parnas, Michail Kasjanow, einen Farbbeutel ins Gesicht geschleudert hatte. Kasjanow setzte den Marsch mit grüner Farbe im Gesicht fort. „Wir sind hier, um unsere Anerkennung für die Ehrlichkeit und den Mut von Boris Nemzow auszudrücken“, sagte Rentnerin Galina Solina. „Wir wollen den Behörden zeigen, dass wir nicht vergessen haben.“
Wenige glauben an einen Umbruch
Die Veranstalter sprachen von rund 15 000 Teilnehmern, die Polizei sprach dagegen von 5000. „Das ist ein Erfolg“, sagte Oleg Orlow von der Menschenrechtsorganisation Memorial. Es seien nicht weniger Demonstranten gekommen als im vergangenen Jahr. Auf jeden Fall war der Marsch die größte Veranstaltung, die das Anti-Putin-Lager seit einem Jahr auf die Füße stellen konnte. Noch immer zieht der Name Nemzow mehr Menschen an, als die heillos zersplitterte Opposition es sonst vermag. Ein Jahr vor der Präsidentenwahl glauben nur noch wenige an einen Umbruch. Putin hat noch nicht gesagt, ob er wieder antreten wird, aber alle gehen davon aus. Andere Bewerber gelten als chancenlos.
Auch Orlows frühere Mitarbeiterin, die Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa, war 2009 einem Meuchelmord in Grosny zum Opfer gefallen. Dieses Verbrechen wurde ebenfalls nie aufgeklärt, da Moskau es vermeidet, sich mit dem tschetschenischen Republikchef Ramsan Kadyrow anzulegen. „Egal wer Boris erschossen hat, unsere Machthaber stecken sowieso dahinter“, stand auf einem Transparent. Viele Marschierer hielten eine russische rot-blauweiße Trikolore aus Pappe in die Luft mit fünf Einschusslöchern. Sie symbolisieren jene fünf Kugeln, die Nemzow niederstreckten. „Kugeln, die für jeden von uns sind“, stand auf dem selbstgebastelten Schild einer älteren Frau. Auch in mehreren anderen Städten, unter anderem in St. Petersburg und in der Wolgastadt Jaroslawl, gab es kleinere Gedenkmärsche. Nach Polizeiangaben verliefen die Kundgebungen friedlich.
Zugleich kam in Sibirien der Aktivist Ildar Dadin mit Verzögerung aus dem Gefängnis frei. Das Oberste Gericht hatte am Mittwoch seine Entlassung veranlasst. Dadin war 2015 zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, nachdem er mehrfach an nicht genehmigten Demonstrationen teilgenommen hatte. Der Politologe Gleb Pawlowski brachte die Verzögerung mit den Nemzow-Kundgebungen in Verbindung. „Das war, damit Dadin nicht zum Marsch nach Moskau kommt“, schrieb er bei Facebook.