Taktiktüftler im Büßerhemd
Freiburgs Trainer Christian Streich nimmt nach 0:3 gegen Dortmund alle Schuld auf sich – Aubameyang beendet Torflaute
FREIBURG - Thomas Tuchel wusste, was zu tun war. Mit einem aufmunternden Schulterklopfen verabschiedete sich der Trainer von seinem Kollegen Christian Streich. Längst war alles gesagt, der 3:0 (1:0)-Auswärtssieg von Borussia Dortmund in Freiburg sprach Bände. Tuchel konnte gut verstehen, wie seinem Gegenüber zumute war. Die beiden kennen sich eine halbe Ewigkeit. Bereits mit den Jugendteams von Freiburg und Mainz 05 waren sie als Trainer in der A-Junioren-Bundesliga aufeinandergetroffen.
„Ich bin extrem enttäuscht“
Dieses Mal war Streich nach dem Spiel, das noch klarer war, als es das Ergebnis ohnehin vermuten lässt, vor allem mit sich selbst beschäftigt. „Der Fehler lag heute bei mir“, sagte der 51-Jährige zerknirscht. Und fügte an: „Ich bin extrem enttäuscht, dass ich nicht von Anfang an umgestellt habe. Wir haben Dortmund ja mit Dreierkette erwartet und hätten deshalb vom 4-4-2-System, mit dem wir aber zuletzt viele gute Spiele bestritten haben, weggehen sollen. Die Jungs können da nicht hinterher kommen, du kriegst die Räume nicht zu. Deshalb konnte Dortmund so überlegen sein. Die Niederlage ist nicht den Spielern geschuldet, sondern mir.“
So viel Selbstbezichtigung ist selten in der Bundesliga. Vermutlich zog sich der Breisgauer Taktiktüftler das Büßerhemd an, damit seine Mannschaft das frustrierende Erlebnis nicht nachhaltig aus dem Tritt bringt. „Uns wurden heute ein Stück weit die Grenzen aufgezeigt. Wir waren nicht in der Verfassung, um dagegenzuhalten“, sagte Freiburgs Mittelfeldspieler Nicolas Höfler. Für den gebürtigen Überlinger waren die Gründe eindeutig: „Es war ein Vorteil für die Dortmunder, dass sie ausgeruht waren und sich eine Woche auf das Spiel vorbereiten konnten. Sie hatten eine gute Raumaufteilung. Wir sind überhaupt nicht in die Zweikämpfe gekommen.“Das fing schon beim 0:1 (13.) an. Nach einem Freistoß von Raphaël Guerreiro hielt Sokratis seinen Kopf hin. Vorm 0:2 (55.) tunnelte Reus den jungen Türken Caglar Söyüncü – den Rest erledigte Pierre-Emerick Aubameyang. Der Angreifer brauchte beim 0:2 und beim 0:3 (70.) nur noch einzuschieben. Aubameyangs Torflaute war nach 471 Minuten beendet, Tuchel atmete auf: „Du brauchst als Trainer alles, nur nicht einen Mittelstürmer, der anfängt, nachzudenken.“
Die Schwarzwald-Kur wirkte nicht nur bei Aubameyang, sondern auch bei Dortmunds Defensive. Der deutsche Vizemeister schaffte erstmals in dieser Saison einen Auswärtssieg ohne Gegentor. „Es ist herrlich, dass wir verdient zu null gewonnen und so wenig zugelassen haben“, sagte Tuchel strahlend. „All diese Kleinigkeiten geben uns einen Schub. Ich bin sehr glücklich über die Leistung. Die Mannschaft hat außergewöhnlich stark gespielt.“Nach all den Zweifeln an seiner Person in den vergangenen Wochen und all den kaum dementierten Dissonanzen mit der Clubführung wirkte Tuchel auf einmal gelöst.
Hier ein Dortmunder Trainer, der nach seinem 100. Sieg im 226. Spiel als Bundesliga-Trainer wie befreit wirkte, dort ein selbstkritischer Freiburger Coach, der Mühe hatte, die Fassung zu bewahren – für Tuchel und Streich war die Begegnung am Samstag erneut sehr emotional. Damals, als A-Juniorentrainer, hatten sich die beiden schon so manches Scharmützel am Spielfeldrand geliefert. Die gegenseitige Wertschätzung ist dennoch sehr groß: Streich wollte Tuchel einst in die Freiburger Fußballschule holen, Tuchel wollte in seinen Mainzer Anfangszeiten in der Bundesliga Streich zum Co-Trainer machen.
Dortmund jetzt nach Lotte
Kein Wunder, dass Tuchel nach dem Spiel noch immer vom SCF schwärmte. „Freiburg ist taktisch eine Top-Mannschaft. Deren Spielweise ist sehr schwer zu verteidigen. Wir hatten großen Respekt vor dieser Aufgabe. Umso höher bewerten wir, was wir geschafft haben. Das gibt uns ein gutes Gefühl und wird uns helfen für die nächsten Spiele.“Schon am morgigen Dienstag (20.45 Uhr/ARD) muss Dortmund im Pokalviertelfinale beim Drittligisten Sportfreunde Lotte ran. „Wir brauchen am Dienstag die nächste Top-Leistung“, forderte Tuchel. „Es ist Viertelfinale im Pokal, es ist Viertelfinale auswärts. Es interessiert überhaupt nicht, in welcher Liga der Gegner spielt.“
Sollte es Lottes Trainer Ismail Atalan dabei ähnlich ergehen wie Christian Streich am Samstag – kein Problem, als Seelentröster hat Tuchel jetzt Übung.