Präsidialreform ist umstritten
Konservative Stammwähler gefährden Erdogans Pläne
ISTANBUL - Der türkische Staatschef wirbt für ein „Ja“zur Einführung eines Präsidialsystems bei der Volksabstimmung am 16. April und attackiert die säkularistische und kurdische Opposition, die dagegen ist. Das eigentliche Risiko für Erdogans Plan geht aber nicht von den Gegnern des Präsidenten aus, sondern von dessen konservativen Stammwählern.
Die säkularistische Partei CHP und die Kurdenpartei HDP warnen, eine Abschaffung des parlamentarischen Systems werde die Gewaltenteilung schwächen. Es soll in der Türkei nach Erdogans Wunsch keine starken Bundesstaaten geben, die seinem Einfluss Grenzen setzen könnten. Auch soll das Parlament kaum Möglichkeiten haben, den Kurs mitzubestimmen: Erdogan will den Premierposten abschaffen und das Haushaltsrecht im Präsidialamt ansiedeln. Zudem soll der Präsident zwei Drittel aller Richter ernennen dürfen.
Die CHP sieht die Republik in Gefahr, falls Erdogans Pläne mit mehr als 50 Prozent der Stimmen angenommen werden sollten. Die HDP kritisiert, dass Erdogan nach dem Referendum den Vorsitz der islamischkonservativen AKP übernehmen könnte: Damit werde ein „Ein-Parteien-Staat“gegründet, da der Präsident zugleich Staats- und Regierungschef, Oberbefehlshaber der Streitkräfte sowie Chef der Regierungspartei wäre.
Auch die konservativen Türken sind skeptisch. Nach einer Umfrage ist jeder fünfte AKP-Wähler unentschlossen oder er lehnt die Reform ab. Da die AKP bei der letzten Parlamentswahl rund 50 Prozent der Stimmen einfuhr, ist das eine für Erdogan bedenkliche Entwicklung. Bei den Anhängern der rechtsnationalen Partei MHP, deren Führung den Plan Erdogans unterstützt, sieht es noch eindeutiger aus: Mehr als jeder zweite MHP-Wähler sagt „Nein“.
Ein Grund für diesen Widerstand liegt in Erdogans Polarisierungs-Politik: Viele MHP-Nationalisten wollen nicht, dass der Mann, der ihre Partei jahrelang beschimpft hat, zusätzliche Machtbefugnisse erhält. Bei skeptischen AKP-Wählern ist die Befürchtung verbreitet, Erdogans Plan könnte ein autokratisches System verankern.
Medienberichten zufolge beginnt bei der AKP das Nachdenken über eine Umstellung des Wahlkampfs, der bisher von Attacken auf das „Nein“Lager bestimmt wird: Alle, die Erdogan nicht folgen wollen, werden als Verräter hingestellt. Insbesondere in Istanbul und Ankara würden so Wähler vergrätzt, heißt es laut den Berichten in AKP-Analysen. Erdogan selbst kümmert das nicht: Am Wochenende attackierte er die „Nein“- Wähler als Putschistenfreunde.