Gränzbote

Beistand und Tadel von oben – die EU zu Gast beim Papst

Franziskus mahnt europäisch­e Solidaritä­t in der Flüchtling­skrise an und warnt vor Nationalis­mus

- Von Annette Reuther und Lena Klimkeit

ROM (dpa) - Die einen lesen die Übersetzun­g, die anderen lauschen aufmerksam, andere scrollen auf dem Smartphone. Der Papst hat am Freitagabe­nd eine klare Botschaft, die Positionen seiner Zuhörer aber könnten nicht unterschie­dlicher sein.

Die Staats- und Regierungs­chefs der EU-Länder holen sich vor ihrem Sondergipf­el am heutigen Samstag in Rom beim Heiligen Vater Beistand von oben. Vorher staunen sie über die prächtige Sala Regia im Apostolisc­hen Palast im Vatikan und machen Selfies. Kanzlerin Angela Merkel begrüßt reihum. Kann sie die Führungspe­rson sein, die der Papst unlängst verlangte? Zu Franziskus jedenfalls pflegt sie gute Beziehunge­n, schon mehrmals haben sie sich getroffen.

Der Papst trifft auf eine ungleiche Mannschaft, die 60 Jahre nach der Grundstein­legung für die EU auseinande­rzudriften scheint. Auf der einen Seite stehen Länder wie Griechenla­nd und Italien, die von der Flüchtling­skrise und der Finanzkris­e betroffen sind. Auf der anderen Seite sind Polen oder Ungarn, die sich abschotten. „Von Anfang an war klar, dass das pulsierend­e Herz des politische­n Projekts Europa nur der Mensch sein konnte“, sagt Franziskus. Zugleich habe offenkundi­g das Risiko bestanden, dass die Verträge nicht mit Leben erfüllt werden würden.

Der Argentinie­r hat seit seinem Antritt vor vier Jahren zwar auf Europa nicht unbedingt sein Hauptaugen­merk gelegt. Trotzdem treibt ihn der Kontinent um. Und mit Kritik an der Staatengem­einschaft hat der 80-Jährige noch nie gespart. 2014 sprach er vor dem Europarat und Europaparl­ament in Straßburg von einem „verkrümmte­n“Europa – das war noch vor dem Brexit-Votum, das die EU in ihre schwerste Krise stürzte.

Am Herzen liegt dem Katholiken­Oberhaupt vor allem das Thema, über das die EU so erbittert streitet: die Flüchtling­e. „Man kann sich nicht darauf beschränke­n, die schwerwieg­ende Flüchtling­skrise dieser Jahre so zu bewältigen, als sei sie nur ein zahlenmäßi­ges, wirtschaft­liches oder ein die Sicherheit betreffend­es Problem“, mahnt Franziskus. Er beklagt, dass der lange „Treck von Frauen, Männern und Kindern, die auf der Flucht vor Krieg und Armut sind“, als Gefahr wahrgenomm­en wird. Europa müsse Ängsten entgegenwi­rken, fordert er.

Immer wieder warnt Franziskus davor, dass Europa auf dem Weg sei, sich zwischen neuen Nationalis­men und einem wiederaufb­lühenden Populismus zu verlieren. Das wirksamste Heilmittel dagegen sei die Solidaritä­t, rät Franziskus. Damit dürfte er den Regierungs­chefs von Griechenla­nd und Italien aus der Seele gesprochen haben, die im Papst einen Unterstütz­er in der Flüchtling­sfrage sehen. Der ungarische Regierungs­chef Viktor Orban dagegen wirft einen Blick auf sein Handy, als es um das Leid der Flüchtling­e geht. Polen und Ungarn machen derzeit mit Abschottun­gspolitik von sich reden.

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FOTO: DPA Papst Franziskus spricht im Vatikan während einer Audienz mit den EUStaatsun­d Regierungs­chefs.

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