Zeitzeugin
„Ein Wunder“nennt Antoinette Spaak die Entstehung der Europäischen Union, nichts weniger. Als die Grundlagen besiegelt wurden, war der Zweite Weltkrieg erst zwölf Jahre vorbei. „Die sogenannten Siegerstaaten waren beinahe genauso zerstört wie die Besiegten“, erinnert sich die 88-jährige Belgierin. „Da haben sie sich gesagt, dass es so nicht weitergeht.“
Wie es dazu kam, das hat die Tochter des damaligen belgischen Außenministers Paul-Henri Spaak fast hautnah miterlebt. Unter der Führung ihres Vaters handelten Vertreter Belgiens, der Niederlande, Luxemburgs, Frankreichs, Italiens und Deutschlands zwei Jahre lang die Römischen Verträge aus, die 1957 die Grundzüge der Staatengemeinschaft etablierten.
„Ich glaube, die jungen Generationen machen sich nicht bewusst, wie schwierig das war für europäische Politiker, den Leuten zu erklären, dass man Deutschland und Frankreich in die Diskussionen einbeziehen musste“, sagt Antoinette Spaak. Zu frisch war die Erinnerung an die NS-Konzentrationslager und die furchtbaren Kriegsjahre.
Was ihr Vater vom heutigen Zustand der EU halten würde, darüber mag sie nicht spekulieren. Er ist schon vor mehr als vier Jahrzehnten gestorben. Einen Politiker wie den USPräsidenten Donald Trump oder den geplanten EU-Austritt Großbritanniens, wer hätte sich das damals schon vorstellen können. Aber zum Zeitpunkt seines Todes 1972 sei Paul-Henri Spaak schon sehr ungeduldig gewesen wegen der Langsamkeit der europäischen Politik.
Antoinette Spaak selbst war nicht dabei an jenem regnerischen Märztag, als ihr Vater in Rom eine emotionale Rede hielt und für sein Land die Römischen Verträge unterzeichnete. „Das bedauere ich immer noch“, sagt sie. Aber die damals 28-Jährige wollte ihre beiden Söhne nicht in Brüssel zurücklassen. In seinem Tagebuch habe ihr Vater den 25. März 1957 den „schönsten Tag seines politischen Lebens“genannt. Ihre eigene politische Karriere als Vorsitzende der Regionalpartei FDF, belgische und europäische Abgeordnete sollte erst rund fünfzehn Jahre später beginnen. Martina Herzog (dpa)