Der digitale Rechtsbeistand liegt im Trend
Verbraucher können Dienstleistern die Mühe überlassen, ihre Rechte durchzusetzen
BERLIN - Daten zählen zu den wichtigsten Rohstoffen der modernen Wirtschaft. Was sich damit machen lässt, zeigt zum Beispiel die Firma Coduka, die das Internetportal geblitzt.de betreibt. Ihr Angebot richtet sich an echte oder vermeintliche Verkehrssünder. Erhält ein Autofahrer einen Bußgeldbescheid, kann er diesen überprüfen und bei Aussicht auf Erfolg auch anfechten lassen. „Viele erlassene Bußgeldbescheide sind falsch oder inhaltlich mangelhaft und daher erfolgreich anfechtbar“, versichert das Unternehmen. Dies herauszufinden und juristisch gegen die Behörden durchzusetzen ist der Service.
Für die betroffenen Autofahrer ist das Angebot kostenlos. Ein pfiffiges Geschäftsmodell ermöglicht dies. Coduka verfügt über eine mit vielen Daten gespickte Software, die anhand der eingereichten Unterlagen schnell und ohne großen Arbeitsaufwand Fälle analysieren kann. Freie Rechtsanwälte übernehmen dann das Widerspruchsverfahren. Für die Nutzung der Software bezahlen sie Lizenzgebühren. Ist der Protest gegen das Knöllchen erfolgreich, spart der Autofahrer das Bußgeld. Der Anwalt erhält seine Kosten vom Staat erstattet. „Zwölf Prozent der Fälle gewinnen wir sicher“, sagt Geschäftsführer Jan Ginhold. Fast 70 000 Bußgeldbescheide sind bei geblitzt.de schon eingegangen.
Unterschiedlichste Angebote
Sogenannte „Legal Techs“, Firmen, die rechtliche Unterstützung im Internet anbieten, liegen im Trend. Die Angebote selbst sind sehr unterschiedlich. Das Verbraucherportal Finanztip.de hat sich einige der Offerten gerade genauer angesehen. Dazu gehören zum Beispiel Dienste, die Flugreisenden zustehende Entschädigungen für Flugausfälle oder Verspätungen eintreiben. „Praktisch an den Portalen ist, dass der Kunde die Anbieter nicht sofort bezahlen muss, und überhaupt auch nur im Erfolgsfall“, sagt Finanztip-Expertin Britta Schön. Die Firmen leben davon, dass sie einen Teil der Zahlungen der Airlines als Gebühr einbehalten. Meist sind es zwischen 25 und 30 Prozent. Es kann allerdings ein paar Monate dauern, bis das Geld bei den Urlaubern auf dem Konto landet.
Ein anderes Geschäftsmodell hilft Mietern bei der Durchsetzung der Mietpreisbremse. Das Portal wenigermiete.de setzt die Rechte des Mieters gegenüber dem Vermieter durch. Dafür kassiert das Unternehmen ein Drittel der eingesparten Miete des ersten Jahres. Laut Schön sind die Preise fair und die Geschäftsbedingungen verbraucherfreundlich. Allerdings ist das Angebot derzeit nur in Hamburg, Berlin, Köln, Düsseldorf und München verfügbar. Auch für Hartz-IV-Empfänger gibt es Legal-Tech-Angebote. Die Firmen sind auf die Prüfung der Bescheide spezialisiert. Denn den Behörden unterlaufen dabei immer wieder Fehler.
Die Vielfalt der Dienste nimmt zu. Bahnreisende können von „Legal Techs“Entschädigung für verspätete Züge eintreiben lassen, es wird bei Patientenverfügungen oder Erbschaftsangelegenheiten geholfen. Am spektakulärsten ist wohl derzeit das Angebot von Myright.de . Dort sammelt eine amerikanische Anwaltskanzlei VW-Kunden, die durch die manipulierte Software bei Dieselfahrzeugen geschädigt wurden. In deren Auftrag will die Kanzlei Schadenersatzleistungen von den Wolfsburgern einklagen. 100 000 Klagen sollen eingereicht werden, um den Verbrauchern zu ihrem Recht zu verhelfen, wenn VW nicht auf dem Verhandlungswege einlenkt.
Vzbv für Änderung des Zivilrechts
Bei einer klaren Rechtslage und wenn es um eher kleine Beträge geht, sind die „Legal Techs“auch nach Einschätzung des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (Vzbv) hilfreich. Schwieriger werde es, wenn es um komplizierte Fälle oder hohe Summen gehe, erläutert vzbvExperte Roland Stuhr. Darf zum Beispiel ein VWKunde sein Fahrzeug zurückgeben, wird er kaum bereit sein, von der erstatteten hohen Summe die Hälfte oder mehr an einen Dienstleister abzuführen. Auch deshalb setzt sich der Verband für eine Änderung des Zivilrechts ein und plädiert für die Einführung einer Musterfeststellungsklage. „Es geht um Alternativen zum etwas verstaubten Zivilrecht“, sagt Stuhr.
Eine Musterfeststellungsklage könnten Verbände wie der vzbv erheben. Der Bund müsste dann im Internet ein Register einrichten, in dem sich jeder von dem Fall Betroffene eintragen kann. Das kostet nichts und erleichtert die Durchsetzung der Ansprüche, denn „die Verjährung wird gebremst und das Urteil ist bindend“, erläutert Stuhr. Ein Gerichtsentscheid würde ausreichen, um beispielsweise Tausenden betrogenen Autofahrern zu helfen, weil das Urteil für alle gleichgelagerten Fälle gilt.
Das Bundesjustizministerium hat dazu schon einen Gesetzentwurf angefertigt. Doch die Ressortabstimmung zieht sich hin, weil die Musterfeststellungsklage in der Union skeptisch bewertet wird. So sind sich Beobachter recht sicher, dass vor der Wahl keine Gesetzesänderung mehr stattfinden wird.
„Praktisch ist, dass der Kunde die Anbieter nicht sofort bezahlen muss, und überhaupt auch nur im Erfolgsfall.“Britta Schön, Finanztip-Expertin