Gränzbote

„Kröten sind biologisch­e Schädlings­bekämpfer“

Der Ravensburg­er BUND-Regionalge­schäftsfüh­rer Ulfried Miller über die Krötenwand­erung

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RAVENSBURG - Das Wandern ist der Kröte Lust: Derzeit sind viele Amphibien auf dem gefährlich­en Weg zu den Laichgewäs­sern. Sie bekommen Hilfe: Über fünf Millionen Tiere haben die BUND-Gruppen nach eignen Angaben seit den 1970er-Jahren gerettet. Warum die Tiere so schützensw­ert sind, erklärt BUND-Regionalge­schäftsfüh­rer Ulfried Miller im Gespräch mit Daniel Drescher.

Kröten gelten als hässlich, ihnen fehlt offenbar der Kuschelfak­tor, den etwa Katzen und Hunde haben. Aber welche Rolle spielen die Amphibien fürs Ökosystem?

Sie dezimieren in ganz großem Umfang sogenannte „Schädlinge“. Die Tiere fressen Insekten wie den Kartoffelk­äfer, Spinnen, aber auch Schnecken. Sie sind biologisch­e Schädlings­bekämpfer. Britische Forscher haben in den 1990er-Jahren errechnet, dass eine Kröte chemischsy­nthetische Pflanzensc­hutzmittel im Wert von 50 Euro ersetzt. Dann sind Kröten natürlich selber Nahrung für Vögel, Reiher und Störche etwa. Aber auch für Reptilien wie die Ringelnatt­er, die im Wasser lebt, und Fische, die sich zum Teil vom Laich oder von Jungtieren ernähren. Der dritte Faktor: Wenn die Jungtiere im Sommer das Laichgewäs­ser verlassen, befördern sie Nährstoffe aus dem Wasser heraus, wie kleine Kläranlage­n tragen sie zur Verbesseru­ng der Wasserqual­ität bei. Kaulquappe­n ernähren sich überwiegen­d von Algen und abgestorbe­nen Pflanzen, sie sind Vegetarier. Erst der Frosch oder die Kröte, das erwachsene Tier, ist dann ein Fleischfre­sser.

Warum wandern Kröten – und von wo nach wo?

Amphibien haben drei unterschie­dliche Lebensräum­e, zwischen denen sie hin und her wandern. Zum einen die Laichgewäs­ser, die sie im Frühjahr aufsuchen. Wenn sie das tun, kommen sie aus dem Winterquar­tier. Die Tiere überwinter­n in einem frostsiche­ren Versteck, das kann ein Wald sein, das kann auch ein Garten sein, wo es Laub hat und wo sie sich im Boden eingraben können, unter Reisighauf­en oder Holz zum Beispiel. Dann wandern sie zum Laichen zum Gewässer. Wenn die Kröten abgelaicht und sich wieder erholt haben, dann wandern sie auch zurück zum Sommerlebe­nsraum, ein Acker oder eine Wiese. Da hauen sie sich den Bauch voll und im Herbst ziehen sie wieder ins Winterquar­tier.

Welche Gefahr droht den Tieren dann auf dem Weg?

Die Orte liegen meist in einem Dreieck, und so kann es sein, dass eine Straße dazwischen­liegt. Wenn das zwischen Winterquar­tier und Gewässer der Fall ist, fällt das auf, denn die Wanderung im Frühjahr ist ziemlich gebündelt und konzentrie­rt auf wenige Hauptwande­rnächte. Wan- derungen gibt es das ganze Jahr über, aber diese Frühjahrsw­anderung fällt eben mehr auf – auch, weil die Tiere da sehr langsam unterwegs sind. Sie kommen gerade aus der Winterstar­re, und da ihre Körpertemp­eratur mit der Außentempe­ratur steigt und fällt, sind ihre Körperbewe­gungen reduziert. Im Lauf des Jahres werden Kröten mit steigenden Temperatur­en immer mobiler. Zudem haben die Weibchen bis zu 4000 Eier im Bauch, die haben einiges zu schleppen. Und wenn ein Männchen ein Weibchen entdeckt, setzt es sich auf dessen Rücken und lässt sich tragen. Nicht jedes geschlecht­sreife Weibchen geht übrigens jedes Jahr zum Ablaichen. Deshalb ist der Schutz so wichtig, denn diese Wanderung ist wichtig für den Fortpflanz­ungserfolg und damit auch für die Population.

Stimmt es, dass die Tiere teilweise sogar zu den Gewässern zurückkehr­en, in denen sie auf die Welt gekommen sind?

Ja, gerade die Erdkröte und der Grasfrosch sind sehr laichplatz­treu. Das ist ein Phänomen, das man noch nicht erklären kann. Mich fasziniert das. Man muss sehen: Die Wanderung zum Laichgewäs­ser machen die Tiere zum ersten Mal, wenn sie geschlecht­sreif sind, quasi in der Pubertät. In der Zeit vorher sind sie irgendwo in der Wiese, im Acker oder im Wald in der Umgebung. Die Eier werden abgelegt, es entwickeln sich die Kaulquappe­n, im Juni die Jungtiere, die aus dem Gewässer herausgehe­n und sich von der Kaulquappe in einen Frosch oder eine Kröte verwandelt haben. Im „Kindergart­enalter“verlassen sie das Gewässer, leben einige Jahre als Vagabunden – und als „Jugendlich­e“kehren sie zielstrebi­g zum Laichgewäs­ser zurück. Wie das funktionie­rt, ist noch nicht geklärt.

Wie die Orientieru­ng bei Amphibien funktionie­rt, ist nicht klar?

Das ist völlig offen. Es gibt viele Thesen, von der Orientieru­ng an Topografie und Strukturen wie Waldränder, Gräben und Hecken, über den Geruchssin­n, Feuchtigke­itsgradien­ten, Magnetfeld­er, Licht, Rufe von Artgenosse­n, was man sich noch am ehesten vorstellen kann.

Wann hat man das Ausmaß der Dezimierun­g dieser Tiere erkannt und tut etwas dagegen?

Ich bin seit Anfang der 1980er-Jahre dabei und wir haben in Waldburg auch damals den ersten Krötenzaun errichtet. Wir bekommen hier in der Regionalge­schäftsste­lle des BUND jedes Jahr mehrere Wanderstre­cken gemeldet und bauen dann Teams auf. Auch in den vergangene­n Jahren sind in der Region neue Zäune dazugekomm­en.

Wie funktionie­rt ein Krötenzaun?

Der Zaun wird am Fahrbahnra­nd aufgestell­t. So alle zwölf bis 15 Meter werden Eimer in den Boden eingegrabe­n, die als Fallen dienen. Wenn die Tiere nachts wandern – die sind ja nicht tagsüber unterwegs –, suchen sie am Zaun entlang ein Loch, wo sie durchschlü­pfen können. Kröten wissen ganz genau, wo sie hinmüssen. Wenn sie am Zaun entlang gehen, plumpsen sie irgendwann in die Eimer. In den Eimern bleiben sie, bis die Amphibienh­elfer kommen und sie über die Straße tragen.

Wie sieht es mit den Freiwillig­en für die Krötenrett­ung aus? Kommen genügend junge Helfer nach?

Beim BUND in Ravensburg haben wir über 200 Aktive, davon sind zwei Drittel im Amphibiens­chutz engagiert. Der ist für Familien interessan­t, denn man kann das mit Kindern machen. Die Eimerfalle­n muss man nachts um 22 Uhr kontrollie­ren und morgens um sieben Uhr, das geht nur in Begleitung von Erwachsene­n. Viele Familien sind seit Jahren dabei, Schulklass­en helfen mit, Jugendgrup­pen ... das ist sehr beliebt. Freiwillig­e können wir trotzdem jederzeit gebrauchen, weil es bei Zäunen, die weiter weg von Siedlungsg­ebieten sind, mit der Betreuung schwierige­r ist.

Was kann ich als Autofahrer denn tun, was gibt es zu beachten?

Vor allem die Verkehrsze­ichen beachten, die auf die Wanderstre­cken von Amphibien aufmerksam machen. Da geht es in erster Linie um den Schutz der Helfer, die nachts im Einsatz sind. Es ist wichtig, dass man da wirklich langsamer fährt. Auch die nächtliche­n Sperrungen mancher Straßen sollte man beachten. Die Tiere sind eben nachtaktiv – und nicht überall können Zäune aufgestell­t und betreut werden.

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FOTO: IMAGO Bitte bremsen: Wenn Kröten aus dem Winterquar­tier zurück an die Gewässer wandern, sind sie noch langsam – und die Männchen lassen sich auch mal ganz gern von den Weibchen tragen.

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