Langeweile ist kreativer als Multitasking
Vortragsreihe „Die Erfolgsmacher“: Volker Busch erklärt Auswirkungen der täglichen Reizflut auf unser Gehirn
TUTTLINGEN-MÖHRINGEN – Unser reizüberfluteter Alltag lässt kaum Raum für Konzentration und Muße. Psychiater und Neurowissenschaftler Volker Busch hat am Donnerstag in der Angerhalle erklärt, warum unser Gehirn aus neurobiologischer Sicht reizarme „Offline-Phasen“braucht, um keinen Schaden zu nehmen und kreatives Arbeiten überhaupt erst zu ermöglichen.
Zum Auftakt der diesjährigen Vortragsreihe „Die Erfolgsmacher“stellte Nadin Buschkamp von der Veranstaltungsagentur „Sprecherhaus“Referenten Volker Busch aus Regensburg als potentiellen Nachfolger von Eckart von Hirschhausen vor. 220 Zuhörer erlebten ein unterhaltsames, fachlich profundes und rhetorisch geschliffenes neunzigminütiges Plädoyer für bewusste kreative Ruhephasen im Alltag.
Eine Eingangsfrage ans Publikum bestätigte den Referenten: Stress durch Reizüberflutung und Zeitdruck bestimmen unser Berufsleben. Dem Versuch, dem durch gleichzeitiges Erledigen von mehreren Aufgaben möglichst effizient zu begegnen, erteilte Busch jedoch eine klare Absage: „Es gibt kein echtes Multitasking.“Unser Gehirn könne intellektuelle Informationen nicht gleichzeitig sondern immer nur nacheinander, seriell, verarbeiten. „Wie bei einer Fernbedienung springen Sie immer von A nach B und zurück“, erklärte Busch.
Ab 25 Jahre nimmt Zahl der Nervenzellen ab
Jüngere Menschen könnten das noch recht schnell: „ Mit 18 lernte ich noch Integralrechnung zu Musik von Rammstein.“Ab 25 nehme mit der Zahl der zuständigen Nervenzellen auch die „Umschalt-Geschwindigkeit“ab. In jedem Fall gingen aber während des Hin- und Herspringens Informationen unwiederbringlich verloren. Mehr noch: Jede Unterbrechung räche sich, weil das Gehirn danach 30 Prozent mehr Zeit brauche, um wieder in die tiefe Konzentration zu finden. Auch die Fehlerhäufigkeit steige um 20 Prozent an: „Marihuana-Kiffen setzt den IQ um sechs Punkte herab, Multitasking senkt ihn vorübergehend um zehn Punkte, trotzdem gilt es immer noch als Garant für Höchstleistungen.“
Um die „wichtigste Eigenschaft unseres Gehirns, die Konzentration auf eine Sache“zu pflegen empfahl der Psychiater, regelmäßig eine Stunde pro Tag ohne Störungen von außen einzurichten und in dieser Zeit die wichtigsten Aufgaben des Tages konzentriert zu erledigen.
Ständige Reizüberflutung durch neue Medien ist für den Psychiater auch in der Freizeit ein weit verbreitetes Problem: „Ein bisschen ADHS haben wir inzwischen alle“, sagte er. Der praefrontale Cortex, der Stirnlappen, in dem unsere Ratio verortet sei, brauche Ruhe-, Schlaf- und Entspannungsphasen, um funktionieren zu können. Daueranspannung führe zu strukturellen Schäden des Gehirns, aber auch zu einem Rückgang der Kreativität, wie sie in der Wirtschaft inzwischen häufig beklagt werde.
„Die Informationen eines Sinnesorganes kreisen für eine kurze Zeit als neuronale Schleife im Cortex“, erklärte Busch. Das ermögliche dem Gehirn, eine eventuell folgende weiter Information mit der ersten zu verknüpfen. In diesem Moment entstünden Assoziationen und damit die Grundlage für Kreativität. „Zu viele Informationen überfordern jedoch das Gehirn“, warnte Busch. Es könne dann gar keine Verknüpfungen mehr leisten. Schon im Kindesalter könne Reizüberflutung durch überdimensionierten Medienkonsum die Kreativität töten.
Nur in Zeiten der Ruhe könnten Wachstumsprozesse stattfinden, deshalb rief der Neurowissenschaftler zum Umdenken auf: „Langeweile darf nicht sein, sie muss sein!“Busch schloss mit einem Zitat Hans Arps: „Einst wird man von Stille und der Ruhe wie von einem Märchen erzählen“, und bat das Publikum : „Lassen Sie es nicht dazu kommen.“